Eishockey-WM

Rot-weiß-rote Sensation mit vielen Vätern

Exakt 3.264 zahlende Zuschauer sind am Dienstag bei der WM 2022 in der Nokia Halle von Tampere Zeugen eines noch nie dagewesenen Moments geworden. Erstmals wurde nach einem Eishockeyspiel zwischen Österreich und Tschechien das rot-weiß-rote Banner zu den Klängen der Bundeshymne aufgezogen. Mit dem 2:1 nach Penaltyschießen gelang ein unerwartet großer Schritt Richtung Klassenerhalt. „Wir haben uns das hart erkämpft und auch verdient“, sagte Peter Schneider, einer der vielen Matchwinner an diesem Abend.

48 Stunden nach dem schon sensationellen Punktegewinn gegen die USA legten die Österreicher gegen den sechsfachen Weltmeister Tschechien in Tampere die nächste und gleich noch größere Sensation nach. Denn in 19 Versuchen davor war eine 3:4-Niederlage im Penaltyschießen bei einem Testspiel in Linz 2019 der größte Erfolg gegen die Eishockeygroßmacht gewesen. Die gezeigte Leistung, bei der man zwei Drittel einem 0:1-Rückstand nachgelaufen war, diesen in buchstäblich letzter Sekunde egalisierte und im Shootout das bessere Ende für sich hatte, fasste nicht nur Schneider stellvertretend für alle in der Halle mit einem Wort zusammen: „Unglaublich.“

Teamchef Bader ließ sich seine Emotionen zwar wie gewohnt nach einem Spiel nicht anmerken, sparte aber nicht mit Lob: „In einzelnen Faktoren waren wir noch stärker als gegen die USA. Die Defensive war sehr gut, das Boxplay (Unterzahl, Anm.) Weltklasse. Die Tschechen hatten es trotz vieler guter Spieler schwer, bei uns vorbeizukommen. Das war schon exzellent, wie wir das gespielt haben. Heute in der zweiten Pause habe ich gesagt: Keine ehrenvolle Niederlage, wir wollen das Spiel noch drehen und gewinnen“, sagte der Schweizer.

TV-Hinweis

Eishockey-WM 2022

Österreich – Norwegen

ab 15.15 Uhr, live in ORF1 und im Livestream auf tvthek.ORF.at

Drei stellvertretende Matchwinner

Am Ende waren es drei Hauptfiguren, die stellvertretend für eine neuerlich sensationelle Mannschaftsleistung standen. Da war einmal Schneider, der die Österreicher mit dem einzigen verwerteten Penalty der Marke Weltklasse („Ich wollte nicht zu viel nachdenken und habe improvisiert“) auf die Siegerstraße brachte. Ausgerechnet ein Spieler, der in den Anfängen seiner Karriere in Tschechien bei Ceske Budejovice und Znojmo Fuß fasste, brach dem Favoriten das sportliche Genick.

Dazu hielt Goalie Bernhard Starkbaum, was es zu halten gab und wenn nicht, hatte er in der Stange einen wertvollen Verbündeten. Im Shootout entschärfte er anschließend alle tschechischen Versuche, auch den letzten von David Krejci, 15 Jahre lang Superstar der Boston Bruins. „Penaltyschießen ist teilweise echt ein Glücksspiel. Ich versuche immer, so lange wie möglich zu warten, bis der Schütze die erste Bewegung macht, und dann reagiere ich darauf. Das ist mir heute gut gelungen“, sagte der 36-Jährige.

Peter Schneider (AUT) und Karel Vejmelka (CZE)
AP/CTK/Michal Kamaryt
Mit einem präzisen Backhand-Schuss ließ Schneider dem tschechischen Goalie Karel Vejmelka keine Chance

Ein Teil der Auszeichnung Matchwinner gehörte auch Brian Lebler, der 37,6 Sekunden vor der Schlusssirene den Puck zum Ausgleich über die Linie stocherte und damit die Verlängerung überhaupt erst möglich machte. Der Torjäger bewies dabei Geistesgegenwart, in dem er im letzten Moment die Scheibe noch mit dem Schläger berührte und so auch einen gültigen Treffer erzielte. „Es war ein Kampf um den Puck und natürlich ein bisschen Glück“, sagte der 33-Jährige, dem auch der umgekehrte „Samson-Effekt“ Glück brachte. Denn Lebler ließ sich als „Strafe“ für den entscheidenden Scheibenverlust gegen die USA die Mähne kürzen: „Ich musste etwas ändern“, so der Stürmer.

Starkes Gefüge mit „Geheimrezept“

In einem waren sich Schneider, Starkbaum und Lebler einig: Der historische Erfolg gegen Tschechien war der gesamten Mannschaft geschuldet. „Ich bin echt stolz, Teil dieser Mannschaft zu sein“, sagte daher auch Goalie Starkbaum, der den aufopfernden Einsatz seiner Vorderleute lobte: „Wir haben so viele Schüsse geblockt, mit dem Körper, mit dem Schläger, den Fuß noch reingebracht, so viele Hits ausgeteilt, die Kleinigkeiten richtig gemacht.“ Daher sei es auch möglich gewesen, den laut Starkbaum Fauxpas vor dem Gegentor, als die Abwehr auf Roman Cervenka vergessen hatte, auszubügeln.

Lebler trifft in letzter Sekunde

In der Schlussminute bugsiert der Torjäger den Puck noch über die Linie und ebnet Österreich den Weg in die Verlängerung

Verteidiger David Maier, einer der vielen Körper, die tschechischen Schüssen im Weg standen, verriet in der Stunde des Triumphs sogar das „Geheimrezept“ dieser österreichischen Mannschaft: „Kopf ausschalten, rausgehen und Spaß haben, hart spielen und es simpel halten, und dann passiert so was“, sagte der 22-jährige Kärntner, „mit dieser Einstellung machen wir es für jeden Gegner schwer“. Lebler pflichtete bei: „Wir haben in jedem Spiel eine Chance, müssen auf die Details achten, defensiv gut spielen und smart mit der Scheibe.“

Keinen Kopf für Party

An eine intensive Nachbetrachtung, im Volksmund auch Feier genannt, verschwendeten die Österreicher nach der größten rot-weiß-roten Eishockeysensation seit dem 2:2 bei der WM 2004 in Prag gegen Kanada aber keinen Gedanken. Denn bereits am Mittwoch wartet mit Norwegen (ab 15.15 Uhr, live in ORF1) die nächste Partie. „Natürlich ist es was Bedeutendes, und ich freue mich natürlich und nehme im Hotel ein Bier, aber meine Gedanken sind schon bei Norwegen“, wollte aber etwa Teamchef Bader mit sich und seinen Spielern nicht zu streng sein.

Die große Chance, dem Klassenerhalt mit drei weiteren Zählern gegen Norwegen und einer möglichen Gesamtausbeute von sechs Zählern nach vier Partien einen Riesenschritt näherzukommen, ist auch den Spielern bewusst: „Mit so einer Mannschaftsleistung wie heute können wir das wiederholen“, zeigte sich etwa Goalie Starkbaum zuversichtlich. Der gebürtige Wiener wird gegen die Norweger aber wahrscheinlich wieder den Daumendrücker spielen. Denn sein gegen die USA groß aufspielender Kollege David Kickert durfte die Sensation gegen Tschechien als Zuschauer verfolgen und wäre ausgeruht.

Gruppe B in Tampere

Tabelle:
1. Finnland 7 6 0* 1** 0 25:5 19
2. Schweden 7 5 1* 1** 0 27:10 18
3. Tschechien 7 4 0* 1** 2 19:13 13
4. USA 7 3 2* 0** 2 18:12 13
5. Lettland 7 2 1* 0** 4 14:20 8
6. Österreich 7 1 1* 2** 3 16:22 7
7. Norwegen 7 1 1* 0** 5 15:29 5
8. Großbritannien 7 0 0* 1** 6 10:33 1

* Sieg nach Verlängerung/Penaltyschießen (zwei Punkte)
** Niederlage nach Verlängerung/Penaltyschießen (ein Punkt)

Top Vier im Viertelfinale - Gruppenletzter steigt ab

Spielplan:
13.05. USA Lettland 4:1
Finnland Norwegen 5:0
14.05. Österreich Schweden 1:3
Tschechien Großbritannien 5:1
Finnland Lettland 2:1
15.05. Norwegen Großbritannien 4:3 n.P.
Österreich USA 2:3 n.V.
Schweden Tschechien 5:3
16.05. Lettland Norwegen 3:2
Finnland USA 4:1
17.05. Österreich Tschechien 2:1 n.P.
Schweden Großbritannien 6:0
18.05. Österreich Norwegen 3:5
Schweden Finnland 3:2 n.P.
19.05. USA Großbritannien 3:0
Tschechien Lettland 5:1
20.05. Finnland Großbritannien 6:0
Österreich Lettland 3:4 n.P.
21.05. USA Schweden 3:2 n.V.
Österreich Finnland 0:3
Tschechien Norwegen 4:1
22.05. Lettland Großbritannien 4:3
Schweden Norwegen 7:1
23.05. Tschechien USA 1:0
Österreich Großbritannien 5:3
24.05. Schweden Lettland 1:0
USA Norwegen 4:2
Finnland Tschechien 3:0