Blutproben in einem Labor
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Doping

Prozessstart nach „Operation Aderlass“

Vor dem Landgericht München beginnt am Mittwoch der bisher größte Dopingprozess in Deutschland. Angeklagt sind der Drahtzieher eines Blutdopingnetzwerkes, der Sportarzt Mark S., und vier mutmaßliche Komplizen. Den Stein ins Rollen gebracht hatte Ex-ÖSV-Langläufer Johannes Dürr, dessen Aussagen den Anstoß zur „Operation Aderlass“ gaben.

Wegen diverser Verdachtsfälle waren die Behörden schon seit Herbst 2018 informiert und aktiv. Intensiviert hatte die Ermittlungen, die im Februar 2019 zu der konzertierten Aktion in Erfurt und bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld führten, Dürr mit einem Interview in der ARD-TV-Sendung „Die Gier nach Gold – Der Weg in die Dopingfalle“, in dem er über Blutdoping in Deutschland berichtete. Der Zugriff erfolgte während der Nordischen Ski-WM und lieferte der Staatsanwaltschaft auch einen eindeutigen Beweis.

Der ÖSV-Läufer Max Hauke wurde während einer Bluttransfusion überrascht und wie sein Teamkollege Dominik Baldauf wenige Stunden vor einem Renneinsatz festgenommen. Insgesamt waren 23 Sportler aus acht Nationen verwickelt. Neben Dürr, Hauke und Baldauf unter anderen auch die Österreicher Stefan Denifl, Georg Preidler (Straßenrad), Christina Kollmann-Forster (Mountainbike) sowie Gerhard Tritscher (Skibergsteigen). Seine prominentesten Abnehmer sollen aber Tour-de-France-Etappensieger Alessandro Petacchi aus Italien und der zweifache Langlauf-Olympiasieger Andrus Veerpalu aus Estland gewesen sein.

Johannes Dürr
APA/EXPA/Johann Groder
Ex-ÖSV-Langläufer Dürr brachte die „Operation Aderlass“ mit seinen Aussagen ins Rollen

Bandenmäßige Anwendung von Doping

Während die Sportler teilweise bereits lebenslang gesperrt und zu Bewährungshaftstrafen verurteilt wurden, müssen sich nun auch Mark S. als Drahtzieher des international operierenden Blutdopingnetzwerkes und vier mutmaßliche Komplizen verantworten. Den Angeklagten wird gewerbsmäßige und zum Teil bandenmäßige Anwendung verbotener Dopingmethoden oder die Beihilfe dazu vorgeworfen. Bei den Ermittlungen sind nahezu 150 Fälle von mutmaßlichen Verstößen gegen das Arzneimittel- und Antidopinggesetz von Mark S. festgestellt worden.

„Es kann sein, dass eine empfindliche Gefängnisstrafe rauskommen kann“, sagte Lars Mortsiefer, Vorstand der Nationalen Anti-Doping-Agentur Deutschland. Mark S. habe „mutmaßlich an der obersten Grenze dessen agiert hat, was Systematik und Betrug“ angehe. Zum Blutaustausch traf sich der Erfurter Arzt laut den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen mit den Klienten bei Dopingbedarf konspirativ auf Autobahnraststätten, in Hotels oder auf Flughäfen.

Dabei sei er mit großer Skrupellosigkeit auf Kosten der Gesundheit der Athleten vorgegangen. "Anscheinend wurde auch mit den Athleten „experimentiert", um zu schauen, ob eine Dopingsubstanz funktioniert oder nicht“, sagte Mortsiefer. So soll eine Sportlerin von ihm mit neuartigen, getrockneten Blutkörperchen behandelt worden sein. Das führte zu Durchblutungsstörungen und einer roten Verfärbung des Urins.

Strafmaß in Österreich „beängstigend niedrig“

Allerdings lässt sich laut Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die „vollumfängliche Qualität“ des Antidopinggesetzes, das 2015 in Kraft getreten ist, erst beurteilen, wenn man auf eine höhere Anzahl von Verfahren zurückgreifen könne. „Bis zum heutigen Tag gab es leider noch nicht einen Fall aus dem Leistungssport, bei dem zum Beispiel dopende Sportler angemessen sanktioniert wurden“, befand Hörmann. „Das Strafmaß der öffentlichen Gerichte in anderen Ländern wie Österreich ist beängstigend niedrig.“

Das bestätige die Befürchtungen, „dass die mehrjährigen Sperren der Sportgerichtsbarkeit die wesentlich härteren Sanktionen darstellen als die relativ überschaubaren Bewährungsstrafen der öffentlichen Gerichte“, betonte Hörmann. Er sei gespannt, wann der erste konkrete Fall in Deutschland zur Verurteilung komme. „Auch dahingehend könnte der aktuelle Fall gegen den Mediziner aus Erfurt ein gewisser Präzedenzfall werden.“