Trainer Matthias Jaissle (Al-Ahli)
IMAGO/Daniel Scharinger
Fußball

Kaufrausch nimmt neue Formen an

Saudi-Arabien hat in den vergangenen Jahren im Weltsport sichtbar Gas gegeben. Im Motorsport stoppt die Königsklasse seit einiger Zeit jedes Jahr im Wüstenstaat auf der Arabischen Halbinsel, eine eigene internationale Golfserie wurde aus dem Boden gestampft. Im Fußball lockt man Stars mit viel Geld ins Land, doch mittlerweile nicht nur in die Jahre gekommene Spieler wie Cristiano Ronaldo. Ein jüngeres Beispiel ist Matthias Jaissle.

Der Deutsche ist zwar kein Spieler, aber mit 35 Jahren ein junger Trainer, als dessen logischer nächster Schritt ein Engagement in seiner Heimat oder in einer anderen europäischen Topliga vermutet worden wäre. Am Freitag wechselte Jaissle von Österreichs Serienmeister Red Bull Salzburg zu al-Ahli in die saudische Pro League und folgt damit dem Beispiel von Steven Gerrard, der Spielerlegende des Liverpool FC, der seit diesem Sommer bei al-Ittifak das Trainerzepter schwingt.

Doch auch mehr und mehr Spieler folgen dem saudischen Lockruf, den Anfang hat zu Beginn des Jahres bereits Ronaldo gemacht, in diesem Sommer nimmt der Kaufrausch neue Dimensionen an. Karim Benzema gehört noch eher in die Kategorie Altstars, die eine letzte Ausfahrt wählen, aber mit Sadio Mane, Firmino und N’golo Kante sind auch Spieler im besseren Fußballalter dabei. Saudi-Arabien hat unterdessen eine Agenda und arbeitet sie ab – Ziel ist auch die Fußball-WM.

Saudi-Arabien investiert in Sport

In Saudi-Arabien wird aktuell im großen Stil in Sport und Fußball investiert. Karim Benzema spielt nun für 50 Millionen Euro Jahresgehalt in Saudi-Arabien, und auch Cristiano Rolando hat sich für den saudischen Club al-Nassr FC verpflichten lassen, für ein Jahresgehalt von mindestens 70 Millionen Euro.

Das umstrittene Land hofft – mit Ägypten und Griechenland – die Endrunde 2030 auszurichten und damit in die Fußstapfen von Katar zu treten. Das ist das wichtigste sportpolitische Ziel des Kronprinzen und faktischen Herrschers des Landes, Mohammed bin Salman, der eben schon die Formel 1 nach Saudi-Arabien gebracht hat. Seine und die saudische Motivation für das alles ist vielschichtig.

Von Investments und Ablenkungen

Es geht naturgemäß vor allem um Geld und Bedeutungsgewinn. Nicht nur im eigenen Land wird mit dem Staatsfonds Public Investments Fonds (PIF) investiert: die vier Topclubs al-Nassr, al-Ittihad, al-Hilal und al-Ahli gehören mehrheitlich dem PIF, man hat aber auch Anteile am englischen Premier-League-Club Newcastle United. Saudi-Arabien will sich entwickeln, auch unabhängiger vom Öl werden. Sportstars und -events lenken praktischerweise zudem von Negativschlagzeilen ab.

Wie Sportexperte Ben Freeman vom US-Thinktank Quincy Institute etwa erklärte: „Sie wollen nicht, dass man an den brutalen Mord an (dem Journalisten Jamal, Anm.) Khaschoggi denkt oder an Menschenrechtsverletzungen, man soll an Sportstars denken.“ Der oft zitierte Begriff „Sportswashing“ bezeichnet dabei das Bestreben, die Reputation des eigenen Landes durch Sportevents aufzupolieren.

Viel saudisches Geld für Sport

Jüngst hat ein saudischer Fußballverein 300 Millionen Euro für Superstar Kylian Mbappe geboten, der abgelehnt hat. Doch es wäre die höchste jemals gezahlte Ablösesumme gewesen. Saudi-Arabien versucht, mit viel Geld für Sportinvestments sein Image aufzupolieren.

Ronaldo ist gekommen, Lionel Messi wurde von der Major League Soccer in den USA mit dem Firmenriesen Apple von einem Wechsel nach Saudi-Arabien abgehalten. Der argentinische Weltmeister ist aber als Tourismusbotschafter des Landes ohnehin allgegenwärtig. Von Frankreichs Superstar Kylian Mbappe von Paris Saint-Germain, das wiederum katarischen Investoren gehört, holte man sich einen Korb.

Aber eine oder zwei Etagen unter dieser Starebene kommen zunehmend und auch bekannte Spieler nun nach Saudi-Arabien und vergessen dabei auch gelegentlich die moralische Komponente. Dass der frühere Liverpool-Kapitän Jordan Henderson für die LGBTQ-Community mit einer Schleife in Regenbogenfarben spielte und nun in einem Land unter Vertrag steht, das Homosexualität unter Strafe stellt, darf zumindest als bemerkenswert festgestellt werden.

Nicht nur Altstars folgen dem Lockruf

Die Spieler werden mit viel Geld in die Wüste gelockt. Henderson soll in Saudi-Arabien mehr als 800.000 Euro pro Woche verdienen. Laut britischen Medien würde sich so sein Gehalt verdreifachen. Bei Ronaldo wurde in Summe immer wieder ein Jahresgehalt von gar 200 Millionen Euro genannt, Mane soll sich mit 40 Millionen pro Jahr über eine Saison zum Vergessen bei den Bayern hinwegtrösten.

Sein bisheriger Trainer Thomas Tuchel mag noch nicht einschätzen, wie der saudische Markt den internationalen Fußballmarkt beeinflussen wird. „Ich habe keine wirklich schlaue Antwort auf die Frage“, sagte der 49-Jährige am Dienstag auf der Asienreise der Bayern in Singapur. „Es ist eine sehr neue Situation, ähnlich der, als China seine Liga startete. Es ist jetzt eine Art ähnlicher Goldrausch dort“, sagte Tuchel.

Sadio Mane (Bayern München)
APA/AFP/Paul Ellis
Nach einem Jahr zum Vergessen verlässt Mane die europäische Bühne und wechselt nach Saudi-Arabien

„Es ist die nächste Liga, die versucht, populärer und zu einer Marke zu werden“, führte Tuchel aus: „Sie haben viele Spieler überzeugt, viele Qualitätsspieler – und sogar Trainer. Es ist eine komplett neue Situation. Und es ist zu früh für mich, dazu eine klare Meinung zu haben.“ Er sei ein Beobachter der aktuellen Entwicklungen, „ein überraschter Beobachter“. Da ist er bei Weitem nicht allein.

„Sie verändern den Markt“

Ähnlich sieht es der Dortmunder Sportdirektor Sebastian Kehl in einem Interview mit dem Fachblatt „kicker“ (Montag). „Diese Summen, die speziell in Saudi-Arabien gezahlt werden, zu erklären, ist schlicht nicht möglich. Sie verändern den Markt und machen es uns noch schwerer zu agieren“, sagte der BVB-Funktionär. „Es gehen ja inzwischen nicht mehr nur Altstars dorthin, sondern auch jüngere Spieler. Wenn sich das so fortsetzt, entwickelt sich der Fußball in eine Richtung, die ihm ganz sicher großen Schaden zufügen wird.“

Die Liga will sich im Weltfußball etablieren, wohin sie es schafft, weiß man noch nicht. Die chinesische Super League versuchte Ähnliches, Marko Arnautovic weiß ein Lied davon zu singen. „Wenn sie noch fünf Jahre so weiterarbeiten, kann die Saudi Professional League eine der fünf besten Ligen der Welt werden“, meinte Ronaldo wohl nicht ohne Eigenzweck. Die 16er-Liga, die im August in die neue Saison startet, ist die am höchsten gereihte im asiatischen Verband. Im Weltfußball spielt sie bisher nur eine untergeordnete Rolle, auch die asiatische Champions League ist mit der europäischen nicht vergleichbar. Die Liga hat einen Zuschauerschnitt von 9.000, der dürfte nach diesem Sommer mit den vielen neuen Stars zumindest steigen.