Im zweiten Freien Training am frühen Freitagabend auf dem Yas Marina Circuit von Abu Dhabi war Hamilton mit einem Vorsprung von 0,641 Sek. über sechs Zehntelsekunden schneller als sein viertplatzierter WM-Rivale Verstappen im Red Bull und erzielte damit den ersten psychologischen Wirkungstreffer. Zwischen dem siebenmaligen Weltmeister im Mercedes und Verstappen im Red Bullen lagen der Franzose Esteban Ocon im Alpine und Hamiltons finnischer Teamkollege Valtteri Bottas im zweiten Mercedes.
„Das war okay“, sagte Hamilton spürbar zufrieden. Er geht aber davon aus, dass es letztlich „supereng“ wird. Auf einer Runde fehle etwas die Pace, haderte Verstappen. Auf der Distanz gesehen seien sie aber gut dabei. In der Einheit am Vormittag hatte Verstappen noch die Bestzeit gehalten und um 0,346 Sek. schneller als Hamilton gewesen.
Hamilton Schnellster in Abu Dhabi
Mercedes-Fahrer Hamilton geht mit der klaren Tagesbestzeit in das entscheidende Wochenende um den WM-Titel in Abu Dhabi. Max Verstappen musste sich auf dem Yas Marina Circuit unter Rennbedingungen vorerst mit Platz vier begnügen.
Punktegleich in den Showdown
Die beiden Titelkonkurrenten gehen punktegleich in das letzte Saisonrennen. Es ist die fast einmalige Konstellation, die dieses Finale so besonders macht: Nur 1974 reisten zwei Fahrer schon einmal punktegleich zum letzten Rennen. 369,5 Zähler haben Verstappen und Hamilton, das macht die Rechnung ebenso einfach wie brisant: Scheiden beide zum Beispiel aus, ist Verstappen dank mehr Saisonsiegen (9:8) der neue Weltmeister. Hamilton muss daher vor seinem Rivalen ins Ziel kommen, um sich die Krone zu sichern.
Verstappen holt den WM-Titel, wenn …
- er das Rennen in Abu Dhabi vor Hamilton beendet
- beide Fahrer ausscheiden oder das Rennen nicht in den Punkterängen beenden
- er Zehnter wird und dabei die schnellste Rennrunde fährt, wenn Hamilton nicht besser als Neunter wird
Hamilton holt den WM-Titel, wenn …
- er das Rennen in Abu Dhabi gewinnt
- er Verstappen hinter sich lässt und auf den Plätzen zwei bis acht landet
- er Neunter wird und Verstappen als Zehnter nicht die schnellste Rennrunde fährt
- er Zehnter wird und Verstappen hinter sich lässt
Der 24-jährige Verstappen steht vor dem ersten Titelgewinn seiner Karriere, die ihn mit 17 Jahren direkt in Formel 1 geführt hat. Gepriesen wurde er als Jahrhunderttalent, eingebremst aber auch durch sein bisweilen ungezügeltes Temperament. Verstappens zwölf Jahre älterer Konkurrent Hamilton steht beim denkwürdigen letzten Akt des Saisondramas mit Kollisionen, Beleidigungen und gegenseitigen Vorwürfen vor dem alleinigen Rekord von acht Titeln.
Furcht vor entscheidendem Crash
Vor dem Showdown der Formel 1 in Abu Dhabi herrscht daher Hochspannung. Vor allem die Furcht vor einem entscheidenden Crash zwischen Verstappen und Hamilton und die damit verbundene mögliche Entscheidung über den Titel am grünen Tisch liegt wie ein Schatten über dem spannendsten Finish seit Jahren. „Das ist Stoff für Legenden“, betitelte die Rennserie das Finale. „Kühler als die Klimaanlage“, bezeichnete die „Daily Mail“ die Eiszeit zwischen den Piloten.
Aufgrund der Ausgangslage, dass Verstappen auch ein Ausfall beider Fahrer zum Gewinn der WM-Krone reicht, sehen Beobachter den Niederländer psychologisch auch klar im Vorteil. „Eine Sache ist sicher: Hamilton hat mehr Angst vor Verstappen als umgekehrt“, befand der „Telegraaf“ aus Verstappens Heimat, den Niederlanden. Eine Entscheidung im „Infight“ sollte der Red-Bull-Star allerdings nicht suchen, denn Rennleiter Michael Masi stellte Verstappen bereits die Rute ins Fenster: „Max kann Lewis nicht einfach von der Strecke rammen“, warnte der Australier in der „Daily Mail“.
Masi stellte in seinen Anmerkungen noch vor dem Fahrerbriefing am Freitag klar, dass bei Zuwiderhandlung empfindliche Strafen drohen, etwa die Streichung von Punkten. Präzedenzfälle, als Fahrer mittels Rempeleien versuchten, den WM-Kampf zu ihren Gunsten zu entscheiden, gibt es aus der Vergangenheit zuhauf. Ayrton Senna machte es in seiner Karriere, Michael Schumacher – gemeinsam mit Hamilton aktuell noch Rekordweltmeister – auch. Beide wurden jeweils hart sanktioniert. Nichts wurde es mit dem WM-Titel, Schumacher wurde seinerzeit sogar für eine ganze Saison (1997) nachträglich disqualifiziert.
Showdown der Dauerrivalen
Verstappen wischte Mutmaßungen, er könnte den WM-Kampf auf die harte Tour entscheiden, jedenfalls vom Tisch. „Was immer notwendig“ ist, will der 24-Jährige nach eigener Aussage zwar unternehmen, um sich zu krönen, die Sache mit dem Unfall sei aber nur ein Ding der Medien. Verstappen fühlt sich eher als Opfer und Benachteiligter durch die Rennkommissare. Was andere dürften, würde bei ihm bestraft. Der Blick auf die vergangenen Rennen zeigt aber auch, wie der Sohn des ehemaligen Piloten Jos Verstappen auf der Strecke agiert: grenzwertig, und manchmal darüber hinaus.
Das Duell zwischen Verstappen und Hamilton ist auch eines zwischen Red Bull Racing und Mercedes. Seit 2010 ging der WM-Titel nur an Fahrer aus einem dieser beiden Teams. Das mit österreichischer Lizenz fahrende Red Bull Racing triumphierte mit Sebastian Vettel 2010, 2011, 2012 und 2013. Seitdem haben – auch dort unter österreichischer Führung mit Toto Wolff und lange auch Niki Lauda – die Silberpfeile die Nase vorne. Sechsmal holte Hamilton den Titel für Mercedes, 2016 triumphierte am Ende der Saison Nico Rosberg.
Längst hat der aktuelle Zweikampf das Duell der beiden damaligen Teamkollegen bei Mercedes weit überboten. Es ist ein teilweise schmutziges, bisweilen über dem Limit geführtes Ringen zwischen dem Shootingstar und dem Serienweltmeister. In Silverstone, in Monza und zuletzt in Saudi-Arabien kollidierten beide. Außerhalb giften sich die Teambosse gegenseitig an. In Abu Dhabi gab es dennoch ein prägnantes Bild, als Wolff und Christian Horner einander die Hände schüttelten und sich „viel Glück“ wünschten.
Räikkönen-Unfall bei Abschiedsvorstellung
Apropos Glück: das hatte auch Kimi Räikkönen in den letzten beiden freien Trainings seiner Karriere. Der Finne demolierte am Freitag seinen Alfa Romeo, als er in die Streckenbegrenzung krachte. Der 42-Jährige blieb unverletzt und kann damit – ein unfallfreies Qualifying am Samstag (14.00 Uhr, live in ORF1) vorausgesetzt – am Sonntag seinen letzten Grand Prix bestreiten.
Zu Ehren des Weltmeisters von 2007 fährt sein Teamkollege Antonio Giovinazzi am Wochenende mit dem Helmdesign, mit dem Räikkönen einst im Ferrari den bisher letzten Titel für die Scuderia geworden ist. Auf dem Auto steht zudem der an Räikkönens legendären Funkspruch angelehnte Satz: „Kimi, jetzt wir lassen dich in Ruhe.“
Grand Prix von Abu Dhabi
Freitag: