jubelnde Franzosen
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FIFA WM 2022

Frankreich bleibt Erfolgsrezept treu

Die französische Nationalmannschaft beschwört bei der Fußball-WM in Katar immer mehr den Geist aus dem Titeljahr 2018. „Das erinnert mich an die Mentalität und die Hingabe von 2018. Diese Gruppe verdient es, wieder so weit zu kommen“, sagte Olivier Giroud bereits nach dem 2:1-Sieg gegen England im Viertelfinale von al-Chaur. Die Franzosen von Trainer Didier Deschamps setzen dabei auf ihr bewährtes Rezept und treffen nun am Mittwoch (20.00 Uhr, live in ORF1) im Halbfinale auf das Sensationsteam aus Marokko.

Die Stimmung in der Kabine der „Equipe Tricolore“ war prächtig, wie Giroud beschrieb. „Es wurde gesungen und getanzt in der Kabine. Der Verbandspräsident Noel Le Graet kam, Lilian Thuram und Claude Makelele. Es ist wunderbar, diese Gefühle in der Umkleide zu sehen.“ Giroud und Aurelien Tchouameni bescherten den Franzosen mit ihren Toren den nächsten Einzug in ein WM-Halbfinale. Englands Harry Kane traf zwar vom Punkt, vergab aber spät einen weiteren Strafstoß.

„Das ist großartig. Wir haben die Qualität im Team, aber du brauchst auch die richtige Einstellung. Vielleicht haben wir auch ein bisschen Glück gehabt. Wir genießen das jetzt erst einmal“, sagte Deschamps, dessen Team die erste erfolgreiche WM-Titelverteidigung seit Brasilien vor 60 Jahren anstrebt. Die Südamerikaner wurden mit dem großen Idol Pele 1958 und 1962 Weltmeister.

Frankreich weiter auf Kurs

Frankreich ist bei der WM weiter auf Kurs in Richtung Titelverteidigung geblieben. Die „Equipe Tricolore“ setzte sich gegen England mit 2:1 durch. Im Halbfinale trifft Frankreich nächsten Mittwoch auf das Überraschungsteam Marokko.

Nervenstärke, Vielseitigkeit und Effektivität

Zwei der größten Stärken Frankreichs sind die Nervenstärke und Vielseitigkeit, die in der Mannschaft steckt. Wenn Superstar Kylian Mbappe einen nicht so produktiven Tag hat, können offensiv andere in die Bresche springen. Dank Giroud ist auch die Option mit Flanken in den Strafraum immer ein gangbarer Weg für Trainer Deschamps.

Didier Deschamps zusammen mit Spielern
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Deschamps ist seit zehn Jahren französischer Teamchef, sein Ziel ist die Titelverteidigung bei der WM

Apropos Deschamps: Unter dem Teamchef wiederholt sich auch das Erfolgsrezept, sich nach einer Führung auch einmal zurückzuziehen und auf Umschaltmomente zu lauern. England kam daher insgesamt zu mehr Chancen, Frankreich war aber einmal mehr effizienter. Die Tageszeitung „Le Monde“ schrieb: „Beim ersten großen Test bei dieser WM gewinnt die französische Elf im Viertelfinale – nicht ohne Leiden.“

Großes Vertrauen in Startelf

Das Vertrauen in die Startelf ist groß, auch weil die weiteren Kaderspieler enttäuschten. Als Deschamps in der Gruppenphase gegen Tunesien die Elf nahezu komplett durchwechselte, ging das daneben.

„Les Bleus“ verloren das für den weiteren Verlauf bedeutungslose Spiel mit 0:1. Am Samstag traute er offenbar nur einem Wechselspieler zu, dem Team noch entscheidend helfen zu können: Der Tausch von Kingsley Coman für Ousmane Dembele in der 79. Minute war gegen England der einzige Wechsel.

Dennoch verwies Giroud auf die Tiefe des Kaders. „Wir haben alle zusammengearbeitet. Die Spieler auf der Bank haben uns so gepusht“, sagte der Stürmer danach. Mit Karim Benzema (Oberschenkelverletzung) und Lucas Hernandez (Kreuzbandriss) waren vor dem zweiten Gruppenspiel zwei Stützen ausgefallen. Viel davon gemerkt hat man bisher noch nicht.

England scheitert nach „bester Leistung“

Während Frankreich weiter im Rennen um den zweiten Titel in Folge bleibt, muss England auf den ersten Triumph seit 1966 warten. Die BBC stellte fest: „Es fühlt sich noch schmerzhafter an.“ Noch schmerzhafter als die Halbfinal-Niederlage vor vier Jahren gegen Kroatien, noch brutaler als das verlorene EM-Finale im vergangenen Jahr gegen Italien. Dieses Mal wurden die „Three Lions“ nicht von der heimischen Presse zerfleischt, nicht vom Erwartungsdruck der Fans zermalmt. Im Al Bayt Stadium war die Mannschaft entschlossen, engagiert und hat nie resigniert. Dementsprechend gab es keine Vorfwürfe.

Gareth Southgate und Harry Kane
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Teamchef Southgate tröstete Kapitän Kane – England verließ die WM-Bühne erhobenen Hauptes

„Heute Abend war es wahrscheinlich unsere beste Leistung des Turniers. Wir haben eine riesige Nation herausgefordert. Das Ergebnis ist aber alles, was zählt“, sagte Coach Gareth Southgate. Kane traf vom Punkt, vergab aber im Finish einen zweiten Elfmeter. „Das wird uns eine Weile verfolgen, aber wir werden auch das hinter uns lassen. Als Kapitän übernehme ich die Verantwortung, auch für die Ausführung des Elfmeters“, betonte Kane. Mit seinem Treffer hatte er auf 53 Tore gestellt und mit Rekordgoalgetter Wayne Rooney gleichgezogen.

„Er ist der beste Schütze. Aber selbst die Besten verschießen einmal. Das ist Fußball. Für mich ist er ein fantastischer Anführer, er hat sein bestes Spiel gemacht bei dieser WM“, sagte Southgate. Auch die Youngsters wie Jude Bellingham (19), Phil Foden (22) und Bukayo Saka (21) zeigten abermals starke Leistungen, doch mit dem ersten Titel seit 1966 wurde es wieder nichts. „Es gibt so viele gute Dinge, die sie gemacht haben, man kann sich über so viel freuen – etwa das Alter der Spieler“, meinte der Trainer, dessen Zukunft trotz Vertrags bis 2024 offen ist. Auch er selbst will sich Bedenkzeit nehmen. Mittlerweile haben sich aber einige Spieler für einen Verbleib ausgesprochen.

„Ihre Zeit wird kommen“

„Es haben Kleinigkeiten entschieden zwischen diesen beiden Teams. Dieses tolle junge englische Team hat alles gegeben und wird nur noch besser. Ihre Zeit wird kommen“, prophezeite Englands Fußballikone Gary Lineker auf Twitter. Für die EM 2024 in Deutschland hätte Southgate in der Tat beste Voraussetzungen. Das Team ist bereits über mehrere große Turniere gereift. Das war auch bei den bisher letzten Weltmeistern Deutschland (2014) und Frankreich (2018) der Werdegang, bevor der ganz große Triumph gelang.

FIFA WM 2022, Viertelfinale

Samstag:

England – Frankreich 1:2 (0:1)

Al-Chaur, Al Bayt Stadium, 68.895 Zuschauer, SR Sampaio (BRA)

Torfolge:
0:1 Tchouameni (17.)
1:1 Kane (54./Elfmeter)
1:2 Giroud (78.)

England: Pickford – Walker, Stones (98./Grealish), Maguire, Shaw – Henderson (79./Mount), Rice, Bellingham – Saka (79./Sterling), Kane, Foden (85./Rashford)

Frankreich: Lloris – Kounde, Varane, Upamecano, T. Hernandez – Tchouameni, Rabiot – O. Dembele (79./Coman), Griezmann, Mbappe – Giroud

Gelbe Karten: Maguire bzw. Griezmann, Dembele, Hernandez

Die Besten: Kane, Saka bzw. Griezmann, Rabiot