Jubel der ÖFB-Spieler Christoph Baumgartner und Marcel Sabitzer
Reuters/Leonhard Foeger
EM-Qualifikation

Österreichs Kicker entfachen neues Feuer

Österreichs Fußballnationalteam hat zum Auftakt der EM-Qualifikation die Pflicht erfüllt und gegen die Außenseiter Aserbaidschan (4:1) und Estland (2:1) zwei Siege eingefahren. Die Art und Weise sorgte dabei für Zuspruch: Mit Offensivdrang und unbändigem Willen entfachten die heimischen Kicker unter Teamchef Ralf Rangnick neues Feuer bei Fans und Experten gleichermaßen. Der Blick richtet sich nun auf die ersten Schlüsselspiele im Juni.

Am Montag kurz vor Mitternacht war ORF-TV-Experte Helge Payer in der neuen Linzer Arena noch immer angetan von der Leistung des heimischen Nationalteams – und das nach einem mühevollen 2:1-Zittersieg gegen die Nummer 109 der FIFA-Weltrangliste aus Estland.

„Ich bin begeistert. Auch wenn wir am Ende Glück gebraucht haben, aber wir haben uns so viele Chancen herausgespielt. Was Österreich derzeit macht, ist ansteckend. Es funktioniert, obwohl es nicht funktioniert. Wenn du solche Spiele gewinnst, ist das Team intakt. Wir können uns auf viele gute Spiele in der Zukunft freuen“, prophezeite der frühere ÖFB-Teamgoalie, der auf 20 Einsätze in Rot-Weiß-Rot kam.

ÖFB-Team erfüllt EM-Plansoll

Nach zwei Siegen steht Österreich in der Fußball-EM-Qualifikation an der Spitze der Gruppe F. Der hart erkämpfte Sieg gegen Estland gibt Zuversicht für die Juni-Partien gegen Belgien und Schweden. Teamchef Ralf Rangnick war von der Energie und dem Zusammenhalt des Teams angetan.

Auch wenn letztlich nur die Pflicht erfüllt wurde, das Wie sorgte dafür, dass der Funke bei den Fans wieder übergesprungen ist. Das vor einem Monat eröffnete Linzer Stadion war jeweils ausverkauft und erwies sich als erhoffter Heimvorteil. Das Publikum sorgte für die notwendige Unterstützung, speziell nach dem langen Rückstand gegen die Esten. Die Hausaufgaben wurden damit vorerst erledigt, im Juni trifft man dann als Tabellenführer der Gruppe F zunächst auswärts auf Favorit Belgien (17.6.) und danach in Wien auf Schweden (20.6.).

ORF-Fußballexperte Helge Payer
GEPA/David Bitzan
ORF-TV-Experte Helge Payer: „Was Österreich macht, ist ansteckend“

„Es war von Anfang an klar, dass man aus diesen zwei Heimspielen möglichst mit zwei Siegen starten sollte“, resümierte Rangnick nach den ersten beiden Partien in der EM-Quali. „Was nicht klar war, war, dass so viele Spieler ausfallen.“ Speziell gegen Estland musste der 64-jährige Deutsche auf einige seiner Schlüsselspieler verzichten, Marko Arnautovic und Xaver Schlager verpassten überhaupt beide Partien, Kapitän David Alaba drei Spielhälften davon und Marcel Sabitzer konnte nur gegen Aserbaidschan (zwei Tore, ein Assist) mitwirken.

Unterhaltsame Pflichterfüllung

Früher war solch ein Aderlass kaum wegzustecken und machte sich auch gegen schwächere Gegner bemerkbar. „Ich denke, dass wir in der Spitze breiter aufgestellt sind als vor ein, zwei Jahren“, nennt ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel im Interview mit der APA einen Grund, warum man die Ausfälle kompensieren konnte. Ein anderer ist der Teamgeist, der schon länger groß geschrieben, aber andauernd beschworen wird (Rangnick: „Wir haben ganz engen Austausch über WhatsApp“). Der entscheidende Unterschied ist aber der Spielstil, der den Spielern zugutekommt. Das ÖFB-Team präsentiert sich dabei mit und ohne Ball angriffslustig.

Laut dem Datendienstleister Opta eroberte Österreichs Team in der bisherigen EM-Quali im Schnitt elf Bälle pro Spiel im gegnerischen Verteidigungsdrittel – mehr als jedes andere Team. Am Ende wurden in beiden Spielen zusammen mehr als 40 Torschüsse abgegeben. Nicht immer bedeutet jeder eine zwingende Chance, aber mit freiem Auge ist erkennbar, dass Österreich einen neuen Zug zum Tor hat. Das gilt auch für die Defensive, Stefan Posch und Kevin Danso leiteten etwa die Tore gegen Estland ein. Letzterer steht sinnbildlich für die Entwicklung der Spieler im Team. Schöttel: „Er war in beiden Spielen überragend.“

Rangnick macht Erfolg wahrscheinlicher

Österreichs Kicker, die sich auch im Spiel mit dem Ball sichtlich weiterentwickelt haben, kommen mit der Philosophie wie erwartet bestens zurecht. „Diese Mannschaft steht für einen sehr intensiven, leidenschaftlichen Fußball, der sehr körperbetont ist und von den Spielern eine hohe Intensität einfordert“, betonte Schöttel. Der Sportdirektor hofft, dass man damit auch Belgien und Schweden wehtun kann. „Mit der Art, wie wir Fußball spielen, können wir gerade gegen die großen Gegner sehr, sehr unangenehm sein.“ Gegen Kroatien (3:0), Frankreich (1:1) sowie Italien (2:0) gelang das.

Die Spieler sehnten sich spürbar nach einem Trainer, der ihre Stärken auch im Nationalteam sichtbar macht. Immer wieder betonen sie, wie Umstellungen im Spiel auch ihnen geholfen hätten. Auch gegen vermeintlich kleine Nationen ist es nicht immer einfach, wie die Dänen (2:3 in Kasachstan) etwa am eigenen Leib erfahren mussten. Österreich lag ebenso gegen das gut verteidigende Estland zur Pause 0:1 zurück, was in erster Linie dem eigenen Chancenverschleiß geschuldet war. Am Ende drehte man die Partie aber noch verdient im Verbund.

ÖFB-Trainer Ralf Rangnick
GEPA/Manuel Binder
Rangnick hat sichtlich Spaß am Job als österreichischer Teamchef

„Das hat man in jeder einzelnen Partie gesehen. Diese geschlossene, gemeinschaftliche Energie aufs Feld zu bringen, war uns wichtig“, weiß Schöttel. Aber das Trainerteam greift auch unterstützend ein. In der Halbzeit kommen Videoszenen zum Einsatz, ÖFB-Star Alaba gibt früher als geplant sein Comeback, auch weil der Austausch mit Real Madrid passt. „Einer unserer Therapeuten war zuvor schon in Madrid“, verriet Rangnick. Wie man es vom Deutschen schon aus seiner Zeit als Sportdirektor von Salzburg kennt, wird nichts dem Zufall überlassen.

„Er spricht Themen offensiv an, das ist für uns neu“

„Er hat sich in den zehn Monaten sehr viel angesehen – nicht nur im Verband, sondern ganz Fußballösterreich. Er spricht Themen sehr offensiv an, auch in der Öffentlichkeit. Das ist für uns alle in der Art und Weise neu. Er ist definitiv daran interessiert, langfristig Dinge zu verbessern“, berichtete Schöttel. Mit dem Wunsch, das Schweden-Spiel im Allianz Stadion von Rapid zu spielen, scheiterte er zwar, aber er hat es auf das Tapet gebracht. Seine Idee war es auch, die Popgrößen Paul Pizzera und Christopher Seiler für einen eigenen ÖFB-Song („hoch gwimmas (n)imma“) zu begeistern. Pizzera sprach bei der Entstehung von WhatsApp-Audionachrichten Rangnicks in „Hörbuchlängen“. Selbst solche Beispiele zeigen, welche Arbeitsauffassung der Deutsche hat.

Dass nicht alle Maßnahmen auf und abseits des Feldes zwingend zum Erfolg führen müssen, liegt in der Natur des Fußballs (Österreich ist die Nummer 34 der Welt), aber die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg wird so erhöht. „Dass wir Dinge haben, die wir besser machen können, ist klar“, ist sich auch Schöttel bewusst. Beide bisher erhaltenen Gegentore waren schlecht verteidigt und darf man sich in Schlüsselspielen wie im Juni nicht erlauben, will man die Endrunde in Deutschland direkt erreichen. Auch die Effektivität ist ausbaufähig. „Das Wichtigste ist aber, dass wir zu Chancen kommen“, lautet Rangnicks Credo.

Zurück zu und mit den Fans

Verbessert wurde das Zusammenspiel zwischen Fans und Spielern auf dem Feld. „Die Mannschaft und das Publikum haben sich heute nach oben gepusht“, meinte Payer nach dem Estland-Spiel. Als „goldrichtig“ habe sich laut Rangnick auch Linz als Standort für das Auftaktdoppel erwiesen. „Die Fans waren immer da, besonders in den Momenten, wo das Team die Energie auf das Publikum übertragen hat.“ Beide Partien waren mit 16.500 Zuschauerinnen und Zuschauern ausverkauft.

Das ÖFB-Team ist auch unter Rangnick greifbar für die Fans, im Trainingscamp in Windischgarsten gab es wieder ein öffentliches Training. Im Juni geht es dann auch zurück ins Ernst-Happel-Stadion, wo mit Schweden das Schlüsselheimspiel dieser Qualifikation auf das ÖFB-Team wartet. „Hoffentlich vor ausverkauftem Haus“, so Rangnick, der auch für die Partie zuvor in Belgien zuversichtlich ist. „Wir brauchen uns vor niemandem zu fürchten.“ Der Optimismus ist hörbar ansteckend, wie Schöttel beweist: „Wir sind selbstbewusst und guter Dinge, dass wir im Juni den nächsten Schritt zur EM machen.“