Josip Stanisic mit Leiberl über Gesicht
Reuters/Heiko Becker
Fußball

Bayern steuern auf „Katastrophe“ zu

Die Nerven an der Säbener Straße liegen blank. Eine titellose Saison wäre für den FC Bayern München „eine Katastrophe“, gestand Vorstandschef Oliver Kahn. Genau darauf steuern die erfolgsverwöhnten Bayern aber zu. Durch die 1:3-Pleite in Mainz verspielte der Serienmeister die Tabellenführung an Borussia Dortmund. Gewinnt der BVB nach dem 4:0-Heimsieg gegen Eintracht Frankfurt auch die abschließenden fünf Ligaspiele, würde die Meisterschale erstmals seit 2013 nicht nach München gehen.

Seit dem überraschenden Trainerwechsel von Julian Nagelsmann zu Thomas Tuchel vor einem Monat sind die Bayern im Viertelfinale des DFB-Pokals und der Champions League ausgeschieden. In der Liga liegt man wieder einen Zähler hinter den Dortmundern. Kahn verteidigt Nagelsmanns Ablöse aber weiterhin vehement. „Ich habe immer auch von langfristigen Zielen gesprochen“, betonte der Ex-Torhüter. „Es ging da jetzt nicht rein nur um die Saisonziele.“

Diese sind allerdings ernsthaft in Gefahr. Die Bayern haben den elften Meistertitel in Serie nicht mehr in der eigenen Hand. Bei Siegen gegen Bochum, Wolfsburg, Mönchengladbach, Augsburg und Mainz hätte Dortmund die Trophäe erstmals seit dem Doppelpack unter Jürgen Klopp 2012 und 2013 wieder sicher. Drei der fünf Partien kann der BVB zudem zu Hause bestreiten, wo man Frankfurt überhaupt keine Chance ließ. Die Rückschläge der vergangenen Wochen sind vergessen.

Enttäuschte Bayern-Spieler nach Match
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Für die schwer angeschlagenen Bayern-Spieler ist in der aktuellen Situation Trost und Rat gefragt

Vorstandschef Kahn kritisiert und wird kritisiert

Bei den Bayern ist die Stimmungslage eine gänzlich andere. „Das wäre natürlich für uns alle eine Katastrophe, wenn das eintreten würde“, sagte Kahn über die Möglichkeit, dass die Bayern erstmals seit 2012 eine Saison ohne Titel beenden müssten. Kahn wettert vor allem in Richtung Spieler: „Was haben wir in dieser Rückrunde schon alles versucht: Spieler, Systeme, Taktik, Trainerwechsel. Zum Schluss sind es elf Mann, die auf dem Platz stehen, um sich für die Ziele dieses Clubs den Arsch aufreißen zu müssen. Um das geht es, um nichts anderes. Mit dieser Ausstrahlung wird es schwer, deutscher Meister zu werden.“

Der 53-Jährige trat erst im Juli 2021 die Nachfolge von Karl-Heinz Rummenigge als Vorstandsvorsitzendem an. Mittlerweile sieht er sich mit schwerer Kritik und Zweifeln konfrontiert, ob er noch der Richtige für den Job sei. Kahn: „Für mich gibt es nur ein einziges Ziel: Diese Saison rumzubringen und zwar mit dem deutschen Meistertitel, um dann nächste Saison nochmal richtig anzugreifen.“ Ob das Erreichen dieses Minimalziels Kahns Job retten wird, ist keineswegs gewiss. Zumal das Draufhauen auf die verunsicherte Mannschaft eher wie eine Ablenkung von eigenen Fehlern wirkte.

Oliver Kahn, enttäuscht
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Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte: Präsident Herbert Hainer, Vorstandschef Oliver Kahn und Sportdirektor Hasan Salihamidzic

Kapitaler Fehlstart von Neo-Coach Tuchel

Auch Kahns Rückendeckung für Tuchel, den er mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic für Nagelsmann geholt hat, fügte sich da an: „Thomas Tuchel ist der Letzte, über den wir diskutieren müssen.“ Dabei legte der Trainer mit nur zwei Siegen in sieben Pflichtspielen einen kapitalen Fehlstart hin – ein Negativrekord wie einst von Sören Lerby 1991/92. Tuchel hat die Aufgabe, mit einigen Veränderungen den FC Bayern wieder auf Erfolgskurs zu steuern, unterschätzt. Nach dem desaströsen Auftritt bei Mainz wirkte er völlig ratlos. „Wir müssen eine Niederlage mit drei Gegentoren erklären. Ich weiß nicht wie“, sagte er.

Nach dem 1:0 durch Sadio Mane (29. Minute) hatten Ludovic Ajorque (65.), Leandro Barreiro (73.) und Aaron Martín (79.) binnen 14 Minuten mit ihren Treffern die sensationelle Wende geschafft – ohne große Gegenwehr. Ordnung, Klarheit und mentale Frische hätten da gefehlt, lautete Tuchels Diagnose. Alles sei zu kompliziert, technisch unsauber und fehlerbehaftet gewesen: „Wir wirken ausgelaugt, als hätte die Mannschaft schon 80 Spiele in den Knochen.“

Mit Ratlosigkeit in eine dreitägige Pause

Eine Vorstellung, wie das Team aus dem Tief kommt, hat Tuchel nicht. „Mir wäre es lieber, es wäre offensichtlich, an welchen Dingen wir arbeiten können. Es sind keine technisch-taktischen und strukturellen Probleme“, sagte er. „Ich habe das Gefühl, jetzt neue Inhalte zu vermitteln, um noch einmal etwas zu verändern, bringt nichts. Jeder kämpft mit sich selber. Es rinnt uns durch die Hände.“ Statt Standpauken und Krisengesprächen verordnete Tuchel seinen Spielern zur mentalen Erholung eine dreitägige Pause bis Mittwoch.

Diese ist laut Tuchel „dringend für alle“. „Weil Energie fehlt, und die holen wir uns nicht, wenn wir alle einbestellen und weitermachen“, erklärte er. Auch Thomas Müller begrüßte die Auszeit. „Es ist eine gewisse Leere und Ratslosigkeit bei mir da.“ Die Mannschaft habe die Rückschläge im Pokal und in der Champions League „tief drin nicht abschütteln“ können, sagte Müller: „Wir sind auch nur Menschen.“

Bayern-Trainer Thomas Tuchel
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Coach Thomas Tuchel steckt wenige Wochen nach seinem Amtsantritt bei den Bayern in einer sportlichen Sackgasse

Mögliche Konsequenzen erst nach Saisonende

Bayern-Präsident Herbert Hainer will sich vor dem Saisonende noch nicht mit möglichen Konsequenzen der schweren sportlichen Krise auseinandersetzen. „Wir konzentrieren uns erst einmal auf die deutsche Meisterschaft. Das wird schwer genug sein, wie wir heute gesehen haben“, sagte der Clubchef nach dem Rückschlag in Mainz. „Über alles andere reden wir dann später“, kündigte er an.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Bayern München AG zeigte sich enttäuscht, dass die Mannschaft nach der 1:0-Führung durch Mane auseinandergefallen war. „Wenn man zwei so unterschiedliche Hälften sieht und wir dann so einbrechen, ist das schwer zu erklären“, sagte Hainer. Die Kritik konzentriert sich neben Sportvorstand Salihamidzic vor allem auf Kahn. „Ich habe in meiner Karriere vieles erlebt und weiß, was es bedeutet, wenn es nicht gut läuft beim FC Bayern“, betonte der Ex-Goalie. „Die Verantwortung tragen wir alle.“

Trotz aller Widrigkeiten werde er keinen Millimeter nachgeben, auch in dieser Saison und trotz der schlechten Leistung deutscher Meister werden zu wollen, versicherte Kahn. Nächsten Sonntag wartet ein Heimspiel gegen Schlusslicht Hertha BSC. Dortmund kann bereits am Freitag in Bochum vorlegen. Um Druck auf die Dortmunder zu erzeugen, wird es in den folgenden Partien in Bremen, gegen Schalke und Leipzig sowie in der letzten Runde in Köln definitiv ein anderes Auftreten der Münchner benötigen als in Mainz.