Traurige deutsche Spielerinnen
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Fußball-WM

Fassungslosigkeit nach deutschem Deja-vu

Weniger als ein Jahr vor der Eröffnung der Europameisterschaft in München ist die Stimmung im deutschen Fußball im Keller. Ein halbes Jahr nachdem die Männer in Katar zum zweiten Mal hintereinander in der Vorrunde auf der Strecke geblieben waren, verpassten auch die deutschen Fußballerinnen in Australien und Neuseeland erstmals in der Geschichte die K.-o.-Phase bei einer WM. Die Fassungslosigkeit im DFB-Lager war ebenso groß wie die Suche nach Erklärungen.

Das Aus in der Gruppenphase, das durch ein 1:1 gegen Südkorea und den gleichzeitigen Sieg der Marokkanerinnen über Kolumbien am Freitag besiegelt wurde, traf die deutsche Abordnung im wahrsten Sinne des Wortes aus heiterem Himmel. Denn unmittelbar nach der Gewissheit, das Achtelfinale nur im TV verfolgen zu können, herrschte im deutschen Lager die hektische Suche nach Rückflugmöglichkeiten. Denn an einen derart frühen Termin wurde kein Gedanken verschwendet. Am Samstag wird in mehreren Gruppen und nicht wie erhofft am Ende des Turniers mit dem WM-Pokal als Team abgereist.

Der Schock über das frühe Scheitern war den deutschen Fußballerinnen unmittelbar nach Schlusspfiff tief ins Gesicht geschrieben gewesen. „Ich habe es tatsächlich noch nicht begriffen, ich kann noch gar nicht verstehen, was gerade abgeht. Mir tut es brutal weh“, sagte Kapitänin Alexandra Popp, deren viertes WM-Tor zum 1:1 am Ende zu wenig war. „Ich kann es nicht erklären. Es ist surreal, die Enttäuschung ist groß, ich kann es nicht in Worte fassen“, meinte auch die sichtlich mitgenommene Mittelfeldspielerin Lena Oberdorf. Jule Brand gab zu: „Wir haben unsere Leistung, das, was wir können, nicht auf den Platz bekommen.“

Deutsche scheitern in WM-Vorrunde

Deutschlands Traum vom dritten WM-Titel ist geplatzt. Mit dem Remis gegen Südkorea und dem Sieg Marokkos über Kolumbien landeten die Mitfavoritinnen in Gruppe H auf Rang drei und schieden erstmals überhaupt in der Gruppenphase aus.

Ausgerechnet gegen die Marokkanerinnen, die sich bei ihrer ersten WM mit zwei Siegen gleich für das Achtelfinale qualifizieren konnten, legten die Deutschen mit 6:0 einen perfekten Start hin. Die Last-Minute-Niederlage gegen Kolumbien (1:2) warf das ansonsten so selbstbewusste DFB-Team aber aus der Bahn. Gegen Südkorea wollte – bis auf Popps Tor – nichts klappen. Bei der neunten WM-Teilnahme war für die zweifachen Weltmeisterinnen damit erstmals in der Vorrunde Schluss. Davor war Deutschland – unabhängig von der Teilnehmerzahl – immer zumindest im Viertelfinale gestanden.

„Sacken lassen und analysieren“

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nimmt das „historisch schlechte Ergebnis“ ohne Ausrede auf ihre Kappe. „Wir stellen uns der Verantwortung, aber es ist doch völlig klar, dass ich die Dinge erst einmal sacken lassen und analysieren muss“, sagte die 55-Jährige. Für Fragen nach ihrer Zukunft sei es aber noch zu früh. „Wir haben jetzt zweimal ein Ergebnis erzielt, das nicht ausreicht“, sagte Voss-Tecklenburg auch mit Blick auf das Viertelfinal-Aus bei der WM 2019 in Frankreich gegen Schweden. „Dem müssen wir uns jetzt stellen, und das in erster Linie auch meine Person, das ist klar.“ Die deutsche Teamchefin hatte erst im April ihren Vertrag bis 2025 verlängert.

Deutsche Trainerin Martina Voss-Tecklenburg
AP/Rick Rycroft
Voss-Tecklenburg muss nur ein Jahr nach der erfolgreichen EM ein historisches Aus verantworten

Zumindest vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) erhielt Voss-Tecklenburg, die das WM-Aus 2019 mit dem Finaleinzug bei der EM im Vorjahr wiedergutmachte, offiziell Rückendeckung. „Gemeinsam werden wir diese Enttäuschung aufarbeiten“, sagte Präsident Bernd Neuendorf in der DFB-Mitteilung. Voss-Tecklenburg kann immerhin auf viele Verletzte in der Abwehr als einen möglichen Grund verweisen. Die Situation bei den Männern gilt als Präzedenzfall. Auch dort durfte Hansi Flick nach der Katar-Pleite bleiben – allerdings auch mangels Alternative. Die folgenden Leistungen erhöhten den Druck auf Flick weiter.

Neuendorf wollte auch von einem Rückschritt in Sachen Frauen und Fußball nichts wissen. Auch die Stimmung bei der kommenden Heim-EM der Männer sah der DFB-Boss nicht in Gefahr. „Ich wäre nicht so pessimistisch.“ Man habe ein ausverkauftes Pokalfinale in Köln gesehen. Man habe viele junge Frauen und Mädchen, die in die Vereine kommen und dort Fußball spielen möchten. „All das hat die Europameisterschaft im vergangenen Jahr ausgelöst. Ich glaube, diese Vorfreude, die wird ganz sicher kommen“, sagte Neuendorf im deutschen Fernsehen. Der 62-Jährige stellte aber auch klar: „Wir brauchen Erfolgserlebnisse, wir brauchen Siege.“

Trost und Kritik

Während etwa der deutsche Kanzler Olaf Scholz („Die nächste Chance wird kommen“) und Außenministerin Annalena Baerbock („Manchmal steckt einfach der Wurm drin“) den gescheiterten Kickerinnen via Social Media Trost spendeten, prophezeite die frühere Chefin der Deutschen Fußball-Liga (DFL), Donata Hopfen, den Fans, sich an solche Ergebnisse bei Männern und Frauen gewöhnen zu müssen. „Der deutsche Fußball ist abgehängt und braucht dringend Veränderung – neue Ideen, Offenheit für moderne Impulse und Angänge. Und trotzdem ist das Gefühl, dass es weiter so gehen wird wie bisher“, so die 47-Jährige.

Hopfen nahm die Führungsriege in die Pflicht: „Hoffentlich wachen die Verantwortlichen in Fußballdeutschland vor der EM 2024 im eigenen Land auf, sonst wird aus dem erhofften Sommermärchen ein Sommergrusel“, mahnte die ehemalige DFL-Chefin mit Hinblick auf die kommende Männer-EM. Hopfen hatte den Spitzenposten bei der DFL Ende 2022 nach nur einem Jahr wieder räumen müssen. Grund dafür waren nach Angaben des Ligaverbands unterschiedliche Vorstellungen über die weitere strategische Ausrichtung der Gesellschaft.

Olympiaquali rückt in Fokus

Das frühe Scheitern hat für die deutschen Fußballerinnen – im Gegensatz zum Viertelfinal-Aus bei der WM 2019 – zumindest mit Blick auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris keine Konsequenzen. Bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland wurden dieses Mal keine Tickets für das olympische Turnier in einem Jahr vergeben.

Die europäischen Teams können sich die für sie vorgesehenen zwei Plätze nur über die UEFA Nations League sichern. Deutschland trifft dabei in Gruppe drei der Liga A die Gegner Dänemark, Island und Wales. Am 22. September hat die DFB-Elf in Dänemark – das am Montag (12.30 Uhr, live in ORF1) im WM-Achtelfinale auf die Gastgeberinnen aus Australien trifft – die Chance, sich für das historische Aus „down under“ zu rehabilitieren.