Martin Hinteregger im ÖFB-Dress von hinten
GEPA/Philipp Brem
Fußball

Passender Abgang für einen Unangepassten

Der Abgang kam unerwartet und war ein Knalleffekt, passt aber durchaus zur Karriere von Martin Hinteregger. Der 67-fache ÖFB-Teamspieler war in seiner gesamten Laufbahn ein im System eher unangepasster Spieler. Ein Beleg dafür sind die Schlagzeilen, die der Kärntner als Fußballprofi geliefert hat. Diese füllen wahrlich Bücher. Von Salzburg verabschiedete sich der heute 29-Jährige ebenso in Ungnade wie vom FC Augsburg. Ein Video von einer feuchtfröhlichen Feier im Augsburger Trainingslager sorgte ebenso für Aufruhr wie das Überziehen des Zapfenstreichs im ÖFB-Teameinsatz.

Die „Frankfurter Rundschau“ zollte Hinteregger für seinen Entschluss jedenfalls Respekt: „Es ist ein außergewöhnlicher Schritt, der aber zu diesem liebevollen Unikat passt, das nur schwer greifbar ist, das seinen eigenen Kopf hat und in keine Schablone passt. In Schubladen schon mal gar nicht. ‚Hinti‘ ist ein Bauchmensch, und wenn er spürt, es geht nicht mehr, dann geht es nicht mehr. Ende, Aus. Es ist eine mutige Entscheidung, die Respekt und Achtung verdient.“ Die „Bild“ schrieb von Problemen, die sich aufstauten. „Sein Lebenswandel missfiel den Verantwortlichen schon lange“, schrieb die Zeitung.

Einfach war es mit Hinteregger offenbar nie. Von seiner Heimat Sirnitz aus zog es den jungen Kärntner mit 14 Jahren in die Akademie von Salzburg. Unter Huub Stevens absolvierte er seine ersten Einsätze in der Bundesliga, in der er im Herbst 2010 debütierte. Mit Salzburg sollte der Verteidiger nicht nur einen Titel feiern: dreimal Meister, dreimal Cupsieger – aber auch ein Disput. Nach dem neuerlichen Aus in der Qualifikation zur Champions League 2015 äußerte Hinteregger öffentliche Kritik am Team. Trainer Peter Zeidler war nicht erfreut.

Hinteregger zieht Schlussstrich

Martin Hinteregger hat am Donnerstag überraschend sein sofortiges Karriereende bekanntgegeben. Bei seinem Arbeitgeber Eintracht Frankfurt bat er um die Auflösung seines Vertrages.

Schon im darauffolgenden Winter erfolgte als Lösung des schwelenden Konflikts die Leihe zu Mönchengladbach, im Sommer darauf verabschiedete sich Hinteregger endgültig nach Deutschland: Augsburg holte den Innenverteidiger, der offenbar einen Transfer zu RB Leipzig kategorisch ausschloss. Er habe „eine Wut auf Leipzig gehabt, weil Salzburg symptomatisch kaputtgeht“, erklärte Hinteregger wenige Wochen später. Ein Blatt vor den Mund nahm er sich selten.

Der damalige Salzburg-Trainer Peter Zeidler und Spieler Martin Hinteregger im Jahr 2015
GEPA/Felix Roittner
Schon zu Beginn seiner Karriere bei Red Bull Salzburg hielt Martin Hinteregger mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg

Die „Hinti-Army“ in Frankfurt

Auch in Augsburg blieb das nicht verborgen. Mit Coach Manuel Baum gab es Meinungsverschiedenheiten. „Ich kann nichts Positives, aber auch nichts Negatives über den Trainer sagen“, sagte Hinteregger über den Coach, der ihn aufs Abstellgleis stellte. Eintracht Frankfurt unter Trainer Adi Hütter schlug im Winter 2019 per Leihvertrag zu.

In Frankfurt wurde er zum Publikumsliebling. Bilder von „Hinti“ mit einer Kiste Bier auf dem Weg in die Kabine sorgten für Sympathiepunkte. „We’re Hinti Army now“ sangen die Eintracht-Fans zu Ehren des Österreichers. Im Sommer musste Hinteregger nach Augsburg zurück. Es folgte ein Handyvideo des offenbar nicht mehr ganz nüchternen Profis bei einem abendlichen Ausflug während des Trainingslagers in Bad Häring (Tirol). Nach zähem Ringen holte die Eintracht Hinteregger dann fix.

Martin Hinteregger jubelt mit Frankfurt-Fans
APA/AFP/Lluis Gene
Bei den Frankfurter Fans hatte Martin Hinteregger ein sehr gutes Standing

Ausgelassene Geburtstagsfeier im ÖFB-Teamcamp

Auch Österreichs damaliger Teamchef Franco Foda machte kurz darauf Bekanntschaft mit einem feiernden Hinteregger. Dieser überzog bei einer Feier zu seinem 27. Geburtstag den Zapfenstreich weit. Die Reise zum EM-Qualispiel in Polen am darauffolgenden Tag blieb Hinteregger daraufhin verwehrt. „Ich habe meinen Geburtstag zu einem ungünstigen Zeitpunkt gefeiert“, sagte er später. Unter Foda blieb er danach aber Stammkraft.

Wie bei der enttäuschenden Endrunde 2016 gelang Hinteregger mit Österreichs Auswahl auch der Sprung zur EM 2021, wo im Achtelfinale gegen Italien Schluss war. Die Spiele unter Neo-Coach Ralf Rangnick verpasste er verletzungsbedingt. Gesehen habe er keines davon, sagte Hinteregger erst vor wenigen Tagen im „Standard“-Interview.

Hinteregger wird mit dem Ende seiner Karriere in den Legendenclub des ÖFB aufgenommen. Sportdirektor Peter Schöttel bedankte für seine Leistungen in 67 Länderspielen. „Er ist ein sehr individueller Typ mit Ecken und Kanten, mit dem sich viele Menschen und Fans identifizieren konnten. Seine großen fußballerischen Qualitäten haben unsere Mannschaft über viele Jahre bereichert und verstärkt. Ich wünsche ihm für die Zeit nach der Karriere in allen Lebensbereichen alles Gute“, sagte Schöttel.

Die Medien „wollen perfekte Profis“

Zuletzt machte Hinteregger Schlagzeilen mit der Causa um eine öffentlich gewordene Zusammenarbeit mit Heinrich Sickl, der in Graz Räumlichkeiten an die rechtsextremen Identitären vermietet hatte, im Hintergrund weiter. Bei der Eintracht wurde das interessiert verfolgt. Aus der Aussprache wurde am Donnerstag dann ein Rücktritt – auch in Frankfurt war die Überraschung groß.

Inwiefern das jüngste Kapitel in seiner Karriere noch Einzug in das von ihm mitgeschriebene Buch „Innensicht“ finden wird, bleibt abzuwarten. Als Koautor schrieb Hinteregger u. a. darüber, wie er der drohenden Spielsucht entfliehen konnte oder wie ihn der Druck der Öffentlichkeit in ein tiefes, schwarzes Loch fallen ließ. Dem stehen Anekdoten entgegen, warum er eine Nacht im Aufzug verbrachte oder wie er vor einem Spiel gegen Bayern München auf einer Rodel die Stiegen einer Kellerbar hinunterrutschte.

Langweilig war es in Hintereggers Fußballkarriere nicht. Im „Standard“ meinte er zuletzt über die Medienlandschaft: „Die wollen perfekte Profis wie einen Haaland und nicht welche, die aus der Maschinerie raustreten. Die mit Ecken und Kanten werden nicht mehr gewünscht, obwohl ich das gut finden würde, dass genau das gefördert wird.“

Steckbrief Martin Hinteregger

  • Geboren: St. Veit/Glan
  • Geburtsdatum: 7. September 1992
  • Größe: 1,86 m
  • Position: Innenverteidiger
  • Aktueller Club: Eintracht Frankfurt (seit Winter 2019)
  • Karrierestationen: Red Bull Salzburg (2006–2016), Borussia Mönchengladbach (2016/erste Jahreshälfte per Leihvertrag), FC Augsburg (2016–2019), Eintracht Frankfurt (Ende Jänner 2019 zunächst als Leihe von Augsburg, ab August 2019 fix verpflichtet bis 23. Juni 2022/vorzeitige Vertragsauflösung)
  • Länderspieldebüt: 19. November 2013 (1:0 in Wien gegen die USA)
  • Länderspiele: 67 (vier Tore), zwei EM-Teilnahmen (2021 Achtelfinale, 2016 Gruppenphase)
  • Größte Erfolge: Europa-League-Sieger 2022, Europa-League-Halbfinalist 2019 (jeweils mit Frankfurt)
  • Titelgewinne in Österreich: Österreichischer Meister 2012, 2014, 2015, 2016, 2017; Österreichischer Cupsieger 2012, 2014, 2015, 2016 (alle mit Salzburg)