Jubel von Marcel Sabitzer und Kollegen
GEPA/Johannes Friedl
Fußball

Österreich setzt sich bei EM keine Grenzen

Zum dritten Mal in Folge hat sich Österreichs Nationalteam für eine Europameisterschaft qualifiziert. Das ist ebenso wenig eine Selbstverständlichkeit, wie es eine Überraschung ist. Nach dem gelösten Ticket richtet sich ab sofort der Blick nach Deutschland, wo im nächsten Sommer eine „Heim-EM“ für viele Spieler stattfinden wird. Dort ist für das ÖFB-Team einiges möglich, die Spieler setzen sich auch keine Grenzen mehr – ein Verdienst von Ralf Rangnick.

„Für mich gibt es keine Grenzen“, sagte der Teamchef erst unlängst in einem Interview in „Sport am Sonntag“ und fügte an: „Um größer zu denken, muss man sich gewisse Dinge erst einmal vorstellen können. Aber es gilt, einen Schritt nach dem anderen zu gehen“, betonte der 65-jährige Deutsche, der sich nach Marcel Koller und Franco Foda als erst dritter Trainer mit Österreich für eine EM-Endrunde qualifizierte. Dass das österreichische Motto für das Turnier „Alles machbar beim Nachbar“ heißt, wird wie alles in der Rangnick-Ära kein Zufall sein.

Das Credo des Fußballprofessors lautet ohnehin immer, nicht nur dabei sein zu wollen, sondern auch eine gute Rolle zu spielen. Das erste Ziel wurde letztlich souverän erfüllt, auch wenn der 1:0-Auswärtssieg in Aserbaidschan kein ballestrischer Leckerbissen war. Ebenso wie der Start in Linz, als man Aserbaidschan (4:1) und Estland (2:1) teilweise erst mit viel Mühe bezwang. Die Schlüsselspiele gegen Schweden wurden beide verdient gewonnen (2:0, 3:1), in Belgien holte man zudem ein respektables 1:1, und daheim verlor man ersatzgeschwächt mit 2:3.

Vorfreude auf EM

Die österreichischen Jubelgesänge waren Montagabend im Tofik-Bachramow-Stadion von Baku unüberhörbar. Das ÖFB-Team feierte die Qualifikation für die Fußball-EM 2024 in Deutschland.

„Das ist nicht selbstverständlich in so einer schweren Gruppe, vor allem auch ohne Spieler, die uns nicht zur Verfügung gestanden sind“, betonte Rangnick in den Katakomben des Tofik-Bachramow-Stadions von Baku im ORF-Interview. Selbst Marcel Sabitzer, der mittlerweile schon 75 Länderspiele auf dem Buckel hat und bei zwei EM-Turnieren dabei war, hatte „Gänsehaut“. „Wir sind enger zusammengewachsen, haben enorme Qualität und Energie“, betonte Konrad Laimer, der aber wie das Team schon weiterdenkt: „Das ganz Große kommt erst.“

Rangnick dreht an allen Schrauben

Die Entwicklung des Teams unter Rangick ist bisher verheißungsvoll. Wie man es sich nach seiner Bestellung erhoffen durfte, holt Rangnick alles aus der Mannschaft und den Spielern heraus. Dass Trainer und Spieler zueinander passen würden, lag auf der Hand. Seine aktive, mutige und offensivorientierte Spielidee passt zu den vielen Kickern aus dem Red-Bull-Stall, wo er in Salzburg und Leipzig das Sagen hatte.

Trainer Ralf Rangnick jubelt mit seinem Team in der Spielerkabine
GEPA/OEFB/Christopher Kelemen
Das erste Ziel ist erreicht, das Beste soll noch nicht vorbei sein

Und wenn es nicht nach Wunsch läuft, greift Rangnick mit seinem umfangreichen Betreuerteam ein. Im März daheim beim 4:1 gegen Aserbaidschan wurde noch in der ersten Hälfte umgestellt, in Solna beim Stand von 0:0 zur Pause die Positionen minimal verändert und in Baku nun mit einem Dreifachwechsel für den entscheidenden Schwung gesorgt. Wenn mehrere Angreifer ausfallen, wird Guido Burgstaller aus der ÖFB-Pension geholt. Rangnick denkt über den Tellerrand oder – wie es der Englischlehrer selbst gerne nennt – „out of the box“.

ÖFB-Teamchef Rangnick im Interview

Teamchef Ralf Rangnick spricht über die EM-Qualifikation.

In den März- und in den Oktober-Spielen fehlten Rangnick viele Spieler, dennoch wurde nur eine Partie verloren, und das gegen den klaren Favoriten in der Gruppe. Und selbst bei der Heimniederlage gegen die Belgier gab man ein gutes Bild ab, dem verinnerlichten Spielsystem sei Dank. Dennoch betont nicht nur Rangnick immer wieder, dass nicht zu viele Spieler ausfallen dürfen, um Großes zu erreichen. Vor allem auf den Außenverteidigerpositionen ist Österreich limitiert, zuletzt musste etwa auch schon Xaver Schlager als Linksverteidiger einspringen.

Gegen „kleinere“, destruktive Fußballnationen tun sich die Österreicher weiterhin schwer, holen aber die notwendigen Ergebnisse. Die Großen können sie nachweislich mehr als nur ärgern. Es stehen in der Ära Rangnick Siege in Kroatien und gegen Italien zu Buche, ein Punkt wurde Frankreich in Wien abgetrotzt.

Auf der anderen Seite ist die individuelle Klasse mancher Gegenspieler für die ÖFB-Kicker naturgemäß nur schwer in Schach zu halten. „Wir sind ja keine Traumtänzer. Dass du so ein Spiel auch verlieren kannst, war uns schon auch klar“, sagte Rangnick zuletzt in Anbetracht der Ausfälle nach dem Belgien-Spiel. In Bestbesetzung ist aber nicht nur für ihn alles möglich. „Wenn wir alle Topspieler zur Verfügung haben, können wir eine sehr gute Rolle spielen“, betonte Sportdirektor Peter Schöttel, dem mit der Rangnick-Bestellung ein Coup gelungen ist – nicht nur aus Sicht des A-Teams.

Selbstbewusstsein, Teamgeist, Euphorie

Der Deutsche ist ein Macher auf allen Ebenen und dreht an allen Schrauben, egal ob es um den Rasen auf einem Trainingsplatz oder einen Song für die Nationalmannschaft geht. Nicht zum Nachteil des heimischen Fußballs mischt sich der ausgewiesene Fachmann überall ein, um ihn zu verbessern, schuf etwa auch einen Perspektivlehrgang, um potenzielle, zukünftige A-Nationalspieler direkt zu sichten.

Die Spieler schätzen die professionelle Führung und haben den ständigen Hunger nach mehr verinnerlicht. „Wir machen noch nicht alles richtig, haben noch ein paar Steps zu machen. Aber mit dieser Mannschaft ist sehr viel drin. Es gibt noch viel zu tun“, untermauerte Laimer, der wie etwa Xaver Schlager und Christoph Baumgartner der nächsten Generation an Schlüsselspielern im Nationalteam angehört.

ÖFB-Spieler und Fans, davor ein Transparent mit der Aufschrift „Gemma Euro“
GEPA/Johannes Friedl
Nicht nur Teamgeist wird im ÖFB-Team großgeschrieben

Schöttel, selbst früher Teamspieler und seit 2017 Sportdirektor, ist nicht entgangen, was in den Köpfen der Spieler seit Rangnicks Amtsbeginn passiert ist. „Ich glaube, dass wir auch selbstbewusster geworden sind in den letzten Monaten, dass sich jeder richtig viel zutraut. Es ist ein Selbstverständnis da, Großes zu erreichen“, so Schöttel, der im ORF-Interview von einer Symbiose guter Spieler, guter Trainer und guter Stimmung sprach. Dass etwa die verletzten Stars wie David Alaba und Marko Arnautovic zum Heimspiel nach Wien kommen, ist für den Teamgeist sinnbildlich. „Dieser Spirit, dieser Klebstoff, ist die eigentliche Stärke dieser Mannschaft“, betonte Rangnick.

„Auf die Leidenschaft, die wir geschaffen haben, kann man aufbauen“, erklärte Laimer. So sehen das offenbar auch die heimischen Fans, deren Lust auf den heimischen Kick wieder geweckt wurde. Alle vier Heimspiele waren bestens besucht, das Belgien-Spiel ausverkauft. Vor elf Monaten waren nur 18.000 Menschen zum 2:0-Sieg im Test gegen den regierenden Europameister Italien ins Happel-Oval gekommen, ein Jahr später wird am 21. November (20.45 Uhr, live in ORF1) gegen Lieblingsgegner Deutschland kein Sitzplatz frei bleiben.

„Es ist irgendwie eine Heim-EM“

Apropos Deutschland: Für zusätzliche Motivation sorgt der Schauplatz der Endrunde im nächsten Jahr. Nachdem Österreich die bisherigen Turniere im Nachbarland (WM 1974, EM 1988, WM 2006) konsequent verpasst hatte, ist man nun dabei. Die meisten Spieler bleiben dann gleich im Land. „Viele von uns leben dort, deshalb ist es irgendwie eine Heim-EM für uns“, betonte Leipzig-Legionär Baumgartner, dessen Team wohl bei Erfurt (Thüringen) sein Wunschquartier beziehen wird.

„Wir werden brutale Unterstützung von den eigenen Fans haben, das wird uns tragen. Wir freuen uns auf das, was kommt – die Stadien werden rot-weiß-rot sein“, freut sich der Offensivspieler, der Österreich 2021 mit der „Sohle von Bukarest“ ins Achtelfinale geschossen hatte. Das Erreichen der K.-o.-Phase ist das Mindestziel für das ÖFB-Team, in der Denkweise sind die Grenzen aber mittlerweile nach oben offen.