Am Ende stand zwar ein Gesamttorschussverhältnis von 23:6 für Portugal, doch der entthronte Europameister hatte es eine gute Stunde lang versäumt, die Belgier unter Druck zu setzen. Erst in der Schlussphase, mit dem Rücken zur Wand, besann sich Portugal um Rekordtorjäger Cristiano Ronaldo seiner offensiven Qualitäten, kam damit jedoch zu spät. Die ersten 45 Minuten waren ein von Abwarten geprägtes Rasenschach.
In der zweiten Hälfte verwaltete Belgien den knappen Vorsprung geschickt. Die „Roten Teufel“ sind nun mit ihrer „goldenen Generation“ an Spielern um Eden Hazard und Kevin De Bruyne weiter auf der Jagd nach einem großen Titel. Nächste Station ist das Viertelfinal-Duell mit Österreich-Bezwinger Italien am Freitag (21.00 Uhr, live in ORF1) in München. Ob dann De Bruyne dabei ist, ist offen. Der Regisseur musste nämlich nach einem Foul verletzt vom Platz.
Rasenschach statt Schlagabtausch
Das Duell des Weltranglistenersten gegen Titelverteidiger Portugal war zwar ein Schaulaufen der Stars, in dem sich jedoch in den ersten 20 Minuten nicht viel Aufsehenerregendes auf dem Spielfeld ereignete. Die „Roten Teufel“ hatten optisch etwas mehr vom Spiel, das lag aber hauptsächlich an der abwartenden Spielweise der Europameister.
Ein Ronaldo-Freistoß aus gut 20 Metern von halbrechts konnte von Thibaut Courtois im belgischen Tor abgewehrt werden. Es war in der 25. Minute die erste ernsthafte Chance auf einen Treffer. Portugal setzte sich in der Folge in der Hälfte der Belgier fest.
Thorgan Hazard packt den Hammer aus
Doch der vermeintliche Schlager, übrigens das erste Duell dieser Mannschaften bei einem Großereignis, plätscherte weiter mit stark eingeschränktem Unterhaltungswert dahin. Der Respekt der beiden Spitzenteams voreinander lähmte offenbar jegliche Spielfreude und bremste die Offensive. Deshalb fiel das 1:0 in diesem Rasenschach in der 42. Minute wohl auch aus einem Weitschuss.
Thorgan Hazard hämmerte den Ball aus rund 18 Metern ins Netz und ließ dabei Rui Patricio ins Leere greifen, weil sich der Ball mit viel Effet vom portugiesischen Torhüter wegdrehte. Den Angriff der Belgier leitete übrigens Torhüter Courtois ein, indem er Ronaldo im Strafraum austrickste und den Ball sicher rausspielte.
Aus der ersten Hälfte war sonst nur noch das harte Einsteigen von Joao Palhinha gegen De Bruyne knapp vor der Pause berichtenswert. Der deutsche Schiedsrichter Felix Brych zückte die Gelbe Karte. Der Abpfiff zur Halbzeitpause kam keine Minute zu früh.
„Jetzt muss was passieren“
„Jetzt muss natürlich was passieren“, sagte Fußballlegende Herbert Prohaska im ORF-Studio in der Halbzeitanalyse. „Durch das 1:0 muss Portugal jetzt mehr für das Spiel machen. Beide Teams spielen auf Ballhalten, aber ohne Tempo. Es wird nie schneller, keine Tempowechsel. Eigentlich ist es fad, aber ich erwarte, dass es sich jetzt ändert“, äußerte der ehemalige ÖFB-Teamchef eine Hoffnung, die viele Fußballfans hegten.
„Wenn beide Mannschaften kein Risiko nehmen, dann kommt so ein Spiel wie in den ersten 45 Minuten heraus“, ergänzte ORF-Experte Roman Mählich. „Die Portugiesen müssen mit Fortdauer einfach mehr Risiko nehmen, dadurch hat Belgien natürlich Chancen im Gegenstoß. Es muss besser werden, viel schlechter kann es ja auch nicht werden.“
Für De Bruyne geht’s nicht weiter
Nicht besser wurde es für De Bruyne, der nach dem Foul an ihm kurz vor der Pause doch nicht weitermachen konnte. Er wurde in der 48. Minute von Dries Mertens ersetzt. Damit setzte sich De Bruynes Pechsträhne fort. Der 30-Jährige von Manchester City hatte sich erst Ende Mai im Champions-League-Finale gegen Chelsea Gesichtsverletzungen zugezogen, die ihn einige Wochen und noch zu Beginn der EM außer Gefecht gesetzt hatten.
Folgenschweres Foul an De Bruyne (43.)
Mit seinem harten Einsteigen von hinten nahm Joao Palhinha letztlich Kevin De Bruyne aus dem Spiel. Der Belgier konnte kurz nach der Pause nicht mehr weiterspielen.
Erst in der 56. Minute brachte Portugal-Coach Fernando Santos zwei Offensivkapazunder ins Spiel. Jungstar Joao Felix von Atletico Madrid und Manchester-United-Torgarant Bruno Fernandes sollten das Angriffsspiel beleben. Die erste gute Chance auf den Ausgleich hatte dann aber Diogo Jota von Liverpool, der den Ball allerdings über das Tor jagte (58.). Eine Stunde war gespielt, und das Verhältnis der direkten Schüsse auf das Tor stand bei 1:1.
Portugal findet Weg zum Tor nicht
Portugal hatte, zumindest was den Ballbesitz betrifft, das Heft in die Hand genommen. Belgien sperrte zu, versuchte kompakt zu stehen und keine Torchance zu ermöglichen. In der 70. Minute kam auch noch Andre Silva bei Portugal in die Partie. Bei der EM kam der Mann von Frankfurt, wo er 28 Tore in der deutschen Bundesliga erzielt hat, erst auf 16 Spielminuten.
Jetzt sollte er mithelfen, die Torsperre der Belgier zu brechen und doch noch das Tor ins Achtelfinale aufzustoßen. Niedergestoßen wurden dann zunächst Romelu Lukaku und Thorgan Hazard, der von Pepe mit dem Ellbogen voraus umgerammt wurde (77.). Brych begnügte sich damit, Pepe die Gelbe Karte zu zeigen. Das Match wurde zunehmend ruppiger. Eine hitzige Schlussphase kündigte sich an.
Zwei große Chancen durch Ruben Dias (82./Kopfball) und Raphael Guerreiro (83./Stange) und weitere Möglichkeiten blieben jedoch ungenützt. Portugal hatte gegen die nüchtern spielenden Belgier zu spät auf seine Offensivstärke gesetzt. Auch Superstar Ronaldo, in der Gruppenphase noch fünffacher Torschütze, ging ebenso wie sein Team leer aus. Vor Enttäuschung riss er sich nach Schlusspfiff die Kapitänsbinde vom Arm und warf sie auf den Boden.
Stimmen zum Spiel:
Roberto Martinez (Teamchef Belgien): „Wir haben eine unglaubliche Konzentration gezeigt und sehr gut verteidigt. Wir haben das Spiel kontrolliert und gut verteidigt, wenn es nötig war. Wir haben ein sehr gutes Tor geschossen, und in der zweiten Halbzeit hatte Portugal erwartungsgemäß mehr das Momentum. Wir mussten eine unglaubliche Mentalität zeigen. Alles drehte sich um taktische Disziplin und darum, sehr, sehr fokussiert zu sein. Heute ging es nicht nur darum, wie gut wir sein können, sondern auch, wie wir uns auf das einstellen, was Portugal am besten macht. Sie haben unglaubliche Erfahrung und kennen die Momente, wo sie dir wehtun können.“
Thorgan Hazard (Torschütze Belgien): „In solchen Spielen musst du deine Chancen mit beiden Händen packen. Der Torhüter hat erwartet, dass ich ins andere Eck schieße, so ist er reingegangen. Wir haben gegen den Europameister gewonnen, das ist sehr schön. Die zweite Halbzeit heute war sehr schwierig, wir mussten viel laufen.“
Fernando Santos (Teamchef Portugal): „Wir sind sehr enttäuscht, wir haben alle gedacht, wir erreichen das Finale und gewinnen die EM. Einige Spieler weinen in der Kabine. Das Ergebnis ist unfair. Sie hatten sechs Torschüsse und einer ging rein, wir hatten 24 Torschüsse und haben nur die Stange getroffen.“
Fußball-EM, Achtelfinale
Sonntag:
Belgien – Portugal 1:0 (1:0)
Sevilla, La Cartuja, 11.500 Zuschauer, SR Brych (GER)
Tor: T. Hazard (42.)
Belgien: Courtois – Alderweireld, Vertonghen, Vermaelen – Meunier, Tielemans, Witsel, T. Hazard (95./Dendoncker) – De Bruyne (48./Mertens), Lukaku, E. Hazard (87./Carrasco)
Portugal: Patricio – Dalot, Dias, Pepe, Guerreiro – Moutinho (55./Felix), Palhinha (78./Danilo), Sanches (78./Oliveira) – B. Silva (55./Fernandes), Ronaldo, Jota (70./A. Silva)
Gelbe Karten: Vermaelen, Alderweireld bzw. Palhinha, Dalot, Pepe
Die Besten: Witsel, Vermaelen bzw. Sanches, Pepe