Sarah Thomas
AP/Peter Joneleit
NFL

Super Bowl krönt ein Jahr der Frauen

Im deutschsprachigen Raum wird gerne darüber diskutiert, ob es nun der oder die Super Bowl heißt. Bei der 55. Ausgabe am Sonntag im Raymond James Stadium von Tampa darf die weibliche Version mit voller Überzeugung benutzt werden. Denn der Frauenanteil im Finale der National Football League (NFL) in wichtigen Positionen ist nicht nur dank der ersten Schiedsrichterin so hoch wie nie zuvor – und krönt damit ein Jahr der Frauen.

Wenn sich an der Westküste Floridas die „Gastgeber“ Tampa Bay Buccaneers und Titelverteidiger Kansas City Chiefs gegenüberstehen, dann beschränkt sich die weibliche Beteiligung nicht nur auf Hymnensängerin Jazmine Sullivan und die Cheerleader an beiden Seitenlinien. Mit Sarah Thomas lässt erstmals eine Schiedsrichterin die Akteure nach ihrer Pfeife tanzen. Und nachdem Katie Sowers im Vorjahr als erste weibliche Trainerin bei den San Francisco 49ers in einem Finale an der Seitenlinie stand, sind es mit Lori Locust und Maral Javadifar aufseiten der Tampa Bay Buccaneers heuer gleich zwei.

Auch wenn Frauen in der NFL noch immer eine verschwindend kleine Minderheit darstellen, wurden heuer in Sachen Erhöhung der Frauenquote einige Meilensteine erreicht. So begann das auf 14 Teams aufgestockte Play-off mit insgesamt sechs weiblichen Coaches – so vielen wie noch nie. Beim Duell der Cleveland Browns mit dem Washington Football Team Ende September 2020 standen neben Schiedsrichterin Thomas auch Callie Brownson als Chief of Staff der Browns und Jennifer King als Trainerpraktikantin bei Washington auf dem Feld. Drei Frauen in offizieller Funktion bei einem Spiel? Richtig, auch das gab es noch nie.

Mehr als nur eine Schiedsrichterin

Die wichtigste Premiere in der trotz Coronavirus-Pandemie planmäßig abgehaltenen NFL-Saison ist aber der Einsatz von Schiedsrichterin Thomas in der Super Bowl. Die 47-Jährige gehört als „Down Judge“ zur siebenköpfigen Crew von Carl Cheffers, der zum zweiten Mal ein Finale als Head-Referee leitet. Thomas, die in ihrer Funktion für die Line of Scrimmage, der Linie zwischen Offensive und Defensive, an der jeder Spielzug beginnt, zuständig ist, schreibt damit zum zweiten Mal ein Stück Sportgeschichte. Denn 2015 war sie bereits die erste Vollzeitschiedsrichterin der NFL und sie ist bis dato auch die einzige.

„Es ist eine Ehre, aber ich bin einfach nur ein weiterer Schiedsrichter“, hatte Thomas damals bei ihrem Debüt in einem Interview mit NFL Network gesagt. Auch ihr Weg in die Profiliga verlief gleich wie der ihrer männlichen Kollegen. Einzige Ausnahme: Thomas schrieb auf jedem Level Sportgeschichte. Die heute 47-Jährige, die einst ihren Bruder zu einem Lehrgang für Referees begleitet hatte, war die erste Frau, die in einem College-Spiel und einem College-Bowl-Game zum Einsatz kam. Logisch, dass auch die Ehre, die erste Schiedsrichterin in der NFL zu sein, der in Pascagoula im US-Bundesstaat Mississippi aufgewachsenen Thomas zuteil wurde.

Sarah Thomas und Alijah Holder (Broncos)
AP/Peter Joneleit
Thomas (l.) sorgt seit 2015 für Recht und Ordnung auf den Spielfeldern der NFL

Mit den Worten „Ich kann das“ hatte sie nicht nur einst als 24-Jährige die Einwände ihres Bruders zerstört, die drei Worte sind es auch, die Thomas allen jungen Menschen mitgibt, um sich ihren Traum zu erfüllen. „Egal, ob Frau oder Mann: Mach etwas, weil du es liebst, nicht um jemandem etwas zu beweisen oder Beachtung dafür zu finden. Lass dich nicht durch dein Geschlecht, deine Rasse oder was auch immer von etwas abhalten, das du liebst“, sagte die dreifache Mutter. Der nächste Schritt der Karriereleiter wäre der Aufstieg zum Head-Referee. Eine Position, die die NFL auch nicht umbenennen müsste. Denn die Bezeichnung „Down Judge“ gibt es erst, seit Frau Thomas mit von der Partie ist. Davor stand „Head Linesman“ auf dem Spielbericht.

Von der Versicherungsbranche an die Seitenlinie

Die Berufsbezeichnungen von Lori Locust und Maral Javadifar im Trainerstab der Buccaneers sind im Englischen schon länger gegendert. Locust ist seit 2019 Assistent Defensive Line Coach und war damit etwa im Halbfinale bei den Green Bay Packers mitverantwortlich dafür, dass vor allem der Motor des Laufspiels der Packers in den entscheidenden Phasen einen Kolbenreiber hatte und Quarterback Aaron Rodgers mehr unter Druck stand, als ihm lieb war. Javadifar kümmert sich als Assistant Strength & Conditioning Coach um die Fitness von Altstar Tom Brady und Co.

Lori Locust
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Locust trug ihren Teil dazu bei, dass die Buccaneers als erstes Team ein „Finale dahoam“ bestreiten dürfen

Tampa sicherte sich vor der Saison 2019/20 einen Eintrag in die NFL-Annalen, indem man erstmals zwei weibliche Coaches fix anstellte. Für Locust, die 20 Jahre lang im Versicherungsbereich tätig war, ist die Teilnahme an einer Super Bowl ein hart erarbeiteter Traum. Erst kurz vor ihrem 40. Geburtstag begann die zweifache Mutter, selbst in einer Frauenmannschaft Football zu spielen. Nach einer ersten Station als Defensive Line Coach bei Birmingham Iron in der mittlerweile wieder aufgelösten Alliance of American Football ebnete ihr 2018 ein Praktikum bei den Baltimore Ravens den Weg in die NFL.

Ein Jahr später holte Bruce Arians Locust an Bord des Buccaneer-Seglers. „Ich weiß, wie hart es ist, um diese erste Chance in der NFL zu bekommen“, sagte der Tampa-Cheftrainer, „und manchmal benötigt es die richtige Organisation, damit du diese Chance bekommst.“ Locust ist sich ihrer Vorreiterrolle jedenfalls bewusst. „Was man sehen kann, kann man auch werden“, sagte die Trainerin und unterstrich die Signifikanz, Frauen in noch prominentere Rollen in der NFL zu bringen. Locust formte daher mit anderen Kolleginnen wie 49ers-Trainerin Sowers eine „Coaching Alliance“, um mehr Frauen den Beruf des Football-Coaches schmackhaft zu machen.

Afroamerikanische Vorreiterin

In der ersten Play-off-Runde standen sich mit den Tampa-Trainerinnen und Washingtons Jennifer King Anfang Jänner auch erstmals in der NFL-Geschichte Frauen an den Seitenlinien gegenüber. Letztgenannte zog zwar mit ihrem Football-Team den Kürzeren, schrieb aber nur wenige Wochen später selbst Geschichte. Denn die bisherige Praktikantin wurde für die kommende Saison zur Assistenztrainerin der Offenive befördert. Die 36-Jährige ist damit die erste fest angestellte Afroamerikanerin in einem Coaching Staff der NFL.

„Ich denke, das spricht für zukunftsorientierte Trainer, die für den gesamten Pool an verfügbaren Bewerbern offen sind“, sagte King in Richtung ihres Mentors und Cheftrainers Ron Rivera. NFL-Coaches, die sich Frauen in der NFL nicht verschließen würden, hätten auch langfristig mehr Erfolg, meinte King mit Hinweis auf die diesjährigen Play-off-Teams: „Es ist kein Zufall, dass diese Teams eine Siegerkultur entwickelt haben.“ Detail am Rande: Ausgerechnet jene Organisation, die den rassistischen Namen Redskins erst unter hohem Druck abgelegt hatte, wurde erneut zum Vorreiter. Denn schon 1987 hatte mit Doug Williams erstmals ein schwarzer Quarterback Washington zum Super-Bowl-Sieg geführt.

Wer weiß, vielleicht wird eine Frau in naher Zukunft als Kickerin auch zum Matchwinner für ein Team. Dass es kein Nachteil sein muss, auf dieser Schlüsselposition auf weibliche Treffsicherheit zu setzen, bewies in der vergangenen Saison Sarah Fuller. Die Torhüterin des Fußballteams der Vanderbilt Universität sprang als Kickerin der Commodores ein, nachdem sich alle zur Verfügung stehenden Burschen in CoV-Quarantäne begeben mussten. Fuller ließ sich vom Hype um die erste Frau, die für ein College-Team aus den fünf großen Ligen im Einsatz war, nicht aus der Ruhe bringen und traf bei ihren Field-Goal- bzw. Extrapunktversuchen ins Schwarze.