Red-Bull-Fahrer Max Verstappen bei der Champagner-Dusche
AP/Hassan Ammar
Formel 1

Verstappen darf WM-Triumph feiern

Eine der spannendsten WM-Entscheidungen seit Langem hat am Sonntag in Abu Dhabi ihren würdigen Abschluss gefunden. In einer durch eine Safety-Car-Phase ausgelösten, dramatischen letzten Runde schnappte Max Verstappen seinem Kontrahenten Lewis Hamilton den sicher geglaubten Titel noch weg und krönte sich zum ersten niederländischen Champion. Mercedes legte zwar Protest gegen die Wertung ein, beide Einsprüche wurden aber abgewiesen, und der 24-jährige Red-Bull-Pilot durfte feiern.

„Es ist unglaublich, es ist verrückt. Dieses Jahr war unglaublich“, sagte Verstappen, nachdem er mit seinem zehnten Saisonsieg die Herrschaft von Hamilton beendet hatte und sich seinen Jugendtraum erfüllt hatte: „Mein Ziel, als ich jung war, war Formel-1-Fahrer zu werden. Und jetzt stehst du hier und bist Weltmeister. Da kommt dir alles wieder in den Kopf. Die Reisen, alles, was wir zusammen gemacht haben. Meine Familie, meine Freunde, fast alle, die mich immer gepusht haben, sind hier. Es ist einfach fantastisch.“

Am Sonntagabend war Verstappens Triumph dann offiziell. Mercedes hatte gleich zweimal Protest eingelegt, beide Einsprüche wurden aber von den Stewards an der Rennstrecke abgelehnt. Die Silberpfeile haben allerdings noch die Möglichkeit auf höherer Ebene beim Motorsport-Weltverband FIA dagegen vorzugehen.

Verstappen holt WM in letzter Runde

Die denkwürdige letzte Runde des Grand Prix von Abu Dhabi war nichts für schwache Nerven.

Doppelter Mercedes-Protest erfolglos

Einmal handelte es sich um einen angeblichen Verstoß gegen Artikel 48.8 des Sportreglements. Dieser besagt, dass ein Fahrer während einer Safety-Car-Phase nicht überholen darf. Verstappen sei zwar tatsächlich einmal kurz vor Hamilton gewesen, nicht aber am Ende der Safety-Car-Phase, hieß es im Urteil.

Einen zweiten mutmaßlichen Verstoß sah Mercedes in Artikel 48.12 des Sportreglements. Den Silberpfeilen zufolge soll das Protokoll während der Safety-Car-Phase nicht eingehalten worden sein. Sechs Runden vor Rennende hatte Williams-Pilot Nicholas Latifi einen Crash, woraufhin das Safety Car auf die Strecke kam. Zwischen dem zu diesem Zeitpunkt Führenden Hamilton und Verstappen lagen fünf Autos.

Die Rennleitung um Michael Masi meldete zunächst, dass sich die überrundeten Fahrer zwischen den beiden nicht zurückrunden dürften. Dann teilte sie aber mit, dass genau diese fünf Autos doch überholen dürften, wodurch Verstappen plötzlich direkt hinter Hamilton lag.

Regelwerk mit Auslegungsmöglichkeiten der Rennleitung

Das Safety Car hätte nach Meinung von Mercedes in derselben Runde aber nicht wieder an die Box kommen dürfen. Die Regel besagt, dass das erst am Ende der nachfolgenden Runde erlaubt ist – und das wäre mit der Zieldurchfahrt gewesen. Verstappen hatte hingegen eine Runde vor Schluss gerade noch genug Zeit, um Hamilton von der Spitze zu verdrängen. Auch dieser Einspruch wurde mit Verweis auf das Regelwerk und die Auslegungsmöglichkeiten der Rennleitung zurückgewiesen.

Während Mercedes-Teamchef Toto Wolff zu letzterer Situation an Masi „das ist nicht richtig, Michael“ gefunkt hatte, hatte Red Bull offenbar ebenfalls interveniert. „Gott sei Dank hat das Team sofort reagiert. Und auch in der Rennleitung hat man sich endlich mal entschlossen, das Reglement als Basis zu nehmen“, erklärte Konsulent Helmut Marko.

Perez-Aufgabe aus taktischen Gründen

Auch die Aufgabe des auf Platz drei liegenden Sergio Perez hatte einen taktischen Hintergrund. Der Mexikaner hatte Öldruckprobleme an seinem Red Bull und hätte wohl eine weitere Safety-Car-Phase ausgelöst, wenn er auf der Strecke liegengeblieben wäre. Das hätte wohl Verstappens Chancen zunichtegemacht. Man verzichtete deshalb bei Red Bull auf einen möglichen Podestplatz sowie bessere Optionen in der Konstrukteurs-WM.

Wechselbad der Gefühle

Verstappen erlebte auf dem Weg zu seinem ersten WM-Titel ein Wechselbad der Gefühle: Zuerst verschlief der Red-Bull-Star den Start und musste Hamilton den Vortritt lassen, dann wehrte der nun entthronte Titelverteidiger den Gegenangriff ab. In der betreffenden Situation hatte Verstappen mit der Rennleitung noch Pech, denn die Stewards werteten die Abkürzung Hamiltons, nachdem sich beide Autos berührt hatten, nicht als regelwidriges Manöver.

In der Schlussrunde schlug das Pendel aber in der durch Latifis Unfall ausgelösten Safety-Car-Phase aus Hamiltons Sicht dramatisch um. Rennleiter Masi gab unter den Schreien des Entsetzens von Mercedes-Teamchef Wolff eine letzte Rennrunde frei und ermöglichte Verstappen damit die Chance, den Spieß noch einmal umzudrehen.

„Endlich ein bisschen Glück für mich“, sagte der neue Weltmeister nach diversen umstrittenen Szenen in dieser Saison. „Nach all dem Pech, das wir hatten, muss das Glück sich auch wenden“, so auch Red-Bull-Berater Marko im ORF. Zu diesem Zeitpunkt war der erste Fahrertitel seit jenem von Sebastian Vettel 2013 angesichts des Mercedes-Protests noch mit dem Zusatz inoffiziell behaftet.

Langes Nachspiel droht

Beide Teams hatten bereits im Vorfeld die Vorkehrungen für ein Nachspiel der WM-Entscheidung getroffen und waren mit Anwälten zum Saisonfinale an den Yas Marina Circuit gereist. Ein Protest von Mercedes hatte sich schon während der letzten Runde abgezeichnet. Denn Wolff hatte die Entscheidung, das Rennen noch einmal freizugeben, mehrfach kritisiert. „Das ist nicht in Ordnung“, hatte der Wiener hörbar erregt an die Rennleitung gefunkt. Sowohl Mercedes als auch Red Bull ließen zudem durchblicken, das Urteil anfechten zu wollen, sollte es zu ihren Ungunsten ausfallen.

Mercedes-Teamchef Toto Wolff
Reuters/Andrej Isakovic
Mercedes-Teamchef Wolff war nach der Freigabe des Rennens nicht gut auf die Verantwortlichen zu sprechen

Während Wolff die Niederlage bis zum Ausgang des Protests nicht kommentieren oder öffentlich eingestehen wollte, nahm sein geschlagener Titelverteidiger die Niederlage zumindest nach außen hin wie ein echter Champion. „Herzliche Gratulation an Max und sein Team. Sie haben einen großartigen Job gemacht“, sagte Hamilton, „aber ich bin so stolz auf mein Team, wir haben absolut alles gegeben. Ich habe mich im Auto toll gefühlt in den vergangenen Monaten. Warten wir ab, was nächstes Jahr passiert. Wir sind ja noch immer in einer Pandemie, ich wünsche mir, dass alle sicher bleiben“.

Jubel in den Niederlanden

Während bei Mercedes Katerstimmung herrschte, feierten die Verstappen-Fans in dessen Heimat Niederlande und in Abu Dhabi den Erfolg ihres Landsmannes ausgiebig. Dass sich der 24-Jährige in einer spannenden Aufholjagd den Weltmeistertitel sicherte, beschere dem niederländischen Sport „einen historischen Tag“, twitterte Ministerpräsident Mark Rutte. „Herzlichen Glückwunsch zu dieser phänomenalen Leistung. Wirklich fantastisch!“

Max Verstappen (Red Bull) nach seinem Sieg in Abu Dhabi
Reuters/Ahmed Jadallah
Nicht nur in Abu Dhabi, auch aus seiner Heimat hagelte es Glückwünsche für Verstappen

Hunderte Fans des neuen Champions brachen im Restaurant Zaal Housmans in der südniederländischen Stadt Montfort in Jubel aus, als Verstappen vor Mercedes-Fahrer Hamilton über die Ziellinie fuhr, berichtete die Nachrichtenagentur ANP. Das Lokal erlangte in den Niederlanden und im nahen Belgien Berühmtheit, weil Verstappens Großvater Frans hier bis zu seinem Tod 2019 etliche Rennen von Enkel Max am Fernseher verfolgt hatte.

Groß war der Stolz auch bei Verstappens Vater Jos, dem in seiner aktiven Karriere in 107 Rennen in der Formel 1 nicht einmal ein Rennsieg vergönnt war. „Es war eine sehr schöne Reise in meinen Augen. Die Jahre, die ich mit ihm zusammen verbracht habe, als er klein war, kommen jetzt hervor. Es macht mich sehr stolz, was da passiert. Und er hat es auch verdient. Ich glaube, Max war dieses Jahr der beste Fahrer. Vielleicht hatte er am Ende nicht das schnellste Auto, aber mit seinem Stil hat er die Weltmeisterschaft gewonnen“, sagte der 49-Jährige im ORF-Interview.

Grand Prix in Abu Dhabi

Endstand nach 58 Runden (306,2 km):
1. Max Verstappen NED Red Bull 1:30:17,345
2. Lewis Hamilton GBR Mercedes + 2,256
3. Carlos Sainz ESP Ferrari 5,173
4. Yuki Tsunoda JPN Alpha Tauri 5,692
5. Pierre Gasly FRA Alpha Tauri 6,531
6. Valtteri Bottas FIN Mercedes 7,463
7. Lando Norris GBR McLaren 59,200
8. Fernando Alonso ESP Alpine 1:01,708
9. Esteban Ocon FRA Alpine 1:04,026
10. Charles Leclerc MON Ferrari 1:06,057
11. Sebastian Vettel GER Aston Martin 1:07,527
12. Daniel Ricciardo AUS McLaren 1 Runde
13. Lance Stroll CAN Aston Martin 1 Runde
14. Mick Schumacher GER Haas 1 Runde

Out: Sergio Perez (MEX/Red Bull), Kimi Räikkönen (FIN/Alfa Romeo), Antonio Giovinazzi (ITA/Alfa Romeo), George Russell (GBR/Williams), Nicolas Latifi (CAN/Williams)

Nicht am Start: Nikita Mazepin (RUS/Haas) wegen CoV-Quarantäne

Schnellste Runde: Verstappen (1:26,103)