Der österreichische Skifahrer Vincent Kriechmayr
AP/Giovanni Auletta
Ski alpin

Kriechmayr erfüllt sich Lebenstraum

Gröden, Bormio, Wengen und nun auch Kitzbühel. Mit seinem Sieg auf der Streif am Freitag hat Vincent Kriechmayr alle Abfahrtsklassiker zumindest einmal gewonnen. „Dass ich mich Kitzbühel-Sieger nennen darf wie ein Matthias Mayer und viele andere Legenden, ist sehr großartig“, sagte der Oberösterreicher, dem sich am Samstag (11.30 Uhr, live in ORF1, Übertragungsbeginn 10.55 Uhr) die Chance auf das Double bietet. Der Triumph am Freitag ist in Kriechmayrs Karriere hoch einzuordnen: „Wegen solcher Momente fahre ich Ski.“

Als der Rennleiter in der Früh bei der Gondelbahn Kriechmayr erzählte, dass für Samstag viel Schnee angekündigt ist, soll das Abfahrtsass kurzerhand den Rennplan geändert haben: „Ich habe gesagt, dann muss ich heute alles riskieren. Sonst wollte ich morgen mehr riskieren, hätte ich heute zurückgenommen, damit ich morgen mehr Energie habe.“ Am Abend tat der oft tiefstapelnde Kriechmayr das im ORF mit einem Lächeln als „blöde Rederei“ ab. Klar war aber: „Ich habe heute das Herz in die Hand genommen. Ich kann definitiv zufrieden sein. Dieser Sieg hat einen großen Stellenwert in meiner Karriere.“

Am Start habe er sich sehr gut gefühlt und die Entschlossenheit gehabt. „Ich habe in den letzten Abfahrten voll riskiert. In Wengen waren zu viele Fehler dabei, heute habe ich weniger gemacht“, so Kriechmayr, dessen Triumphfahrt von Tausenden Zuschauerinnen und Zuschauern und von ehemaligen Skigrößen wie Didier Cuche und Aksel Lund Svindal im Zielraum verfolgt wurde. „Die Fahrt war hundert Prozent Risiko. Die Fahrt war am Limit, aber nicht perfekt.“

Kriechmayr gewinnt erste Kitz-Abfahrt

Der Weltmeister setzte sich am Freitag beim Auftakt des Hahnenkamm-Wochenendes 0,23 Sekunden vor Sensationsmann Florian Schieder (ITA) und 0,31 vor dem Schweizer Niels Hintermann durch.

So sei er beim Tor in der Traverse nicht dabei gewesen und habe deswegen das Tempo in den Zielschuss nicht mitnehmen können. Auch „oben in der Fläche“ habe er viel Zeit verloren, eine Passage, die mit Fortdauer des Rennens schneller wurde – wie überhaupt wegen nachlassenden Schneefalls und besser werdender Sicht die Top Ten auch für die letzten Athleten in der Startliste noch erreichbar schienen.

Überraschungen sorgen für Spannung

An Spannung herrschte kein Mangel: Der 27-jährige Südtiroler Florian Schieder („Ich wäre auch mit einem 19. Platz zufrieden gewesen“) fuhr mit Nummer 43 auf zwei und damit erstmals auf das Podest, der US-Amerikaner Jared Goldberg mit 28 auf vier, der Slowene Miha Hrobat mit 45 auf sieben, der Kanadier Broderick Thompson mit 39 auf neun und der Schweizer Justin Murisier mit 47 auf zwölf. Sechs Läufer in den Top Zwölf hatten höhere Nummern als 30. Am Ende war es das knappste Rennen vom Originalstart in der Kitzbühel-Geschichte, die besten 16 Läufer befanden sich alle innerhalb einer Sekunde.

Florian Schieder (ITA), Vincent Kriechmayr (AUT) und Niels Hintermann (SUI) bei der Siegerehrung
APA/EXPA/Johann Groder
Kriechmayr flankiert von Sensationsmann Florian Schieder (l./ITA) und Niels Hintermann (SUI)

„Kitzbühel hat solche Geschichten schon öfters geschrieben. Das ist in Kitzbühel immer leicht möglich, dass mit Überraschungen zu rechnen ist. Da gibt es Athleten, die technisch sehr gut sind, das Selbstvertrauen haben und voll andrücken. Die tun sich überall anders schwer, aber legen hier so eine Entschlossenheit an den Tag“, so Kriechmayr. Ähnlich sei es in Gröden. Freilich sei es etwas schneller geworden. „Aber die sind auch gut gefahren, nur Glück ist das nicht.“

„Ich fahre wegen solcher Momente“

Es war die elfte Streif-Abfahrt für Kriechmayr, 2020 war er Zweiter hinter Mayer, der damals wie er selbst am Freitag die Startnummer 13 trug. „Ich habe mich sehr gefreut, als ich das in der Früh gesehen habe“, erklärte Kriechmayr. Nicht aus Aberglauben, sondern weil ihm der Erfolg des in diesem Winter zurückgetretenen Teamkollegen damals so gefreut hatte. In den vergangenen beiden Jahren war Rang neun das beste Ergebnis auf der Streif. Mit acht Abfahrtssiegen hat Kriechmayr nun einen mehr als Mayer und ist damit ex aequo sechstbester Österreicher. Insgesamt war es sein 15. Weltcup-Sieg.

Kriechmayrs Abfahrtssiege

  • Aare 2018
  • Wengen 2019
  • Saalbach 2021
  • Wengen 2022
  • Courchevel 2022
  • Gröden 2022
  • Bormio 2022
  • Kitzbühel 2023

„Der ‚Vinc‘ hat sich minutiös auf das Rennen vorbereitet. Es hat in seiner Sammlung gefehlt. Das gehört einfach in den Lebenslauf eines Abfahrers hinein und in die Vitrine zu Hause. Leichter wird es von Jahr zu Jahr nicht, es kommen immer neue Junge dazu. Zum Glück hat er den Sack heute zugemacht. Ich freue mich riesig für ihn“, sagte der Kitz-Sieger von 1994, Patrick Ortlieb, und heutige ÖSV-Finanzreferent. Apropos Geld: Das Preisgeld von 100.000 Euro hatte für Kriechmayr nur bedingt einen hohen Stellenwert. „Es wird immer vom Preisgeld gesprochen, aber das ist mir so was von wurscht, ich fahre wegen solcher Momente“, betonte er im ORF.

Abfahrtskugel im Hinterkopf

Die Erfahrung, eine (in dem Fall gläserne) Gams zu bekommen, kannte der Doppelweltmeister von seinem Super-G-Sieg 2021, dem letzten, der in Kitz stattfand, ehe auf zwei Abfahrten in der Hahnenkamm-Woche umgestellt wurde. „Ich fahre gern Super-G, aber es ist kein Geheimnis, dass die Abfahrt einen höheren Stellenwert hat. Es ist die wichtigste Abfahrt im Kalender.“ Es war sein dritter Saisonerfolg nach den Abfahrten in Gröden und Bormio, in der Disziplinwertung ist er hinter dem Norweger Aleksander Aamodt Kilde (520) und vor dem Schweizer Marco Odermatt (386) mit 419 Zählern Zweiter. Die Abfahrtskugel wäre ein nächstes Ziel: „Ich schaue aber einfach von Rennen zu Rennen.“