Australische Fans
Reuters/Dan Peled
Fußball-WM

Australien liegt „Matildas“ zu Füßen

Australiens oft erfolgreiche Rugby- und Kricketspieler stehen derzeit „down under“ nur in der zweiten Reihe. Denn das ganze Land liegt seit Samstag seinen 23 Fußballerinnen zu Füßen. Die „Matildas“ stürzten mit dem Einzug ins Semifinale ihrer Heim-WM Australien in einen Freudentaumel. In die Euphorie über das „Wintermärchen“ mischten sich aber dank eines Vorschlags aus der hohen Politik auch leise Misstöne.

Mit einem Elfmeterkrimi für die Geschichtsbücher mit insgesamt 20 Schützinnen und einem Ergebnis von 7:6 nahm Australien im Viertelfinale in Brisbane die Hürde Frankreich und blieb damit im Rennen um die WM-Krone. Am Mittwoch (12.00 Uhr, live in ORF1) geht es im Stadium Australia von Sydney im Prestigeduell gegen England um den erstmaligen Einzug ins Endspiel. Im zweiten Semifinale stehen sich am Dienstag in der neuseeländischen Metropole Auckland (10.00 Uhr, live in ORF1) Spanien und Schweden gegenüber.

Die „Matildas“ rund um Siegestorschützin Cortnee Vine und Torfrau Mackenzie Arnold, die insgesamt drei französische Penalties hielt, sicherten sich jedenfalls schon jetzt einen Platz in den WM-Annalen. Denn die einzigen Gastgeberinnen, die in der Runde der besten vier zu finden waren, waren 1999 die Kickerinnen aus den USA. Die diesmal bereits im Achtelfinale gescheiterten Amerikanerinnen holten damals auch als bisher einzige Nation daheim den Titel.

Euphorie in Australien

Nach dem Semifinal-Einzug Australiens bei der Fußball-WM der Frauen ist im Gastgeberland eine noch nie dagewesene Fußballeuphorie zu spüren. Ein ganzer Kontinent hofft, dass das Fußballmärchen im Semifinale gegen England eine Fortsetzung findet.

Jubelnde Stars und Quotenrekord

Die Euphorie im Land könnte die „Matildas“ auch ganz nach oben tragen. Denn auch die prominentesten „Aussies“ waren nach dem Viertelfinale nicht zu halten. Komikerin Rebel Wilson, die einen Filmdreh in den USA unterbrochen hatte, feierte mit Tausenden Fans beim Public Viewing in Sydney. „Was für ein unglaublicher Sieg!!!“, schrieb sie in Social Media. „Absolut atemberaubende Ladies!!“ Oscar-Preisträgerin Nicole Kidman postete ein Foto der jubelnden Spielerinnen. Tim Cahill zeigte ein Herz in Grün und eines in Gelb und ist ebenfalls „so stolz“. „Geht weiter voran und inspiriert die Nation“, meinte der australische Rekordtorschütze.

Fans im Olympic Park, Sydney
Reuters/Carl Recine
Nicht nur in den Stadien, auch beim Public Viewing herrscht bei Spielen der „Matildas“ dichtes Gedränge

Wie sehr das „Wintermärchen“ den ganzen Kontinent berührt, zeigte auch eine Reporterin bei der Pressekonferenz nach dem Coup gegen die Französinnen. Die Journalistin brach in Freudentränen aus, als sie Tony Gustavsson fragte, ob er wisse, dass sein Team ein ganzes Land glücklich gemacht habe. „Du bringst mich jetzt auch zum Weinen“, musste sich auch der australische Teamchef kurz sammeln. Der Schwede war „so unglaublich stolz“ auf sein Team. „Der Mut, die Courage, die alle gezeigt haben, ist unfassbar.“ Er habe seinen Spielerinnen vorher gesagt: „Hier geht es nicht um die Medaille, hier geht es um das Herz, das schlägt.“

Und wie sehr das australische Herz für seine „Matildas“ schlägt, beweisen auch die TV-Quoten. 4,904 Millionen „Aussies“ sollen beim Viertelfinal-Thriller vor den TV-Geräten oder via Livestream mitgezittert haben – die Fans in Pubs und bei Public Viewings von Perth bis Sydney nicht mitgerechnet. In den vergangenen 20 Jahren saßen nur bei der Wimbledon-Finalniederlage von Tennisstar Lleyton Hewitt 2005 mehr Menschen „down under“ vor dem Bildschirm (5,56 Mio.). Detail am Rande: Das meistgesehene TV-Event in der australischen Geschichte ist der Olympiasieg über 400 m von Cathy Freeman 2000 in Sydney.

Mackenzie Arnold hält einen Elfer
Reuters/Asanka Brendon Ratnayake
Fast fünf Millionen „Aussies“ schauten Torfrau Mackenzie Arnold im TV zu, wie sie den Französinnen den Nerv zog

Premierminister sorgt für Misstöne

Die Erfolge der Fußballerinnen sorgten auch in der hohen Politik des Landes für Jubel. Premierminister Anthony Albanese war im Viertelfinale einer der ersten Gratulanten auf dem Feld. „Ich bin so stolz, und das ist ganz Australien. Ihr Vermächtnis wird noch die nächsten Jahre weiterleben“, sagte der Labor-Politiker im Stadion von Brisbane über die Mitveranstalterinnen, die nach dem knappen Aus Neuseelands in der Vorrunde die Fahne der Gastgeberinnen hochhalten.

Albanese kündigte in seiner Euphorie auch an, sich für einen einmaligen Feiertag einzusetzen, sollten den „Matildas“ die letzten beiden Schritte zum Gipfel, den Titelgewinn am 20. August in Sydney, gelingen. Damit zog sich der Politiker aber auch Unmut zu. Vor allem die ehemalige Nationaltorhüterin Melissa Barbieri ging auf Twitter (X) mit dem aus ihrer Sicht politischen PR-Gag hart ins Gericht. „Albanese redet ständig von diesem verdammten Feiertag. Wie wäre es, wenn Sie unseren Sport richtig finanzieren?“, schrieb Barbieri.

Mackenzie Arnold jubelt mit Mitspielerinnen
Reuters/Dan Peled
Die Freude über die Fußballerinnen könnte Australien einen zusätzlichen Feiertag bescheren

Auch aus der Wirtschaft kam Kritik am Vorhaben des Regierungschefs. Ein spontaner Feiertag würde „Milliarden an (australischen, Anm.) Dollars“ kosten, wurden Wirtschaftsvertreter in lokalen Medien zitiert. Vor allem kleine Unternehmen würden unter kurzfristigen Feiertagen leiden. Innes Willox, seines Zeichens Geschäftsführer der Australian Industry Group, bezeichnete Albaneses Vorstoß als „echt albern“. Der Regierungschef konterte die Kritik mit Hinweis auf den Trauertag nach dem Tod von Königin Elizabeth II. im September des Vorjahres. Der freie Tag habe die Wirtschaft sogar belebt.

Vorfreude auf Prestigeduell

Ein möglicher Feiertag soll jedenfalls bei der kommenden Kabinettssitzung am Mittwoch diskutiert werden und damit unmittelbar bevor die Australierinnen gegen die Europameisterinnen aus England um einen Platz im Finale am Sonntag kämpfen. Dabei werden die „Matildas“ nicht nur den Rückenwind von über 75.000 Fans im Stadium Australia, sondern auch des gesamten Landes spüren. „Wir wissen, dass es ein Auswärtsspiel wird und wir freuen uns darauf. Schauen wir, dass wir uns davon inspirieren lassen“, sagte auch die englische Teamchefin Sarina Wiegman.

Ein zusätzlicher „Boost“ sollte ein Blick auf die jüngste Statistik in Duellen mit den Engländerinnen sein. Zwar ist die Bilanz gegen das „Mutterland“ des Fußballs mit zwei Siegen, zwei Remis und drei Niederlagen negativ, doch das jüngste Aufeinandertreffen bei einem Testspiel im April in London ging mit 2:0 an Australien. Besonders bemerkenswert: Es war die einzige Niederlage von Wiegman als Teamchefin der „Lionesses“ – und das in 37 Spielen am Steuer.