Ukrainischer Ringer-Olympiasieger und Parlamentarier Schan Beleniuk bei den Spielen in Tokio 2021
APA/AFP/Jack Guez
Ukraine-Krieg

Sportler an der Front

Seine Mutter hat er in Sicherheit gebracht, er selbst bleibt in der Ukraine: Ringer-Olympiasieger und Parlamentarier Schan Beleniuk will den Menschen in seiner Heimat Mut zusprechen und hilft als einer von vielen aktiven und ehemaligen Sportstars an Ort und Stelle in der Hauptstadt Kiew. „Ich habe keine Angst. Auch wenn ich als Politiker womöglich noch gefährdeter bin als andere“, sagte der Goldmedaillengewinner der Olympischen Sommerspiele von Tokio 2021 der dpa.

Er wechsle ständig seinen Aufenthaltsort. „Aber ich bleibe in Kiew, solange ich kann. Es ist wichtig, dass wir den Menschen zeigen, dass wir für sie da sind und nicht wegrennen. Wir müssen sie beschützen“, sagte Beleniuk über den Krieg seit Beginn der russischen Invasion vor zwei Wochen.

Hunderttausende sind in den angegriffenen Städten in Not, mehr als eine Million Menschen sind aus der Ukraine geflüchtet, und mindestens Hunderte Zivilisten wurden dem UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) zufolge getötet. Die wahren Opferzahlen dürften laut OHCHR erheblich höher sein. Dem Fernsehsender Welt zeigte Beleniuk bei einem Interview eine von einer russischen Rakete zerstörte Sporthalle, in der er als Kind Basketball gespielt hatte. „Ich fahre hier vorbei und denke: Das kann doch alles nicht wahr sein.“

Hilfe und Zuspruch

Beleniuk, der in Kiew geborene Sohn eines Ruanders und einer Ukrainerin, sitzt für die Partei von Präsident Wolodymyr Selenski im Parlament. „Viele Menschen kennen mich und kommen mit ihren Bitten auf mich zu. Sie fragen nach Waffen, Medizin oder Nahrungsmitteln. Und ich versuche, sie an die entsprechenden Stellen weiterzuleiten“, sagte der zweimalige Weltmeister.

Auf seinem Instagram-Account informiert der 31-Jährige über die aktuelle Lage und kritisiert die Invasoren. Er habe auch vor Polizeikräften gesprochen, „um ihnen Mut zuzusprechen und ihnen unsere Dankbarkeit zu zeigen“.

Waffe statt Tennisschläger

Wie Beleniuk versuchen viele aktive und frühere Sportler, in ihrem Land nach der russischen Invasion zu helfen – einige greifen auch zur Waffe. Ex-Tennisprofi Sergej Stachowski meldete sich freiwillig als Reservist. „Ich habe keine militärische Erfahrung, aber ich habe private Erfahrungen mit einer Waffe“, sagte er Sky Sports.

Der 36-jährige Vater dreier junger Kinder, der vor wenigen Wochen noch bei den Australian Open gespielt hat, ging zurück in die Ukraine. „Ich wünsche keinem Vater auf der Welt, dass er diese Entscheidung treffen muss“, sagte Stachowski in einem Eurosport-Interview. Eigentlich habe er nach dem Ende seiner Karriere das Leben mit seiner Familie genießen wollen. „Aber stattdessen bin ich hier in Kiew mit einer Waffe und versuche zu zeigen, dass Russland das Falsche tut.“

Auf Instagram postete Stachowski ein Foto von sich mit seiner Familie und schrieb dazu: „Wir alle kämpfen für die Zukunft unserer Kinder (…) für eine Welt mit Zukunft.“ Sein serbischer Ex-Kollege Novak Djokovic habe ihm Hilfe für die Ukraine angeboten, finanzieller oder anderer Art, teilte Stachowski dort auch mit. Der deutsche Biathlet Erik Lesser überließ ihm in einer Solidaritätsaktion auf Instagram seinen Kanal für 24 Stunden. „Das ist mein Kiew. Wie ihr seht, sind das keine Militärgebäude. Hier töten russische Raketen Zivilisten“, schrieb Stachowski zu einem Bild eines zerstörten Hochhauses.

„Schließen Sie den Himmel über der Ukraine! Retten Sie unschuldige Leben“, appellierte Stachowski am Dienstag auf seinem eigenen Account an die NATO und für die Einrichtung einer Flugverbotszone. Dazu sprach er in einem Video unter anderen zusammen mit Beleniuk, Fußballtrainer und Ex-Teamspieler Serhij Rebrow, Boxweltmeister Oleksandr Ussyk und Abwehrspieler Oleksandr Sintschenko vom englischen Fußballmeister Manchester City.

Pidrutschnji und Klitschko-Brüder kämpfen

Es sind nur einige von vielen Beispielen: Ex-Biathlonweltmeister Dmytro Pidrutschnji verteidigt nur wenige Wochen nach seiner Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Peking plötzlich sein Land. Die jahrelang den Profiboxsport prägenden Brüder Wladimir und Witali Klitschko kündigten an, in der Ukraine zu bleiben und gegen die russischen Truppen zu kämpfen.

Ähnlich äußerten sich Schwergewichtsweltmeister Ussyk und Ex-Leichtgewichtschampion Wassyl Lomatschenko. Jurij Wernydub, der als Trainer mit seinem Fußballclub Sheriff Tiraspol aus Moldawien im Herbst sensationell in der Champions League bei Real Madrid gewann, hat sich ebenfalls freiwillig gemeldet.

Tymoschtschuks Schweigen sorgt für Ärger

Einer, der den russischen Angriffskrieg noch nicht verurteilt hat, ist der ukrainische Rekordnationalspieler Anatolij Tymoschtschuk. Der verärgerte Verband droht dem ehemaligen Fußballer mit dem Entzug seiner Trainerlizenz und von Ehrungen. Der 42-jährige Tymoschtschuk ist Assistenzcoach des russischen Meisters Zenit St. Petersburg aus der Heimatstadt von Kreml-Chef Wladimir Putin.

Witali Klitschko, Kiews Bürgermeister, rief die Einwohner am Montag angesichts der heranrückenden russischen Truppen unterdessen erneut zum Durchhalten auf. „Die Hauptstadt bereitet sich auf die Verteidigung vor“, sagte er. Bruder Wladimir sprach vom „größten Kampf“ seines Lebens. Man spüre in der Ukraine die Unterstützung aus vielen Teilen der Welt, sagte Beleniuk. Aber sie dürfe nicht nachlassen. „Wir sind stark. Aber wir wissen nicht, wie lange noch.“

Paralympics-Athleten können nicht mehr zurück

Einige Starter der Ukraine werden nach den Paralympics in Peking nicht mehr in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren können. „Die Situation ist fürchterlich“, sagte Andrej Nesterenko, der Cheftrainer der ukrainischen Para-Auswahl in China: „Wir haben sieben Menschen aus Charkiw in unserem Team, und einige von ihnen werden nicht mehr die Möglichkeit haben, dorthin zurückzukehren. Weil ihre Wohnungen oder Privathäuser zerstört sind.“

Verbandspräsident Waleri Suschkewitsch berichtete in einem Interview der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ebenfalls von einem bewegenden Fall. „Eine unserer Athletinnen konnte nicht antreten, weil sie ein Video erhalten hatte, wie ihr Vater von tschetschenischen Soldaten verprügelt worden ist“, sagte Suschkewitsch.