Hans Kammerlander und Reinhold Messner
Hans Kammerlander
Interview

Wie Kammerlander Messners Coup erlebte

Am Samstag ist es genau 35 Jahre her, dass sich Reinhold Messner in den Geschichtsbüchern des Alpinismus verewigte. Mit der Besteigung des Lhotse wurde der Südtiroler zum ersten Menschen, der auf den Gipfeln der 14 höchsten Berge gestanden war. Hans Kammerlander war damals als wichtigster Zeuge auf den letzten Metern des historischen Gipfelganges dabei. „Ihn (Messner, Anm.) zu begleiten war etwas Besonderes“, so der 64-Jährige im Gespräch mit ORF.at. Denn auch für Kammerlander war der Lhotse-Gipfel eine wichtige Gabelung seiner persönlichen Gratwanderung.

Dass Kammerlander Messner am 16. Oktober 1986 auf den letzten Schritten seines historischen Weges auf die Gipfel aller Achttausender begleitete, war nur logisch. Denn Anfang der 1980er Jahre setzte die Südtiroler Seilschaft neue Maßstäbe im Alpinismus. Nachdem das Duo 1983 gemeinsam mit dem Deutschen Michl Dacher am Cho Oyu eine neue Route erschlossen hatte, überschritten Kammerlander und Messner ein Jahr darauf den Gasherbrum II und nur zwei Tage später den Gasherbrum I, auch Hidden Peak genannt. Im Jahr nach der bis heute einzigartigen Doppelüberschreitung zweier Achttausender folgte eine Erstbegehung der Nordwestwand der Annapurna.

Nach seiner Zeit mit Messner schrieb Kammerlander auch solo die Geschichte des Alpinismus weiter. So bestieg er 1996 den Mount Everest nicht nur in der damaligen Rekordzeit – in nur 23 Stunden war Kammerlander auf dem 8.848 m hohen Gipfel und wieder retour im Basislager –, sondern fuhr auch erstmals mit Skiern vom höchsten Berg der Welt ab. Bereits sechs Jahre davor hatte der Südtiroler die über 4.000 m hohe Diamir-Flanke des Nanga Parbat mit zwei „Brettln“ bezwungen. Berühmt wurde auch sein Kopfstand auf dem Gipfel des Kangchendzöngas.

Hans Kammerlander
Hans Kammerlander
Kammerlander legte mit Messner und später solo die Latte für nachfolgende Bergsteigergenerationen hoch

Kammerlanders Soloweg zur lebenden Bergsteigerlegende begann aber im Basislager des Lhotse 1986. „Es war für mich ein Moment, wo ein Weg aufgehört hat und ein neuer Weg begonnen hat. Ich musste ja ab diesem Moment alles selber organisieren und finanzieren“, erinnert sich Kammerlander. Von den letzten von Messner organisierten Expeditionen zum Lhotse und davor zum Makalu blieb vor allem eines in Erinnerung: die emotionale Ankunft im Tal, nachdem die historische Tat, als erster Mensch alle 14 Achttausender der Welt erklommen zu haben, vollbracht war: „Das war ein besonderer Moment, denn ich hatte bei Reinhold das Gefühl: Er ist angekommen.“

Stürmisches Finale

Der Druck des Wettlaufs – vor allem gegen den 1989 ausgerechnet auf dem Lhotse verunglückten Polen Jerzy Kuckuczka –, als Erster alle Achttausender zu erreichen, sei davor bei Messner deutlich anzumerken gewesen, so Kammerlander. „Ich habe gespürt, es geht Messner nur um den Gipfel und nicht um die Linie oder die Route, die wir zuvor immer wieder gesucht haben.“ Dazu nutzten die beiden entgegen Messners Credo auf dem Normalweg zum Gipfel auch die zurückgelassene Infrastruktur einer Schweizer Expedition. „Er hat die Chance gesehen, alle Achttausender zu machen, und, wie er selbst immer gesagt hat, zu überleben. Deshalb war dann die Linie nicht mehr wichtig. Ich verstehe das, ich hätte das Gleiche getan“, sagt Kammerlander heute.

Hans Kammerlander
Hans Kammerlander
Im unteren Teil des Anstiegs auf dem Lhotse hielt sich der Wind noch in Grenzen, weiter oben wurde es aber wild

Um auf dem 8.516 hohen Gipfel des Lhotse anzukommen, war ein gehöriger Kraftakt nötig. Denn der unmittelbare Nachbar des Mount Everest präsentierte sich vor allem im obersten Teil von einer extrem stürmischen Seite. „Im Gipfelbereich war es sehr grenzwertig“, erzählt Kammerlander. Doch wie so oft in seiner Karriere hatte Messner im entscheidenden Moment das nötige Glück, denn der Sturm wehte vom Tal herauf und drückte die beiden Bergsteiger laut Kammerlander praktisch an die Wand: „Manchmal hatte ich das Gefühl, es ist wie ein Skilift, der uns nach oben schubst.“ Die letzten Meter zum höchsten Punkt absolvierten er und Messner trotzdem nur noch auf allen vieren: „Es waren immer so Böen, die hätten dich aus dem Gleichgewicht geworfen. Bei noch mehr Wind hätten wir keine Chance gehabt.“

Hans Kammerlander
Hans Kammerlander
Am Gipfeltag des Makalu herrschte noch Kaiserwetter

Entsprechend unromantisch war auch der Moment auf dem Gipfel. „Auf dem Gipfel war es nur der Augenblick: oben sein, schnell ein paar Bilder im Sturm und weg, weg, weg“, erinnert sich Kammerlander. Kein Vergleich zum Gipfeltag auf dem Makalu, Messners vorletztem Achttausender, nur drei Wochen zuvor, bei dem auch der 1991 auf dem Manaslu tödlich verunglückte Friedl Mutschlechner („Ein für mich wichtiger Freund und Mensch“) mit dabei war: „Es waren Sonne und kein Wind, und wir waren fast eine halbe Stunde da oben. Wir hatten Zeit, es zu genießen, was auf einem Achttausendergipfel nicht einfach ist. Das war ein schöner Moment, da hätte man fast die Jacke ausziehen wollen.“

Super Seilschaft ohne Kitsch

Trotzdem war auch die gemeinsame Besteigung des Lhotse bei widrigsten Umständen etwas Besonderes: „Er (Messner, Anm.) war es ja, der mir die Tür zu diesen hohen Bergen aufgemacht hat“, so Kammerlander, der als Bergführer und Skilehrer in Messners Alpinschule tätig war, ehe er von seinem zwölf Jahre älteren Landsmann erstmals zu einer Expedition zum Cho Oyu eingeladen wurde. Zwischen Fels und Eis entpuppten sich die beiden Südtiroler als ideales Gespann, überstanden brenzlige Situationen, wie den Sturz Kammerlanders in eine Gletscherspalte an den Hängen der Gasherbrums. „Wir waren eine super Seilschaft“, so Kammerlander, „auf dem Berg hätte ich mir nicht einmal im Ansatz einen anderen gewünscht. Er hat mir so viele Tipps gegeben, er war einfach da, total fixiert und konzentriert.“

Abseits der hohen Berge hielten sich die Überschneidungspunkte allerdings in Grenzen. „Im Tal ging immer jeder seinen eigenen Weg. Und das ist gut so“, erzählt Kammerlander, „er ging dann massiv zu seinen öffentlichen Veranstaltungen und auch in die Politik, was mich sowieso nicht interessiert. Ich bin meinen Weg weitergegangen und hab den Wettlauf weitergemacht, den ich an seiner Seite begonnen habe.“ Ein inniges persönliches Verhältnis sei nie nötig gewesen, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen, so Kammerlander: „Wenn man solche Wege gemeinsam geht, dann ist man sehr zusammengeschweißt. Freundschaft wird aber gerne verkitscht. Ich glaube, dass sie automatisch da ist, aber halt nicht so, wie es gerne beschrieben wird. Das ständige Aufeinanderkleben ist nie gut.“

Vom Extremsportler zum Genussmenschen

Das Thema Achttausender ist allerdings für beide erledigt, obwohl Kammerlander zwei Achttausenderhauptgipfel – Manaslu und Shishapangma – fehlen. Während er mit dem Fehlen der zwei Achttausender mittlerweile leben kann, gibt es doch ein unerfülltes Ziel, dem Kammerlander etwas nachtrauert. Vor 20 Jahren stoppte eine Wolkenwand rund 150 Höhenmeter unterhalb des Gipfels die erste Skiabfahrt vom K2: „Das hat mich schon gewurmt, weil ich die Linie so im Kopf hatte, wie ein Slalomfahrer seinen Lauf. Aber ich habe den intensivsten Augenblick erleben dürfen, denn der ist ganz klar der Start.“

Hans Kammerlander
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Am Höhepunkt: 1996 erkletterte Kammerlander den Mount Everest mit Skiern im Gepäck in Rekordzeit

Extreme Ideen, wie etwa mit Skiern die Hänge aller 14 Achttausender zu bezwingen, hat Kammerlander mittlerweile aufgegeben wie den Wettlauf zu diversen Rekorden. „Ich gehöre nicht zu denen, die nicht loslassen können und auch im hohen Alter ihre Geschichten hochtreiben, obwohl sie keine Leistungen mehr sind“, so Kammerlander, der eine Karriere als Profibergsteiger laut eigener Aussage und mit Hinweis auf die vielen menschlichen Tragödien, die er auf dem Berg erlebt hat, wohl so nicht mehr einschlagen würde: „Der Preis war viel zu hoch, das war es nicht wert.“

Hans Kammerlander
Hans Kammerlander
Für Aktionen wie hier die Abfahrt vom höchsten Berg der Welt fehlt Kammerlander mittlerweile der Antrieb

Heute fühlt sich der 64-Jährige wieder in jene Zeit als junger Kletterer zurückversetzt, in der das Erreichen eines Gipfels noch etwas Besonderes war: „Ich gehe jetzt Stufe für Stufe zurück, suche mir Ziele, wo ich weiß, das kann ich aus der Routine heraus machen und hat mit Spitzenalpinismus nichts zu tun. Die Uhr interessiert mich nicht, ich habe keinen Druck, sportlich etwas zu beweisen. Ich hätte nie gedacht, dass die Zeit nach diesem Wettkampfalpinismus wieder schön werden kann“, erzählt der Südtiroler, der vor allem noch einige Länder auf seiner gut gefüllten Reiseliste abhaken möchte: „Ich freue mich jeden Tag, wenn ich hinausgehen kann. Das ist schön und sehr wertvoll. Ich bin jetzt auf der Genusswelle unterwegs.“