Englands Trainer Gareth Southgate spricht während eines Trainings mit Spielern
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FIFA WM 2022

Southgate und England müssen liefern

Englands Leidensweg bei Fußballgroßereignissen ist hinlänglich bekannt. Mit Ausnahme des WM-Triumphs 1966 im eigenen Land gelang den „Three Lions“ kein einziger großer Titelgewinn, zuletzt scheiterte man im EM-Finale vor eineinhalb Jahren im Wembley-Stadion an Italien, und zwar in bester englischer Tradition im Elfmeterschießen. Vor dem Auftaktspiel am Montag gegen den Iran (14.00 Uhr, live in ORF1) spricht einiges für ein Ende der Misserfolgsserie – aber auch einiges dagegen. Fest steht, dass England liefern muss. Denn Teamchef Gareth Southgate ist angezählt.

Als Vorteil für die „Three Lions“ gilt der Zeitpunkt des Turniers. Normalerweise kommen die Kicker von einer harten Premier-League-Saison geschlaucht zu einer WM, diesmal sollten sie sich in starker physischer Verfassung befinden. Größter Pluspunkt ist aber die Qualität des Kaders. England verfügt vor allem in der Offensive über viele hochkarätige Spieler.

Im Gegensatz dazu gilt die Abwehr als fehleranfällig. Um dieses Manko zu kaschieren, setzt Teamchef Southgate oft auf Defensive, was zuletzt aber auch nicht den gewünschten Erfolg brachte. Im September stieg England aus der höchsten Klasse der UEFA Nations League ab. Das letzte Gruppenspiel, ein Heim-3:3 gegen Deutschland, war sinnbildlich für die englischen Probleme.

Engländer starten gegen den Iran

Mit England steigt am Montag eines der ersten Topteams ins Turnier ein. Für die Mannschaft von Gareth Southgate zählt im Spiel gegen den Iran nur der Sieg. Dieser soll eine Reihe von Enttäuschungen vergessen machen.

Sechs sieglose Spiele in Nations League

In den sechs sieglosen Spielen in der Nations League fehlte es England an Kreativität und Toren, und in der Defensive herrschte Chaos, vor allem bei der 0:4-Heimniederlage gegen Ungarn. Angeführt werden die Engländer von einem Teamchef, Gareth Southgate, unter Druck. Zwar sagte Southgate, als die Nations League schon misslungen war, fast trotzig im September: „Ich bin der Richtige.“ Doch glaubt man englischen Medien, stand der Ex-Profi im Herbst kurz vor der Ablöse.

FIFA WM 2022, Gruppe B

Montag 14.00 Uhr, live in ORF1

England – Iran

al-Rajjan, Khalifa International Stadium, SR Claus (BRA)

Mögliche Aufstellungen:

England: Pickford – Trippier, Stones, Maguire, Shaw – Rice, Bellingham – Saka, Mount, Sterling – Kane

Iran: Abedsadeh – Moharrami, Kanaanisadegan, Chalilsadeh, Hadschsafi – Dschahanbachsch, Esatolahi, Ghoddos, Nurollahi, Taremi – Asmun

Die Spieler stärkten ihm den Rücken. „Er hat in den letzten Jahren gezeigt, was er diesem Team gibt“, sagte Offensivmann Raheem Sterling. Er sei ein Trainer, dem „alle Jungs vertrauen“ und dem „wir alle in seine Richtung folgen wollen“. Ex-WM-Torschützenkönig Gary Lineker fasste zusammen: „Wenn England gezwungen ist, seine Stärken zu zeigen (Angreifen, Anm.), dann wirken sie wie eine gute Mannschaft. Wenn sie versuchen, ihre Schwächen zu überdecken (Verteidigen, Anm.), wirken sie wie eine schlechte Mannschaft.“

Der nunmehrige TV-Moderator reihte sich damit in eine immer größer werdende Reihe von Southgate-Kritikern ein. Bei der WM 2018 wurde der 52-jährige Trainer mit dem Semifinal-Einzug zum Darling der Nation, doch seit dem Vorjahr mehren sich die Zweifel. Damals entfachten die Engländer bei der EM eine große Euphorie, das Finale und Southgates Entscheidungen rund um das Elferschießen sorgten aber für Ernüchterung. So wurden etwa Marcus Rashford und Jadon Sancho erst spät eingewechselt – und beide scheiterten bei ihren Penalties.

Stimmung nach Nations League gekippt

Seit der Nations League ist die Stimmung aber endgültig gekippt. Da hilft es nichts, dass Southgate eine ansehnliche Bilanz vorzuweisen hat. Seit seinem Amtsantritt im Herbst 2016 hat er fünf K.-o.-Spiele bei großen Turnieren gewonnen, in den 66 Jahren zuvor war das England nur neunmal gelungen. In den vergangenen sechs Jahren hat Southgate seine Truppe in zwei Halbfinale geführt, in den 66 Jahren davor hatte England nur drei erreicht.

Dennoch muss der Coach in Katar liefern, sonst ist er wohl den Job wohl los – trotz seines bis 2024 laufenden Vertrags. „Ich weiß, dass ich dafür beurteilt werde, was bei der WM passiert. Ich bin nicht so arrogant zu glauben, mein Vertrag wird mich davor schützen“, erklärte Southgate. Er sei aber zuversichtlich und appellierte an die Spieler. Sie hätten die Chance, mit dem WM-Titelgewinn in Katar zum größten englischen Team überhaupt zu werden: „Wir wollen, dass die Spieler den Enthusiasmus spüren, den sie seit ihrer Kindheit haben.“

Ein Schlüsselspieler in Englands Team ist Kapitän Harry Kane, der in dieser Saison nach 15 Spielen bei zwölf Premier-League-Toren hält. Im Nationalteam traf Kane in 75 Spielen 51-mal, bei der WM in Russland bekam er dank sechs Treffern den Goldenen Schuh überreicht. Als potenzielles Trumpf-Ass wird der 19-jährige Dortmund-Mittelfeldspieler Jude Bellingham gehandelt. Auch Mason Mount und Phil Foden stehen für Talent.

Iranisches Team auf Fußball konzentriert

Alles andere als ein Auftaktsieg gegen den Iran wäre eine Überraschung. Der in der FIFA-Rangliste auf Platz 20 aufscheinende Iran wird zum dritten Mal in Folge vom erfahrenen Portugiesen Carlos Queiroz ins Turnier geführt. Die Teilnahme steht im Schatten der politischen Proteste im eigenen Land. Der Tod einer jungen Frau in Polizeigewahrsam hatte diese ausgelöst. Aktivisten hoffen auf Solidaritätsbekundungen der Spieler auf der Weltbühne.

Flügelspieler Alireza Jahanbakhsh erklärte jedoch in dieser Woche, dass sich die Spieler nur darauf konzentrieren, zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Gruppenphase zu überstehen. „Ich habe immer gelernt, das Trikot zu respektieren, das Team Melli zu respektieren, egal was passiert“, sagte er zu Reportern. Man wolle den Menschen in der Heimat „Freude machen und Glück bringen“. Gelingen soll der sportliche Erfolg erneut mit geradliniger Kontertaktik.