Nachdem der Spielbetrieb aufgrund des Coronavirus Mitte März ausgesetzt worden war, fällt die Entscheidung über den Gewinner der Königsklasse heuer in einem ungewöhnlichen Format. Im Estadio da Luz und im Estadio Jose Alvalade XXI der Traditionsclubs Benfica und Sporting werden zunächst die K.-o.-Runden bis zum Finale gespielt. Am 23. August ist Benficas „Stadion des Lichts“ Schauplatz des Endspiels, das ursprünglich in Istanbul vorgesehen gewesen wäre. „Es wird für die Zuschauer wahrscheinlich die spannendste Champions League aller Zeiten“, sagte Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge.
Spieler und Fans dürfen sich daher wie bei einer WM und EM auf ein dicht gedrängtes Programm gefasst machen. Bis zum Finale entscheidet in der K.-o.-Runde nur ein Spiel über Aufstieg oder Heimreise. Damit fällt auch die Auswärtstorregel flach. Dafür gibt es im Fall eines Remis nach 90 Minuten wie bei großen Turnieren üblich eine Verlängerung von zweimal 15 Minuten. Sollte auch nach Überstunden keine Entscheidung gefallen sein, dann folgt ein Elfmeterschießen. Wie bei WM und EM ist der Weg ins Endspiel für die Teams durch die bereits stattgefundene Auslosung vorgezeichnet.
Vorgezogenes Endspiel im Semifinale?
Einen Showdown der am höchsten gehandelten Teams wird es daher am Endspieltermin nicht spielen. Denn Bayern München und Manchester City würden bei entsprechendem Verlauf bereits im Halbfinale aufeinandertreffen. Der deutsche Rekord- und der englische Vizemeister werden vor allem von den Buchmachern hoch gehandelt. Davor gilt es jedoch für David Alaba und seine Bayern die hohe Hürde FC Barcelona, für City die ebenfalls unangenehme Hürde Olympique Lyon zu überspringen.
Die Bayern gelten angesichts der heurigen CL-Bilanz als logischer Favorit auf ihren inklusive Meistercup sechsten Titel in der Königsklasse und den ersten seit 2013. Als einzige Mannschaft im Bewerb haben die Münchner eine blütenweiße Weste. Sechs Siegen in der Gruppenphase folgten zwei klare Siege über Chelsea (3:0 und 4:1) im Achtelfinale. Mit dem 13-fachen Torschützen Robert Lewandowski haben die Bayern zudem den mit Abstand treffsichersten Stürmer in ihren Reihen.
Manchester City wird aber von diversen Buchmachern noch höher eingeschätzt als die Bayern. Grund dürfte der Aufstieg gegen Real Madrid im Achtelfinale sein. Wer den 13-fachen und damit Rekordchampion in der Königsklasse mit zwei 2:1-Siegen aus dem Weg räumt, kann nur ein Titelkandidat sein, so die einfache Rechnung. Die Mannschaft von Trainer Josep Guardiola zeigte sich – abgesehen von Ausrutschern wie der 0:2-Niederlage im FA-Cup-Finale gegen Arsenal – seit dem Neustart nach der Coronavirus-Pause in bestechender Form. Vor allem defensiv: In 13 Pflichtspielen kassierte City nur sieben Tore.
Trio in Lauerstellung
Mit Barcelona, Paris Saint-Germain und Atletico Madrid gibt es aber drei Teams, die in der Reihenfolge der Titelanwärter nur geringen Abstand auf Bayern und ManCity haben. Bei Barcas Superstar Lionel Messi dürfte nach der verpassten spanischen Meisterschaft der Hunger auf einen Titel in dieser turbulenten Saison entsprechend groß sein. Allerdings muss Barcelona im Viertelfinale gegen die Bayern mit Sergio Busquets und Arturo Vidal zwei Leistungsträger vorgeben.
Atletico hievte sich bereits vor der Coronavirus-Zwangspause mit der Entthronung von Liverpool in den Kreis der Titelanwärter. Die Vorbereitung der Madrilenen auf das Viertelfinale gegen RB Leipzig wurde allerdings von zwei positiven CoV-Tests von Angel Correa und Sime Vrsaljko gestört. Atletico hat mit dem Finalschauplatz Lissabon übrigens noch eine Rechnung offen. Vor sechs Jahren lagen die Madrilenen im Endspiel gegen Lokalrivalen Real bis zur 93. Minute in Führung, gaben aber das Spiel mit dem Pokal vor Augen noch aus der Hand. Am Ende hieß es 4:1 für Real Madrid.
PSG muss man alleine schon wegen seiner Starpower – Stichwort Neymar – zu den Titelkandidaten zählen. Für die Franzosen, bei denen Jungstar Kylian Mbappe nach seiner Knöchelverletzung wohl höchstens eine „Joker“-Rolle einnehmen wird, wäre schon der Einzug ins Endspiel der bisher größte Erfolg. Vorerst steht allerdings mit Atalanta Bergamo die bisherige Sensationsmannschaft der Saison im Weg.
Drei gefährliche Außenseiter
Geht es nach den Buchmachern, so ist der gerne als „Henkelpott“ bezeichnete Pokal für den Sieger der Champions League für RB Leipzig, Atalanta Bergamo und Olympique Lyon außer Reichweite. Das Trio hat bei den Buchmachern nur Außenseiterchancen. Die besten werden noch Atalanta Bergamo zugerechnet, das es in seiner ersten Saison in der Königsklasse gleich ins Viertelfinale schaffte. Der Dritte der italienischen Serie A warf im Achtelfinale den zweifachen Finalisten FC Valencia souverän aus dem Bewerb. Da Bergamo von der CoV-Pandemie besonders hart getroffen wurde, geht die Mannschaft von Trainer Gian Piero Gasperini mit besonderer Motivation in die Runde der besten acht.
RB Leipzig darf man aus österreichischer Sicht die Daumen drücken, immerhin spielen mit Konrad Laimer und Marcel Sabitzer zwei der drei noch in der Champions League vertretenen ÖFB-Teamspieler bei der deutschen Dependance von Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz. Die Leipziger nahmen im Achtelfinale zwar den Vorjahresfinalisten Tottenham Hotspur aus dem Rennen, das geschah aber noch mit Torjäger Timo Werner im Aufgebot. Der deutsche Teamspieler kickt mittlerweile beim FC Chelsea, seine Nachfolger Patrik Schick und Yussuf Poulsen schlugen sich zuletzt mit Blessuren bzw. Verletzungen herum.
Größter Außenseiter auf den Titel ist laut den Buchmachern Olympique Lyon – und das, obwohl die Franzosen im Achtelfinale für eine Riesenüberraschung sorgten. Nach einem 1:0-Sieg daheim warf man mit einer 1:2-Niederlage dank der Auswärtstorregel den italienischen Dauermeister Juventus Turin aus dem Bewerb. Kapitän Memphis Depay sorgte dafür, dass zwei Tore von Cristiano Ronalo der „Alten Dame“ nicht reichten und in der Folge Trainer Maurizio Sarri seinen Hut nehmen musste. Gelingt Lyon auch gegen Manchester City eine Überraschung, würden die Quoten des französischen Traditionsclubs auf den Titelgewinn wohl rapide steigen.