Fans vor dem Wembley Stadion
Reuters/Henry Nicholls
Fußball-EM

Showdown um Titel verspricht Spannung

Italien zum zweiten Mal oder Premiere für England: Das Finale der Europameisterschaft zwischen zwei ausgewiesenen Fußballnationen verspricht am Sonntag (21.00 Uhr, live in ORF1) ein spannender Schlager zu werden. Die seit 33 Spielen ungeschlagene „Squadra Azzurra“ räumte zwar auf dem Weg zur Titelentscheidung die größeren Brocken aus dem Weg, England darf im Wembley-Stadion allerdings ein echtes Heimspiel bestreiten.

Einen klaren Favoriten gibt es nicht. Italien, das in seinem vierten EM-Finale nach dem zweiten Titel nach 1968 strebt, spielte bisher ein furioses Turnier, aber rund 60.000 Zuschauer wollen die Briten zum ersten EM-Titel peitschen. Den legendären und fast mystisch verehrten WM-Titel 1966 könnte die aktuelle Generation der „Three Lions“ für jene vergessen machen, die die Bilder nur aus dem TV-Archiv kennen.

„Wir alle haben so lang gewartet“, sagte Stürmerstar Harry Kane, der noch lange nicht geboren war, als England 1966 zum bisher letzten Mal in einem Finale bei einem großen Turnier stand. „Die Gelegenheit muss man mit beiden Händen ergreifen. Das ist das bisher größte Spiel in meiner Karriere, wahrscheinlich sogar das größte Spiel all unserer Karrieren“, so der vierfache Turniertorschütze, der aber um die Schwierigkeit der Aufgabe weiß. „Es wird sehr hart gegen Italien.“

England hofft auf Sterling und Kane

Mit der Unterstützung der Fans im Rücken, will sich England in seinem ersten EM-Finale mit dem Titel belohnen. Gegen Italien ruhen die Hoffnungen einmal mehr auf Kapitän Harry Kane und Raheem Sterling.

Euphorie soll England beflügeln

England-Coach Gareth Southgate ließ keine Zweifel am großen Ziel aufkommen. „Wir sind in einem Finale, und wir sind hier, um zu gewinnen. Wir wollen den Pokal für alle nach Hause bringen“, sagte der 50-Jährige, der zuvor ein kurzes motivierendes Schreiben von Queen Elizabeth II. erhalten hatte. Die Königin würdigte „Geist, Hingabe und Stolz“ der Mannschaft, die unbedingt gewinnen wolle.

Southgate hob das Endspiel auf eine höhere Ebene. Der Ex-Profi, dessen Fehlversuch im Elfmeterschießen des EM-Halbfinales 1996 gegen Deutschland nationale Trauer ausgelöst hatte, erinnerte an die vielen Dinge, auf die England „stolz“ sein könne. Die Euphorie soll aber nicht vom Wesentlichen ablenken. „Wir müssen das Spiel so behandeln, als ob es das erste Spiel des Turniers wäre“, meinte Offensivspieler Phil Foden, der wegen einer Beinverletzung fraglich ist.

„Squadra Azzurra“ bleibt ihrem Weg treu

Mancini machte unterdessen keinen Hehl daraus, wie Italien das Finale angehen würde. „Wir wollen versuchen, so zu spielen, wie wir es uns immer vornehmen. Wir sind damit bis hierher gekommen und werden daran nichts ändern“, kündigte der 56-Jährige am Samstag an.

Fußball-EM, Finale

Sonntag, 21.00 Uhr, live in ORF1

Italien – England

London, Wembley Stadion, SR Kuipers (NED)

Italien: Donnarumma – Di Lorenzo, Bonucci, Chiellini, Emerson – Barella, Jorginho, Verratti – Chiesa, Immobile, Insigne

England: Pickford – Trippier, Walker, Stones, Maguire, Shaw – Phillips, Rice – Mount, Sterling – Kane

Mancini will sich mit dem Erreichten auch längst nicht zufriedengeben. „Im Finale zu sein ist ein schönes Ziel. Aber das reicht uns nicht“, sagte Mancini schon vor dem Abflug seines Teams. Er erwarte von seinen Spielern eine „letzte Anstrengung. Die Jungs sollen 90 Minuten Spaß haben, dann dürfen sie in den Urlaub fahren.“

Italien will England stressen

Sein Plan ist es, den „Three Lions“ im Endspiel mit einem frühen Tor Stress zu bereiten. „Wir sind es, die sie unter Druck setzen müssen.“ Das Ziel sei es, früh in Führung zu gehen, sagte Mancini auf die Frage, ob die Erwartungen auch ein Nachteil für den Gastgeber sein könnten.

England sei „eine großartige Mannschaft, physisch und technisch stark, eine Mannschaft, die kämpft“, so Mancini. Er erwarte daher eine Partie, die bis zum Schluss spannend bleiben werde. Dennoch solle es sein Team nicht mit zu viel Anspannung angehen. Mancini: „Man muss mit dem richtigen Druck spielen und versuchen, Spaß zu haben. Nur so kann man ein Finale gewinnen.“

Keine Angst vor „Höhle der Löwen“

Die italienischen Spieler haben keine Angst vor der „Höhle der Löwen“. „Wir sind es gewohnt, in solchen Stadien zu spielen, werden daraus Kraft beziehen“, sagte Mittelfeldspieler Marco Verratti. „Sie (England, Anm.) verdienen es, im Finale zu stehen in einem Stadion, das sie gut kennen. Es wäre ein Traum, wenn wir in ihrem Stadion gewinnen.“

Bei Kapitän Giorgio Chiellini stieg die Vorfreude auf die Partie zunehmend. „Das sind Spiele, die viele Spieler gar nicht spielen dürfen. Es ist ein unglaubliches Glück, dabei sein zu dürfen“, sagte der 36-Jährige. Seine Mannschaft brauche „heißes Herz und kühlen Kopf, sonst überlebt man ein Finale in Wembley gegen England nicht“.

Dort hat Italien schon zwei Turnierspiele mit Überstunden bestritten. Im Achtelfinale gegen Österreich gab es ein 2:1 n. V., im Halbfinale gegen Spanien ein 4:2 (1:1) im Elfmeterschießen. 6.500 italienische Fans dürfen im Stadion sitzen. Aus der Heimat ist die Einreise für 1.000 gestattet. Es gelten strenge Coronavirus-Schutzmaßnahmen wie eine fünftägige Quarantäne nach der Rückkehr.

Gegenseitige Bewunderung

Österreich, Belgien, Spanien versus Deutschland, Ukraine, Dänemark – die Namen der Gegner auf dem Weg ins Finale lassen darauf schließen, dass Italien die härteren Kontrahenten aus dem Weg räumen musste. Die „Azzurri“ mussten zweimal in die Verlängerung, England nur gegen die Dänen. Die Kraftfrage dürfte für die Southgate-Elf sprechen, Mancinis Team scheint spielerisch etwas überlegen.

Italiens Respekt vor England sei groß. „Sie sind in allen Teilen stark. Wenn man ihnen Platz lässt, können sie dir wirklich wehtun“, so Chiellini, der sich besonders auf das Duell mit Kane freut: „Er ist ein unglaublicher Spieler. Ich bin einer seiner größten Bewunderer. Es ist immer eine Freude, gegen solche Spieler zu spielen.“

Der Stürmerstar gab das Kompliment an Chiellini und dessen Kompagnon Leonardo Bonucci zurück. „Als Stürmer will ich gegen die besten Verteidiger der Welt spielen, und diese beiden gehören definitiv dazu“, sagte der Kapitän der Engländer. Bei Italien ruhen die Hoffnungen auch darauf, dass Ciro Immobile wieder seinen Torriecher findet. Der Mittelstürmer ist nach zwei Treffern in der Gruppenphase blass geblieben.

Die Italiener zeigten in der K.-o.-Phase weniger Offensivdrang, aber auch ihre nach wie vor vorhandenen Qualitäten, ein Spiel kämpferisch und mit allen Mätzchen zu bestreiten. England hat im Turnierverlauf nur ein Gegentor aus einem Freistoß hinnehmen müssen. Zieht man das 4:0 im Viertelfinale gegen die Ukraine ab, haben die „Three Lions“ in den übrigen fünf EM-Spielen aber auch nur sechs Tore erzielt.

England bei Endrunden noch ohne Sieg gegen Italien

England hat Italien noch nie bei einer der großen Endrunden (EM oder WM) besiegt – und auch in den jüngsten drei Duellen nicht. Im März 2018 gab es in einem Freundschaftsspiel im Wembley zuletzt ein 1:1.

Am Sonntag soll aus englischer Sicht alles anders sein. Auch Sir Geoff Hurst (79) drückt die Daumen. Dass die Weltmeister von damals ihr Alleinstellungsmerkmal gerne länger für sich beanspruchen würden, sei Nonsens, sagte der Dreifachtorschütze des Endspiels 1966. „Ich verstehe mehr als irgendjemand, wie wichtig der Erfolg unseres Nationalteams für die Mannschaft und für das Land ist. Die Freude, die WM im eigenen Land gewonnen zu haben, hält für ewig an.“