Darja Varfolomeev bei der Rhytmischen Sportgymnastik
IMAGO/David Aliaga
Rhythmische Gymnastik

„Wunderkind“ zieht alle in den Bann

Ein 16-jähriges „Wunderkind“ zieht bei den Weltmeisterschaften in der Rhythmischen Sportgymnastik in Valencia mit seiner Eleganz und Perfektion alle in den Bann. Darja Varfolomeev aus Deutschland gewann in allen vier Geräte-Finalen und triumphierte am Samstag auch noch im Mehrkampf. Dazu kam Silber in der Team-Wertung. Die gebürtige Russin richtete bereits früh alles auf eine erfolgreiche Karriere aus und wagte mit zwölf Jahren einen entscheidenden Schritt.

Varfolomeev verwies Titelverteidigerin Sofia Raffaeli aus Italien mit 135,700 Punkten auf Rang zwei. Dritte wurde Daria Atamanov aus Israel mit 131,400 Zählern. Dabei lag sie vor dem letzten Durchgang, den sie mit dem Ball bestritt, noch hinter Raffaeli, die zum Schluss mit dem Band antrat. Doch eine starke Leistung mit 35,650 Punkten reichte aus, die Italienerin noch von der Spitze zu verdrängen.

„Der letzte Tag ist immer der schwerste, und ich bin wirklich froh, dass ich überlebt habe. Ich habe mich heute etwas schwach gefühlt, aber die Zuschauer haben mir geholfen durchzukommen“, sagte die fünffache Weltmeisterin.

„Letztes Jahr war sie noch ein Kind“

Sie sei noch sehr jung, aber langsam wachse sie, sagte ihre Trainerin Yuliya Raskina. „Letztes Jahr war sie noch ein Kind. Sie hat gespielt auf der Fläche. Es war nichts ernst. Langsam wird sie ernst, jetzt kommt Leistungssport, professioneller Sport“, sagte die Olympiazweite von 2000 in Sydney. „Ihre mentale Stärke ist derzeit einzigartig in diesem Feld. Meine allergrößte Hochachtung vor dieser Leistung“, sagte die deutsche Teammanagerin Isabell Sawade.

Varfolomeev kam im zarten Alter von zwölf Jahren aus dem westsibirischen Barnaul nach Deutschland. Alleine, ohne Eltern und ohne die Sprache zu sprechen. Dank eines deutschen Großvaters konnte sie die Staatsbürgerschaft wechseln. Inzwischen lebt sie mit ihrem Vater in der Nähe von Stuttgart. Ihre Mutter ist aufgrund der Arbeit weiterhin in Russland, kommt allerdings oft zu Besuch.

Die deutsche Turnerin Darja Varfolomeev
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Mit dem Ball holte sich Varfolomeev zum Abschluss die fünfte Goldene

Mut macht sich bezahlt

Dieser mutige Schritt scheint sich ausgezahlt zu haben. Bei der diesjährigen WM belohnte sie die harte Arbeit mit fünfmal Gold. Nach den Siegen mit dem Ball und dem Reifen zum WM-Auftakt war Varfolomeev auch am Donnerstag in den Finalen mit den Keulen und dem Band nicht zu bezwingen. Am Samstag gelang ihr mit dem Titel im Mehrkampf der krönende Abschluss.

Boryana Kaleyn, Darja Varfolomeev und Ekaterina Vedeneeva mit Medaillen
APA/AFP/Jose Jordan
Varfolomeev (Mitte) flankiert nach dem Band-Finale mit Boryana Kaleyn (BUL/links) und Ekaterina Vedeneeva (SVK/rechts)

Bei ihren Auftritten überzeugte die 16-Jährige die Wertungsrichter mit Sicherheit, Lockerheit und Eleganz und verzauberte die Zuschauerinnen und Zuschauer auf den gut gefüllten Rängen. Dabei turnte Varfolomeev unter der Woche in den Einzel-Bewerben die deutlich höchsten Schwierigkeiten aller jeweils acht Starterinnen. „Wenn sie bereit ist, genießt sie es, im Wettkampf zu turnen. Sie hat irgendwie Spaß dabei. Die Schwierigkeiten sind sehr hoch bei ihr. Sie ist jetzt schon langsam beim Maximum der Schwierigkeiten“, sagte ihre Trainerin Yuliya Raskina.

Kometenhafter Aufstieg

Erstmals für Schlagzeilen sorgte Varfolomeev im vergangenen Jahr bei der WM in Sofia. Die damals 15-Jährige krönte sich völlig unerwartet zur Weltmeisterin mit den Keulen. Dazu gab es Silber mit dem Ball und im Mehrkampf sowie Bronze mit dem Reifen. Der kometenhafte Aufstieg der Teenagerin wurde jedoch behutsam aufgebaut.

„Als sie gekommen ist, hatte sie auf jeden Fall Potenzial“, erklärte ihre Trainerin Raskina, die sie seit ihrer Ankunft in Deutschland betreut. Als Juniorin sei sie „okay“ gewesen, urteilte die 41-jährige Olympiazweite im Mehrkampf von Sydney 2000. „Wir haben sie langsam aufgebaut, langsam mit ihr gearbeitet ohne Stress“, berichtete die Belarussin, die ihren Schützling als ehrgeizig und ausdrucksstark beschreibt.

Dann kam die einschneidende Coronavirus-Zeit. Wettkämpfe waren tabu, Welt- und Europameisterschaften gab es nicht. „Sie hat diese ganze Junioren-Zeit verloren“, sagte Raskina. Varfolomeev wechselte direkt in den Erwachsenen-Bereich. „Im ersten Jahr bei den Senioren war sie so hungrig auf Wettkämpfe. Sie wollte so sehr turnen, denn sie war einfach in der Halle eingesperrt. Wir haben nur Onlinewettkämpfe gemacht. Sie war so glücklich einfach, sich zu zeigen. Es war schnell, aber nicht zu schnell für uns“, erzählte die Trainerin.