jubelnde Marokkaner feiern ihren Trainer
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FIFA WM 2022

Marokko ist wie „Rocky“

Die erstaunliche Reise von Marokkos Fußballern bei der WM in Katar geht weiter. Den Außenseiter trennt nur noch ein Sieg vom Endspiel. Der Titeltraum wird immer größer. Als erster WM-Halbfinalist aus Afrika sorgten die Marokkaner nach dem 1:0-Sieg gegen Portugal am Samstag für Jubelfeiern in vielen Städten ihres Kontinents, aber auch in Europa. Marokkos Trainer zieht bereits Vergleiche mit einem berühmten Filmcharakter.

Bevor am Mittwoch (20.00 Uhr, live in ORF1) im Halbfinale Titelverteidiger Frankreich wartet, musste das Team von Trainer Walid Regragui in Doha über eine Halbzeit gegen Ex-Europameister Portugal mit dem nur nach 50 Minuten eingewechselten Cristiano Ronaldo die 1:0-Führung durch Youssef En-Nesyri (42. Minute) verteidigen. Auch dann noch mit unbändiger Leidenschaft, als die ersten Spieler des Außenseiters mit Muskelkrämpfen kämpften.

„Es ist sehr hart, uns zu schlagen. Das ist die Botschaft, die ich senden möchte“, sagte Regragui nach dem Triumph im ohrenbetäubend lauten Al Thumama Stadium. Der 52-fache Nationalspieler Marokkos hat es als ehemaliger Abwehrspieler geschafft, dass seine Auswahl weiterhin mit nur einem Gegentor durchs Turnier marschiert, und das war ein Eigentor beim 2:1 gegen Kanada.

Marokko im Halbfinale

Am Samstag konnte sich Marokko bei der WM auch gegen Portugal durchsetzen. Das Land feiert nun den Einzug ins Halbfinale. Dort trifft Marokko am Mittwoch auf Weltmeister Frankreich.

Marokko ist wie „Rocky“

„Wir haben so viele Menschen auf der Welt glücklich gemacht“, sagte Regragui und fand einen filmischen Vergleich: „Wir sind der Rocky dieser WM. Wenn man Rocky Balboa gut findet, dann wegen seiner Leidenschaft. Man muss träumen und daran glauben.“

Wie der berühmte Boxcharakter von Sylvester Stallone musste auch Marokko bei den beiden Siegen in der K.-o.-Runde gegen Spanien und Portugal viel einstecken. Noussair Mazraoui vom FC Bayern fehlte krank, Nayef Aguerd von West Ham verletzt. Kapitän Romain Saiss von Besiktas Istanbul musste verletzt vom Rasen getragen werden. Achraf Hakimi, so der Coach, habe „sich schlecht gefühlt, aber er hat gekämpft“.

jubelnde Marokkaner
AP/Martin Meissner
Die Freude über den Einzug ins Halbfinale kannte bei Marokko keine Grenzen

Der eingewechselte Walid Cheddira sah in der hektischen Schlussphase zudem Gelb-Rot. „Ich habe 26 Spieler. Wenn man dieses Turnier gewinnen will, muss man an alle glauben“, erklärte Regragui. „Wenn einer verletzt oder krank ist, kommt ein anderer dafür rein. Ich hoffe, dass Mazraoui zurückkommt, er ist sehr wichtig für das Team.“

„Es kostet nichts, Träume zu haben“

„Wir zeigen der Welt, was man erreichen kann, auch wenn man nicht so viel Talent und Geld hat. Wenn man daran glaubt und das mit Entschlossenheit angeht, kann man viel erreichen“, so der in Frankreich geborene 47-jährige Regragui, der nach nur acht Spielen als Nationaltrainer um den Einzug ins Endspiel gegen Titelverteidiger Frankreich kämpft.

Noch bevor der Gegner am Samstagabend feststand, hatte Regragui gesagt: „Warum sollten wir nicht davon träumen, eine WM zu gewinnen? Es kostet nichts, Träume zu haben.“ Wie wild feierten die Nordafrikaner mit ihren Fans in Rot. Die Spieler rannten mit einer Fahne – halb Katar, halb Marokko – zu ihren Anhängern hinter ihrem Tor, das sie zuvor so verbissen verteidigt hatten.

„Undurchdringliche Abwehr“

Marokkos Medien feierten den Erfolg entsprechend. Die Zeitung „L’opinion“ meinte: „Unglaublich, aber wahr, Marokko knackt Portugal und eilt Richtung Halbfinale. Durch diesen Sieg gelangt Marokko ins letzte Karree und prägt für alle Zeiten die Geschichte des Weltfußballs.“

„Yabiladi“ schrieb: „Die Löwen vom Atlas schreiben weiter die Geschichte des marokkanischen, arabischen und afrikanischen Fußballs neu. Mit einer undurchdringlichen Abwehr haben die Löwen ohne Atempause ihr Tor verteidigt, bis zu den letzten Augenblicken dieses Treffens im Stadion Al Thumama.“

Erfolg ist kein Wunder

„Es ist kein Wunder. Viele halten es für ein Wunder, vor allem in Europa. Das ist kein Wunder, das ist das Ergebnis harter Arbeit. Wir haben den Kontinent glücklich und stolz gemacht“, sagte Regragui, den seine Spieler wie schon nach dem Achtelfinal-Coup gegen Spanien übermütig in die Luft warfen.

Trainer Walid Regragui
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Marokkos Trainer Walid Regragui hat die Mannschaft in kurzer Zeit optimal für die WM eingestellt

„Das war kein leichtes Spiel, aber wir haben es sehr gut gemacht. Ich kann nur das Gleiche sagen wie schon nach den letzten beiden Spielen: Das ist ein großer Erfolg für die Mannschaft und das ganze Land“, sagte Mittelfeldspieler Bilal El Khannous. „Der Trainer hat in der Halbzeit nicht gesagt: Hoffentlich halten wir noch 45 Minuten durch. Sondern: Es sind nur noch 45 Minuten, um Geschichte zu schreiben.“

„Zwick mich, ich glaube, ich träume“

Marokko war als vierte afrikanische Mannschaft nach Kamerun 1990, Senegal 2002 und Ghana 2010 ins WM-Viertelfinale vorgestoßen und überstand als einzige auch diese Runde. Die Marokkaner konnten ihr Glück und ihren Eintrag in die WM-Geschichte kaum fassen. „Afrika ist heute wieder auf der Landkarte des Fußballs“, sagte Regragui. „Wir hatten die Mentalität, haben unser Kapital genutzt. Wir wussten, wir können Geschichte für Afrika schreiben. Ich bin sehr glücklich.“

„Wir werden uns erholen und uns auf das vorbereiten, was kommt, damit wir es mit der gleichen Energie angehen können“, sagte Marokkos erneut ganz starker Torhüter Yassine Bounou vom FC Sevilla. „Alle Spieler haben eine brillante Leistung gezeigt. Wir hatten Verletzungen, aber wir haben eine unglaubliche Leistung gezeigt.“ Strahlend fügte er bei der Pressekonferenz noch hinzu: „Zwick mich, ich glaube, ich träume.“

FIFA WM 2022, Viertelfinale

Samstag:

Marokko – Portugal 1:0 (1:0)

Doha, Al Thumama Stadium, 44.198 Zuschauer, SR Facundo Tello (ARG)

Tor: 1:0 En-Nesyri (42.)

Marokko: Bounou – Hakimi, El Yamiq, Saiss (57./Dari), Attiatallah – Amrabat, Ounahi, Amallah (65./Cheddira) – Ziyech (82./Aboukhlal), En-Nesyri (65./Benoun), Boufal (82./Jabrane)

Portugal: Costa – Dalot (79./Horta), Dias, Pepe, Guerreiro (51./Cancelo) – Neves (51./Ronaldo), Otavio (69./Vitinha) – B. Silva, B. Fernandes, J. Felix – Ramos (69./Leao)

Gelb-Rote Karte: Cheddira (93./wiederholtes Foulspiel)

Gelbe Karten: Dari bzw. Vitinha