Marokko-Trainer Walid Regragui umarmt seinen Spieler Hakim Ziyech
APA/AFP/Javier Soriano
FIFA WM 2022

Emotionale Begegnung für Marokkos „Helden“

Wenn Frankreich und Marokko am Mittwoch (20.00 Uhr, live in ORF1) das zweite Halbfinale der WM in Katar bestreiten, ist es für beide Nationen ein besonderes Match – vor allem aber für Walid Regragui. Der marokkanische Teamchef trifft mit seinem Mutterland auf sein Geburtsland. Regragui kam in Corbeil-Essonnes, einer kleinen Gemeinde am Ufer der Seine, zur Welt. Seine Spielerkarriere verbrachte er zu großen Teilen bei französischen Vereinen. Doch die Heimat stand nie infrage.

„Niemand kann meinem Land mein Herz nehmen“, meinte der 47-Jährige. Ein Satz, den Tausende andere Marokkaner in Paris, Marseille und weiteren Großstädten genauso aussprechen würden. Über eine Million Menschen der marokkanischen Diaspora in Europa leben in französischen Städten, von 1912 bis zur Unabhängigkeit 1956 waren große Teile des heutigen Marokkos Protektorat der einstigen Kolonialmacht.

In Paris wurde Marokkos Sieg im Viertelfinale gegen Portugal am Samstag wie „in Trance“ gefeiert, wie die Zeitung „L’Equipe“ schrieb. „Wir machen unser Volk, unseren Kontinent und die arabische Welt glücklich. Wir machen die ganze Welt glücklich“, sagte Regragui, dessen seit Jahrzehnten in Paris lebende Mutter Medienberichten zufolge in Katar erstmals bei Fußballspielen ihres Sohnes dabei ist.

Bunte Mischung

Stürmer Sofiane Boufal und Kapitän Romain Saiss sind wie ihr Trainer in Frankreich geboren. Nur zwölf Spieler aus Regraguis Team stammen ursprünglich aus Marokko. Weitere Nationalspieler kommen aus Kanada, Spanien, Belgien und den Niederlanden. Starspieler Achraf Hakimi wuchs in Madrid auf und wechselte im Sommer 2021 zu Paris Saint-Germain.

Jubelnde marokkanische Fans in Paris
APA/AFP/Julien De Rosa
Marokkos Fans ließen ihren Emotionen freien Lauf

Vor der WM, sagte Regragui, habe es Diskussionen gegeben über die Spieler aus dem Ausland, die Marokko angeblich nicht „mögen oder lieben“. Die WM-Spiele aber zeigten, dass jeder „Marokkaner Marokkaner ist“, sagte der Trainer und fügte an: „Wenn du zur Nationalmannschaft fährst, willst du kämpfen.“ Der in Deutschland aufgewachsene Abdelhamid Sabiri sagte der Zeitung „La Repubblica“: „Deine Kultur ist die, die dir deine Eltern vermitteln.“

„Löwen vom Atlas“

Euphorisch gefeiert wurden die bisherigen Triumphe in Katar auch in anderen europäischen Städten. In Brüssel kam es zuletzt vermehrt zu Ausschreitungen, in Mailand war am Wochenende bei Straßenfeiern ein Mann niedergestochen worden. Entsprechend rüsten sich die Sicherheitskräfte für die Nacht nach dem Halbfinale in Katar.

In Katar ist die marokkanische Auswahl längst zu einem Symbol geworden. Nach dem frühen Aus des Gastgebers, von Saudi-Arabien und Tunesien tragen die „Löwen vom Atlas“ die Hoffnungen der arabischen Fans. „Katar verliebt sich in Marokko“, schrieb die Zeitung „Le Parisien“ am Montag. Das dürfte sich auch in der Zuschauerverteilung am Mittwoch widerspiegeln. Schon bei den Erfolgen gegen Spanien und Portugal in der K.-o.-Phase pfiffen die Zuschauer den Gegner der Marokkaner das gesamte Spiel über bei jedem Ballkontakt aus.

Sonderflüge aus Casablanca

Die marokkanische Fluggesellschaft Royal Air Maroc wird zudem 30 Sonderflüge am Dienstag und Mittwoch durchführen, um Fußballfans von Casablanca nach Doha zum Halbfinale zu bringen, teilte die Fluggesellschaft am Montag mit. Die französischen Fans werden im Al Bayt Stadium von al-Chaur klar in der Unterzahl sein.

Respekt vor der Leistung von Regraguis Truppe kommt auch vom Vorrundengegner Kroatien. „Viele haben Marokko unterschätzt. Wir mussten uns vor der kroatischen Presse im ersten Spiel noch rechtfertigen, dass wir gegen sie nur 0:0 gespielt haben“, meinte Stürmer Bruno Petkovic und gratulierte den „Atlas-Löwen“. „Jetzt stehen sie als erste afrikanische Mannschaft in einem Halbfinale. Das ist ein großer Erfolg“, so der 28-Jährige, der mit seinem Team am Dienstag im Semifinale auf Argentinien trifft.