Alexandra Meissnitzer
GEPA/Mario Buehner
Ski-WM

Expertin Meissnitzers Tipps für Abfahrtsgold

Am Samstag (11.00 Uhr, live in ORF1, Übertragungsbeginn 10.20 Uhr) werden in Meribel die WM-Medaillen in der Damen-Abfahrt vergeben. ORF-Expertin Alexandra Meissnitzer nahm die Roc de Fer unter die Lupe und erklärt, worauf es auf der WM-Strecke ankommt. Eine vergleichbare Abfahrt im Weltcup gibt es laut Meissnitzer nicht. Ihre Favoritin ist klar, und den ÖSV-Damen traut sie alles zu.

Die Roc de Fer ist nicht allzu steil, dafür wellig. Der Start erfolgt auf 2.150 Metern, auf einer Streckenlänge von 2,4 Kilometern werden 685 Höhenmeter bewältigt – durchschnittliches Gefälle von 27 Prozent, maximal 55 Prozent. Beim Weltcup-Finale der vergangenen Saison gewann US-Star Mikaela Shiffrin die Abfahrt vor der Österreicherin Christine Scheyer (verletzt) und Joana Hählen aus der Schweiz.

Erste 30 Fahrsekunden

Meissnitzer: Der erste Abschnitt ist oben mittelsteil, dann teilweise flach, mit langgezogenen Kurven. Geht alles in der Hocke, ein Sprung ist drin und eine größere Welle, bei der die Läuferinnen geschlossen bleiben müssen, weil sich das Tempo aufbaut – 120 km/h im oberen Teil. Wenn man nur kurz aus der Abfahrtsposition gerissen wird, kostet es viel Zeit. Bis zur ersten Zwischenzeit ist es auch eine Materialfrage. Im Vorteil sind hier Läuferinnen mit viel Feingefühl, die typische Abfahrtskurven gut fahren können."

 Alexandra Meissnitzer
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Bei den TV-Kamerafahrten nahm Alexandra Meissnitzer die Roc de Fer unter die Lupe

Nächste 45 Sekunden

Meissnitzer: „Der technisch anspruchsvolle Teil mit Traverse und Wellen hin zum Riesentorlauf- und Slalom-Start. Sehr selektives Gelände. Es geht darum, mit den Wellen zu arbeiten. Das heißt: Nicht nur drüberfahren und möglichst kurz springen, sondern mit der Welle dank aktiver Fahrweise beschleunigen. Dafür gibt es Spezialistinnen. Gelände gibt es hier genug.“

„Auch bei der Passage beim Wald-S, ich nenne das so – erst ein 90-Grad-Knick nach rechts, gleich danach geht es 90 Grad nach links –, sind in einem Schwung drei Wellen, die es zu meistern gilt. Eines der wichtigen Kriterien genau bei Halbzeit. Im Mittelteil insgesamt gefragt ist gute Technik. Die Schwünge müssen kurz gehalten werden.“

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Letzte Schwünge ins Ziel

Meissnitzer: „Der Zielhang ist gleichmäßig, steil und gar nicht so schwierig zu fahren. Präpariert wie ein Teppich. Trotzdem ist unglaublich viel Zeit drin. Schon im Super-G spielten sich hier Dramen ab. In der Abfahrt wird der gesamte Zielhang mit drei Schwüngen gefahren. Weite Torabstände. Beschleunigt wird in Abfahrtshocke auf 125 km/h. “

„Sobald man genug Richtung hat und merkt, dass sich das nächste Tor ausgeht, muss man den Ski gehen lassen, den Kantendruck reduzieren und den Ski ja nicht zu stark nach oben halten. Da bedarf es noch einmal großen Engements. Es ist zwar eine kurze Abfahrt (ca. 1:30 min), aber sehr intensiv. Eben durch das wellige Gelände und das permanente Arbeiten. Am Schluss müssen sich die Läuferinnen auch ein bisschen trauen.“

Roc de Fer Zielhang
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Im Zielhang ist noch einmal vollste Konzentration gefordert

Pistenbedingungen

Meissnitzer: „Durch das permanente Rutschen seit dem ersten Training wird es mit jedem Tag glatter. Kalte Nächte kommen hinzu, dadurch ist der Schnee unglaublich trocken, also aggressiv. Das heißt, die Kante greift schnell, man braucht aber viel Druck, um sie zu halten, weil es eben so glatt ist. Interessant: Es wird am Wochenende wärmer. Den Serviceleuten, die im Training permanent das Material testen, kann also passieren, dass sie am Renntag umdisponieren müssen. Die Schneetemperatur wird ständig gemessen. Derzeit minus 19 Grad – ändert sich das am Samstag, müssen sie reagieren, oder auch nicht. Es wird zur Materialfrage.“

Allgemeines Fazit

Meissnitzer: „Das Gelände macht diese Abfahrt einzigartig. Von oben bis unten wellig. Mir fällt keine vergleichbare ein. Durch das Aufschieben einzelner Wellen wurde sie noch interessanter, weil ständig was zu tun ist. Die steilste Strecke ist sie nicht: maximales Gefälle 55 Prozent. Zum Vergleich St. Anton: über 80 Prozent. Es gibt also keine Passage, in der die Läuferinnen sich übermäßig überwinden müssen.“

„Wozu sie Mut brauchen: Bei der Anfahrt zu einer Welle keine Sekunde nachgeben und bis zum letzten Moment vor der Kuppe, dem Ski die Möglichkeit geben zu beschleunigen. Manche drehen vorher mehr an, andere bereiten sich früher auf die Welle vor. Gewinnen wird die, die bedingungslos fährt. Das erfordert eine andere Art von Mut als in einem extrem steilen Schuss. Zum Glück scheint die Sonne, bei schlechter Bodensicht wäre diese Abfahrt eine unglaubliche Challenge.“

Fahrerinnen im Vorteil

Meissnitzer: "Favoritin ist für mich wenig überraschend Sofia Goggia. Sie ist genau jener Typ Abfahrerin mit gutem Gespür und Gefühl, sie kann den Ski vor einem Tor oder einer Welle auslassen. Wichtig ist bei diesen Bedingungen – einmal glatt, dann wieder aggressiv: Die Kanten nicht zu hart zu setzen, sondern kurz. Das muss man können, sonst funktioniert es hier nicht. So wie im Super-G, als Riesentorläuferin Marta Bassino vorne war, wird es in der Abfahrt nicht sein, weil die Torabstände viel größer sind. Beispiel Zielhang: Im Super-G waren da neun Tore.

Sofia Goggia
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Sofia Goggia ist laut Meissnitzer die Fahrerin, die es zu schlagen gilt

Chancen der ÖSV-Damen:

Meissnitzer: „Im Training haben sie sich gut präsentiert. Wobei einige in der Quali natürlich schon am Anschlag fuhren. Aber die Strecke liegt ihnen. Am wichtigsten ist, im Training das Gefühl zu haben: Man kommt auch mit den Schneebedingungen zurecht, hat einen guten Speed und muss nicht daran denken, den Ski auslassen zu müssen, weil es einfach passiert. Bei unseren Läuferinnen ist das der Fall, glaube ich. Ich hoffe jedenfalls auf eine Medaille. Die ist möglich. Wichtig ist, dass unsere Damen richtig groß denken. Sie müssen es sich selber schon zutrauen, sonst wird das nichts. Ich traue es ihnen zu 100 Prozent zu.“