Jubel der jamaikanischen Fußballerinnen bei der WM
Reuters/Hannah Mckay
Fußball-WM

„Außenseiter haben sich weiterentwickelt“

Die Gruppenphase der neunten Fußballweltmeisterschaft der Frauen in Australien und Neuseeland ist geschlagen – und hat durchaus für Überraschungen gesorgt. Neben dem historischen WM-Aus von Deutschland haben sich auch Brasilien mit Superstar Marta und Olympiasieger Kanada vorzeitig verabschiedet, Überraschungsteams wie Südafrika, Jamaika und Marokko sind dafür weiter. „Die Außenseiter haben sich weiterentwickelt“, stellte ORF-Expertin Viktoria Schnaderbeck zufrieden fest. „Es ist nichts mehr selbstverständlich.“

Das musste vor allem das deutsche Nationalteam, die Nummer zwei der Welt und aktueller Vizeeuropameister, einsehen, das erstmals in der Vorrunde scheiterte. War früher ein Aufstieg noch ein Selbstläufer, mussten viele Favoriten zittern – oder kamen gar nicht erst weiter.

Ehe das Achtelfinale am Samstag (7.00 Uhr, live in ORF1) mit dem Duell zwischen der Schweiz und Spanien eröffnet wird, richtete die langjährige ÖFB-Kapitänin Schnaderbeck im Gespräch mit ORF.at ihren Blick auf die ersten 48 Spiele dieser Endrunde, die mit 32 Teams und 64 Spielen noch nie so groß war. Ihre Bilanz fällt bisweilen positiv aus.

WM: Turnier der Außenseiter

Bei der Fußball-WM der Frauen spielen die Außenseiter groß auf. Während sechs Teams aus den Top 20 Nationen bereits ausgeschieden sind, freuen sich Marokko, Südafrika, Nigeria und Jamaika über ihre Plätze im Achtelfinale.

„Es geht in die richtige Richtung“

„Es geht definitiv in die richtige Richtung, die Stadien sind voll, die Spiele sind spannend, und der Rahmen passt“, erklärte die 32-Jährige, die nach ihrem Karriereende vor einem Jahr erstmals für den ORF die Spiele analysiert. „Wir sehen ansehnlichen Fußball und dass einige Favoriten nicht mehr dabei sind, ist eine kleine Sensation. Dafür haben auf dem Papier kleinere Länder für tolle Leistungen gesorgt. Auch der Modus gefällt mir gut, die Qualität hat nicht gelitten, wie viele Kritiker vermutet hätten. Es ist an der Zeit für die Aufstockung gewesen.“

Fußballspielerin Viktoria Schnaderbeck
GEPA/Patrick Steiner
Die langjährige ÖFB-Kapitänin Viktoria Schnaderbeck analysiert für den ORF die WM-Spiele

Erstmals sind 32 Teams in Australien und Neuseeland am Start, um acht mehr als bei der vorherigen Endrunde 2019 in Frankreich, wo sich die USA zum vierten Mal den Titel sicherte. Aber selbst die Nummer eins der Welt mühte sich ins Achtelfinale. Vor vier Jahren gewann man noch alle drei Gruppenspiele mit einem Torverhältnis von 18:0. Beinahe hätte Portugal die US-Stars aus dem Bewerb geworfen, doch der Ball landete beim 0:0 in der Nachspielzeit an der Stange und nicht im Tor.

„Außenseiter spielen mutig nach vorne“

Den einen oder anderen Kantersieg gab es auch in der Gruppenphase, ein 13:0 der USA gegen Thailand wie noch vor vier Jahren wiederholte sich nicht, auch weil sich in der Weltrangliste weiter hinten klassierte Teams nicht mehr nur auf die Defensive konzentrieren, sondern auf aktive Weise versuchen, die Favoriten in die Bredouille zu bringen.

Die deutsche Fußballspielerin Alexandra Popp
IMAGO/Eibner-Pressefoto/Memmler
Prominente Teams haben sich in der Vorrunde bereits verabschiedet, darunter Deutschland

„Sie stellen sich nicht nur hinten rein, sondern sind auch im Offensivspiel mutig. Sie haben teilweise schnelle Spielerinnen, mit denen man auf Konter spielen kann. Es wird auch hoch angepresst, und das stellt Favoriten wie Deutschland vor Probleme. Es passiert viel, auch körperlich, da merkt man unter anderem auch die verbesserte Vereinsarbeit. Früher war alles eher semiprofessionell, das hat sich verbessert“, merkte Schnaderbeck diesbezüglich erfreut an.

Die schönsten Tore der WM-Gruppenphase

Die Gruppenphase der Fußballweltmeisterschaft der Frauen ist mit Donnerstag abgeschlossen. 126 Tore sind in den bisherigen 48 Partien gefallen. „Sport 20“ zeigt eine Auswahl der fünf schönsten Treffer.

Größerer Kreis an Titelkandidaten

Nur in drei der acht Gruppen gab es Sieger mit drei vollen Erfolgen, vor vier Jahren schaffte das nur einer der sechs Poolgewinner nicht. Auch der Kreis der Titelkandidaten hat sich spürbar vergrößert. „Schweden und Japan haben überzeugt, auch Frankreich habe ich auf dem Schirm“, merkte Schnaderbeck an. Ein glasklarer Favorit hat sich für die frühere Legionärin in Deutschland (Bayern München) und England (Arsenal, Tottenham) noch nicht herauskristallisiert.

Für einen Coup eines Überraschungsteams sei es aber noch ein weiter Weg. „Wenn man sich in einen Flow wie Jamaika oder Kolumbien spielt, ist vieles möglich, aber da muss am Ende für den Titelgewinn schon sehr viel zusammenpassen“, meinte die 83-fache Internationale, die nach der neuerlichen EM-Viertelfinal-Teilnahme vor einem Jahr ihre erfolgreiche Karriere beendet hatte. Wenig später hatte Österreich das WM-Ticket mit einem bitteren 0:1 in Schottland vorzeitig verspielt.

Das ÖFB-Team tritt im Herbst in der erstmals ausgetragenen Nations League gegen Frankreich, Norwegen und Portugal – allesamt bei der WM in Ozeanien dabei – an. Überhaupt gibt es mehr Spiele, was zum einen positiv zu bewerten ist, aber auch mit Problemen einhergeht. „Darauf muss man achten, etwa gab es vor dieser Endrunde viele Verletzungen. Das müssen nicht nur die Vereine, sondern auch Verbände auf dem Schirm haben“, mahnte Schnaderbeck.

Entwicklung nicht nur Frage der Zeit

Die Entwicklung hat zuletzt an Fahrt aufgenommen, aber es sei nicht nur eine Frage der Zeit, dass diese positiv voranschreitet. „Es geht auch um Ressourcen, um Commitment, um Investment. Dann kann es exponentiell gehen. Es muss dabei immer auch um die Sache gehen, es muss nachhaltig weiterentwickelt werden und attraktiv für die Zuschauerinnen gemacht werden, die vielleicht noch am Überlegen sind.“

Das gilt auch für die heimische Fußballbundesliga, die mit Carina Wenninger eine wie Schnaderbeck langjährige Teamspielerin nun als Managerin hat. Auch hier ist Weiterentwicklung gefragt. Serienmeister St. Pölten, vergangene Saison erstmals in der Champions-League-Gruppenphase dabei, dient als Vorbild („Sie machen vieles richtig“), aber dahinter gibt es weiter Aufholbedarf. „Aber bevor wir über finanzielle Bedingungen sprechen, müssen zuerst infrastrukturelle Bedingungen ligaweit angeglichen werden“, merkte Schnaderbeck an.