Karl Schranz, 1972
APA/dpa/Engberg
Olympia

Als der Schranz-Skandal Geschichte schrieb

Am Montag ist es genau 50 Jahre her, dass Karl Schranz von den Olympischen Spielen 1972 in Sapporo ausgeschlossen wurde. Der internationale Sportskandal, nach dem der Skistar bei seiner Heimkehr von 100.000 Menschen in Wien empfangen und auf dem Ballhausplatz bejubelt wurde, ist längst Teil heimischer Sportgeschichte. Mit dem Abstand eines halben Jahrhunderts ist nun aber auch die damalige Rolle der Medien in den Blickpunkt gerückt.

Der Anlass für das Ereignis ist prominenter Teil der österreichischen Olympiageschichte. Schranz wurde ein bei einem Fußballbenefizspiel getragenes Leibchen zum Verhängnis, auf dem der Name einer Kaffeemarke abgebildet war. Aus Sicht des damaligen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), des dem Skirennsport ablehnend gegenüberstehenden Avery Brundage (USA), widersprach das dem Amateurgedanken.

Schranz, dem schon vier Jahre zuvor beim Nebelslalom in Grenoble die sicher geglaubte Olympiagoldmedaille unter dubiosen Umständen abhandengekommen war, wurde von den Spielen ausgeschlossen und dadurch neuerlich zur tragischen Figur. Der Ausschluss des damals 33-jährigen Abfahrtsfavoriten löste nicht nur im österreichischen Olympiateam an Ort und Stelle und beim Österreichischen Olympischen Comite (ÖOC) Irritationen aus. Annemarie Pröll musste sich mit zweimal Silber begnügen, das einzige Gold holte die Eiskunstläuferin Trixi Schuba.

Karl Schranz und Peter Pilsl verlassen das olympische Dorf, 1972
APA/AFP/Nyberg/EPU
Schranz verpasste durch den Ausschluss seine letzte Chance auf Olympiagold und musste die Heimreise aus Japan antreten

Medial befeuerte Empörung in Österreich

In Österreich nahm die Empörung über den Schranz-Ausschluss rasch riesige Dimensionen an bzw. wurde diese täglich durch emotionale Artikel in den Zeitungen und dem Fernsehen befeuert. Die damals aufstrebenden Künstler Andre Heller und Georg Danzer schrieben sogar ein Dialektlied mit dem Titel „Der Karli soll leben“, das im Radio auf Dauerschleife lief.

TV-Hinweis

ORF 2 zeigt „Karl Schranz – Der Mann, für den Österreich auf die Straße ging“ am Samstag, 5. Februar, um 14.10 Uhr.

Schranz wurde bei seiner Rückkehr am 8. Februar in Schwechat vom damaligen Sportminister Fred Sinowatz (SPÖ) sowie trotz einstündiger Verspätung von Tausenden Fans empfangen. Spätestens als der Tiroler in einer offenen Limousine nach Wien gefahren und dabei im Auto stehend von Tausenden Menschen bejubelt wurde, bekam das Ganze den Charakter eines Staatsempfangs. Sogar Schulklassen bekamen die letzte Stunde frei, um dem Ereignis beiwohnen und dem vom Balkon des Bundeskanzleramtes winkenden Sportler zujubeln zu können.

Heute sehen viele im triumphalen Empfang ein medial inszeniertes Ereignis, das eine in Japan erlittene, nationale Schmach lindern sollte. „Es war Wahnsinn. Aber doch auch das innere Gefühl, Österreich hilft zu dir. Denn es waren Zuschauer da, obwohl du nichts gewonnen hast“, erinnert sich Schranz in einer aktuellen ORF-III-Neuproduktion, in der auch ein Stimmungsbild der damaligen österreichischen Gesellschaft gezeichnet wird, an seine damaligen Gefühle. Ihm selbst dürften aber zumindest Teile des Szenarios auch etwas unangenehm gewesen sein. Auch Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) begab sich erst auf die zweite Bitte von Schranz hin ebenfalls auf den Balkon.

Karl Schranz beim Empfangs nach seinem Ausschluss von den Olympischen Spielen in Sapporo 1972 am Balkon des Bundeskanzleramtes
APA/Fritz Kern
Auf dem Ballhausplatz jubelte eine riesige Menschenmenge dem auf dem Balkon des Bundeskanzleramtes stehenden Skistar zu

ORF-Generalintendant Bacher als „Orgelspieler“

Die Schranz-Sperre sei stark für populistische Zwecke missbraucht worden, heißt es mittlerweile. Der damalige ORF-Sportchef Thaddäus Podgorski spricht in der Ö1-Radiosendung „Leporello“ von einem „patriotischen Taumel“, von dem nicht nur Teile der österreichischen Gesellschaft, sondern auch der damalige ORF-Generalintendant Gerd Bacher erfasst worden sei. Die Staatsspitzen hätten vor allem wegen der von Bacher erzeugten „Hysterisierungskampagne“ gar nicht anders gekonnt, als Schranz im Bundeskanzleramt zu empfangen. Seine Sportabteilung habe Öl ins Feuer gießen sollen, sagt Podgorski auch in einem Interview mit der Wiener Wochenzeitung „Falter“.

Porträt von Karl Schranz

Der Tiroler gewann alles, was es im Skisport zu gewinnen gab, nur bei Olympia war der lebenden Skilegende kein Glück beschert

„Bacher hat mit dem Fernsehen und dem Radio gezeigt, was man mit so was anstellen kann“, erklärt Podgorski, später selbst ORF-Generalintendant, im betreffenden Ö1-Radiobeitrag weiter. „Man hat immer so dahin gesagt, das Fernsehen hat so eine Macht. Jetzt hat man es aber gesehen und gespürt.“ Kreisky meinte damals, ihm habe die ganze Schranz-Geschichte kalte Schauer über den Rücken gejagt. Bacher, der mit Schranz’ Skiausrüster Franz Kneissl gut befreundet war, warf er vor, eine „unbändige Lust“ zu haben, „auf der größten Orgel Österreichs so zu spielen, wie es ihm passt“.

Filzmaier: Rolle von Brundage unterbelichtet

Der österreichische Politologe und Sportexperte Peter Filzmaier sieht im Rückblick ein gewisses mediales Versagen auch dahingehend, als man sich völlig auf Schranz fokussiert, die Rolle von Brundage hingegen unterbelichtet blieb. „Der Mann war ein Rassist und Antisemit und hatte Mitschuld daran, dass die Propagandaspiele von Adolf Hitler 1936 stattfinden konnten. Und dieser Mann wurde später IOC-Präsident. Hierzulande hat damals aber nur interessiert, was er unserem Karli angetan hat“, sagte Filzmaier in einem APA-Interview.

IOC-Präsident Avery Brundage, 1972
APA/AFP/EPU
IOC-Präsident Avery Brundage bei der Bekanntgabe des Ausschlusses von Karl Schranz in Sapporo

In diesem kritisiert Filzmaier auch die „Doppelmoral“ des IOC und des Sports generell. Denn in Wahrheit habe es damals vor allem im Osten längst Staatsamateure und damit viele hauptberufliche Sportler gegeben. Und die Lebenslüge vom unpolitischen Sport sei objektiv gesehen ohnehin Unsinn.

Rücktritt und enorme Veränderungen im Sport

Der Rest ist wieder gut bekannt. Schranz trat kurz nach dem Skandal als dreifacher Weltmeister und zweimaliger Gewinner des Gesamtweltcups zurück, auch der ÖOC-Vorstand war bald Geschichte. Brundage starb rund drei Jahre später. Das strikte Werbeverbot bei Olympia wurde schon vier Jahre später aufgeweicht. Preisgelder bzw. Werbung im Sport sind inzwischen längst kein Tabu mehr, der Amateurparagraf ist längst Geschichte. Skirennläufer gleichen heute vielmehr rasenden Litfaßsäulen.

Schranz half später entscheidend mit, die alpine Ski-WM 2001 in seinen Heimatort St. Anton am Arlberg zu holen. Dort lebt der mittlerweile 83-Jährige auch heute noch.