FIFA WM 2022

Marokko steigt als Gruppensieger auf

Marokko hat am Donnerstag nicht nur die erste WM-Achtelfinal-Teilnahme seit 1986 fixiert, sondern mit einem 2:1-Sieg gegen Kanada in Katar auch noch sensationell die Gruppe F vor Kroatien und Belgien für sich entschieden. Die Kanadier, die schon zuvor keine Chance auf den Aufstieg mehr hatten, blieben hingegen auch in ihrem sechsten WM-Spiel ohne Punkt.

Hakim Ziyech sorgte vor 43.102 frenetischen Fans im Al Thumama Stadium von Doha nach einem Goalie-Patzer für den marokkanischen Traumstart (4.), Youssef En-Nesyri (23.) erhöhte, ehe vor der Pause ein Eigentor von Nayef Aguerd (40.) noch einmal für Spannung sorgte. Kanada lief an und hatte mit einem Lattentreffer durch Atiba Hutchinson Pech (72.), Marokko brachte den Gruppensieg über die Zeit und trifft im Achtelfinale nun auf Spanien.

Kanada kann die Lehren für die Heim-WM 2026 ziehen, in der Tabelle blieb man punktelos. Marokko gewann die Gruppe F ungeschlagen mit sieben Zählern, Kroatien (5) stieg knapp vor Belgien (4) auf.

Riesenpatzer führt zum 1:0 (4. Minute)

Kanada-Torhüter Borjan entfernt sich nach einem Pass zu weit vom Tor, Hakim Ziyech nutzt die Chance und erzielt den Führungstreffer.

Beide Teams mit klaren Zielen

Auch wenn Kanada vor diesem Spiel schon ausgeschieden war, hatte man ein klares Ziel: im sechsten WM-Spiel erstmals anschreiben. Das erste Tor gelang beim 1:4 gegen Kroatien. Marokko hatte die zweite Achtelfinal-Teilnahme, die erste nach 36 Jahren, im Visier. Dafür reichte den Nordafrikanern nach dem 2:0 gegen Belgien bereits ein Remis.

Beide Teamchefs stellten ihre Mannschaften etwas um, Kanadas John Herdman brachte gleich vier neue Spieler, Marokkos Walid Regragui veränderte seine Anfangsformation wieder auf Einsertormann Bono, dem gegen Belgien kurz vor Anpfiff schwindlig gewesen war, und brachte Stürmer Abdelhamid Sabiri.

Patzer sorgt für Traumstart

Marokko legte auf dem Weg ins Achtelfinale einen Traumstart hin, durfte sich aber auch beim kanadischen Goalie bedanken. Nach einem Rückpass von Steven Vitoria sprang Milan Borjan der Ball so weit weg, dass Hakim Ziyech aus 34 Metern direkt übernehmen und das Leder mit einem Heber elegant ins leere Tor befördern konnte (4.).

Kanadisher Tormann Milan Borjan
AP/Frank Augstein
Kanadas Tormann Milan Borjan hatte nach seinem folgenschweren Patzer nur das Nachsehen

Mit der Führung im Rücken, konnte Marokko noch befreiter aufspielen und hatte das Geschehen weiter im Griff. Auch weil sich Kanada zunächst nach vorn hin harmlos präsentierte und Marokko mit Mittelfeldpressing die wichtigen Zweikämpfe für sich entschied.

Marokko legt nach, Kanada verkürzt

Nach rund einer Viertelstunde gelang dann auch Kanada erstmals ein vernünftiger Angriff, Cyle Larins Hereingabe brachte Tajon Buchanan aber nicht auf das Tor (15.). Besser machten es die Marokkaner: Achraf Hakimi gab Youssef En-Nesyri den Laufpass, und der Sevilla-Stürmer bezwang Borjan mit einem scharfen Abschluss ins kurze Eck (23.).

Marokko präsentierte sich in der ersten Hälfte besonders effizient und konnte sich auf der komfortablen Führung ausruhen. Von Kanada kam weiter nicht viel, aber aus dem Nichts gelang dann vor der Pause doch noch der Anschlusstreffer. Samuel Adekugbe brachte von links die Hereingabe, und Nayef Aguerd lenkte den Ball ins eigene Tor, Goalie Bono konnte den 100. WM-Treffer in Katar nicht verhindern (40.). Es blieb beim 1:2 zur Pause, weil ein weiterer Treffer von En-Neysri wegen einer Abseitsstellung von den Offiziellen zurückgenommen wurde.

Eigentor bringt Kanada heran (40. Minute)

Nayef Aguerd lenkt eine Hereingabe ins eigene Tor ab.

Kanada kommt nach Pause auf

Teamchef Herdman dürfte in der kanadischen Kabine wieder ein paar deutliche Worte fallen lassen haben, denn Kanada startete mit viel Engagement in die zweite Hälfte. Marokko ließ den Gegner in dieser Phase kommen, verteidigte aber im letzten Drittel weiter gut – einzig nennenswerte Chance war da ein Davies-Schuss am Tor vorbei (58.).

Um den ersten Punkt in der kanadischen WM-Geschichte doch noch einzuheimsen, brachte Herdman nach einer Stunde drei frische Kräfte ins Spiel. Marokko verließ sich in dieser Phase weiterhin gänzlich auf die defensive Stabilität zulasten der eigenen Angriffsbemühungen.

Latte verhindert Ausgleich

Aus dem Spiel heraus konnte Kanada weiterhin die Marokkaner kaum aus der Reserve locken, und nach einem ruhenden Ball war den Nordamerikanern dann auch das Glück nicht hold. Nach einer Ecke von rechts stieg „Joker“ Atiba Hutchinson am höchsten und köpfelte den Ball wuchtig an die Querlatte, das Leder kam genau auf der Linie auf, und den Abpraller legte Alistair Johnston über den Kasten (72.).

Lattenkopfball von Hutchinson (71. Minute)

Der „Joker“ hat mit seinem Abschluss Pech.

Im Finish blieb Kanada dran, holte sich immer wieder den Ball, aber kam zu keinen nennenswerten Chancen mehr. Marokkos Konter verliefen im Sand, und das notwendige Glück hatte man bei einem Missverständnis in der Abwehr auch noch – Bono hielt das 2:1 fest und damit den viel umjubelten und überraschenden Gruppensieg.

Stimmen zum Spiel:

Walid Regragui (Marokko-Teamchef): „Wir wollten Geschichte schreiben. Wir haben alles gegeben und dieses Match gewonnen. Wir sind sehr glücklich. Die Spieler verdienen das, sie wollten Erster werden, das kann auch nicht jeder. Wir hatten den Vizeweltmeister (Kroatien, Anm.) und den WM-Halbfinalisten (Belgien, Anm.) in unserer Gruppe und konnten uns gegen die behaupten. Das Achtelfinale werden wir genießen, wir möchten noch weiter kommen.“

Hakim Ziyech (Marokko-Torschütze): „Es war uns von Anfang an klar, dass es schwierig sein wird. Aber wir haben uns an unseren Plan und an unsere Strategie gehalten, und es hat geklappt. Wir haben unser Bestes gegeben und Geschichte geschrieben. Natürlich ist es auch schön, in einem WM-Spiel zu treffen.“

John Herdman (Kanada-Trainer): „Ich bin stolz darauf, was die Jungs hier gezeigt haben. Natürlich tut das weh, aber es gibt kein Spiel, auf das wir nicht stolz sind. Wir haben in jedem Spiel gut mitgespielt. Das ist das erste Mal, dass wir seit 36 Jahren dabei sind – jetzt lernen wir gemeinsam weiter. Das war der erste Schritt ins große Ungewisse, und wir haben viel über das Team herausgefunden.“

Atiba Hutchinson (Kanada-Mittelfeldspieler): „Wir haben heute wieder alles gegeben, aber es reichte leider nicht. Wir wollten so gerne mit den ersten Punkten für dieses Land diese WM verlassen. Wir sind deswegen enttäuscht. Aber wir haben trotzdem eine tolle Leistung gezeigt und sind stolz auf uns, nach so langer Zeit wieder dabei gewesen zu sein.“

FIFA WM 2022, Gruppe F, dritter Spieltag

Donnerstag:

Kanada – Marokko 1:2 (0:1)

Doha, Al Thumama Stadium, 43.102 Zuschauer, SR Claus (BRA)

Torfolge:
0:1 Ziyech (4.)
0:2 En-Nesyri (23.)
1:2 Aguerd (40./Eigentor)

Kanada: Borjan – Johnston, Vitoria, Miller – Hoilett (76./Wotherspoon), Osorio (65./Laryea), Kaye (60./Hutchinson), Adekugbe (60./Kone) – Buchanan, Larin (60. David), Davies

Marokko: Bounou – Hakimi (85./Jabrane), Aguerd, Saiss, Mazraoui – Amrabat, Ounahi (76./El Yamiq), Sabiri (65./Amallah) – Ziyech (76./Hamdallah), En-Nesyri, Boufal (65./Aboukhlal)

Gelbe Karten: Hoilett, Osorio, Adekugbe, Vitoria