Vincent Kriechmayr nimmt Skibrille ab
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Ski alpin

Kriechmayr: „Skisport ist nicht böse“

Vincent Kriechmayr ist in den vergangenen Jahren zu einem Leader unter den Athleten im österreichischen Skisport gereift. Der Doppelweltmeister von Cortina d’Ampezzo 2021 geht mit Leistung voran, wie seine vier Saisonsiege im Vorjahr untermauern – insgesamt feierte der heimische Skiverband nur sieben. Verbal hält sich der 32-jährige Oberösterreicher eher zurück, vor dem Saisonstart spricht Kriechmayr aber in jeglicher Hinsicht Klartext. Was die Kritik an seinem Sport betrifft, sagte er im APA-Interview etwa auch: „Der Skisport ist nicht böse.“

Am Sonntag in einer Woche könnte der Speed-Spezialist beim traditionellen Saisonauftakt in Sölden am Start sein, wenn wie immer ein Riesentorlauf auf dem Programm steht. Dass dieser Termin im Kontext des Klimawandels von Jahr zu Jahr vermehrt in der Kritik steht, liegt auf der Hand. Kriechmayr sieht im Sport alle gefordert, egal ob es „seinen“ Skisport oder etwa die Motorsportkönigsklasse betrifft, will aber sein Berufsfeld nicht nur in den Negativschlagzeilen wissen.

„Natürlich haut die Formel 1 mehr CO2 raus, aber das ist eine feige Ausrede. Die Formel 1 muss ihren Teil beitragen, der Skisport muss genauso seinen Teil beitragen“, betonte Kriechmayr. „Schauen wir auf die Legenden unseres Sports oder die herausragenden Athleten der Gegenwart: Das Wichtigste, was sie erreichen können, sind nicht Medaillen, sondern dass sie viele, viele Kinder und andere Leute zum Sport animieren. Der Skisport ist nicht böse – der Sport gibt auch etwas zurück“, betonte der Oberösterreicher bei einem Medientermin.

Vincent Kriechmayr bei Presseevent
GEPA/Gintare Karpaviciute
Kriechmayr gehört mittlerweile zu den Anführern bei den heimischen Skifahrern

Was die Kritik am Kalender betrifft, ist Kriechmayr zwiegespalten. „Der Kalender ist ein schwieriges Thema. Wir nennen uns Skiweltcup, und wenn wir vielleicht wieder mal in Asien fahren würden, kann man das nicht nur kritisieren. Japan hat auch eine gewisse Skigeschichte. Der Skisport spielt sich nicht nur in Europa ab“, betonte der Abfahrer und denkt in Lösungen. „Wenn alle im September in Chile sind, können wir auch dort mit Rennen starten, das gab es ja schon. Es wäre sicher ein Punkt, den viele Athleten unterstützen würden. Aber ich weiß wiederum nicht, wie das Medieninteresse um diese Zeit ist.“

„Es ist dramatisch, was mit den Gletschern passiert“

Aktuell wird so ziemlich alles kritisiert, was die Skifahrer bis zum Saisonstart machen. Die traditionellen Trainingslager in Südamerika („Chile war bescheidener, wir hatten sogar viel zu viel Schnee“) stoßen anno 2023 auf kein großes Verständnis mehr. „Mittlerweile ist Chile alternativlos, vor allem für uns mit Sölden, wenn der Weltcup so früh startet.“

Kritik an frühem Weltcup-Start wird lauter

Steigende Temperaturen und die Auswirkungen des Klimawandels stellen den Skisport vor neue Herausforderungen. Die Kritik am frühen Termin des Weltcup-Auftakts in Sölden Ende Oktober wird immer lauter. Auch der frühere Skistar Felix Neureuther plädiert für eine Verschiebung.

Was sich auf den Gletschern abspielt, ist Kriechmayr nicht entgangen und lässt ihn offenkundig auch alles andere als kalt. „Früher haben wir in Zermatt und Saas-Fee sehr gut trainiert, aber es ist bemerkenswert, wie das in drei Jahren nachgelassen hat. Es ist dramatisch, was mit den Gletschern passiert. Ich war im Juli noch in Hintertux, und einen Monat später hat es nicht mehr berauschend ausgeschaut“, berichtete er.

Das vom ehemaligen deutschen Rennläufer Felix Neureuther geforderte Sommertrainingsverbot auf Gletschern sieht Kriechmayr kritisch: „Ich weiß nicht genau, wie er diese Aussage meint, aber Felix war genauso überall. Er weiß, dass das sonst nicht funktioniert. Dann müssten wirklich alle verzichten, aber das ist unwahrscheinlich.“

Kriechmayr für Änderungen offen

Der Kitzbühel-Sieger der Vorsaison plädiert selbst für Änderungen. „Wir müssten hintenraus länger fahren, da haben wir die besten Bedingungen. Aber da geht es um Fernsehzeiten, die Bundesliga spielt und die Formel 1 fährt wieder“, weist Kriechmayr auf Einflüsse hin.

Überhaupt sollten Athleten mehr Gehör finden. Beispielsweise werden auch 2024 wieder zwei Kitzbühel-Abfahrten über die Bühne gehen und kein Super-G. „Jede Nation inklusive Österreich würde gern einen Super-G und eine Abfahrt haben. Wir fahren auch gern zwei Abfahrten, aber in Zukunft wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn man doch einmal auf die Athleten hören würde. Aber Geld regiert die Welt.“

„Es zählt eine Kugel“

Wer in dieser Saison vor allem die Speed-Disziplinen regieren wird, wird sich weisen. Kriechmayr fühlt sich bereit. „Der Sommer war sehr ruhig, ich bin ohne Wehwehchen durchgekommen“, so der gebürtige Linzer, der seine zweite Kugel nach jener im Super-G (2021) holen möchte. „Es spielt keine Rolle, wie viele Siege, schlussendlich zählt eine Kugel. Die Saison war bis auf den Start eigentlich sehr gut, aber das Ziel im kommenden Winter muss sein: die Nuller auslassen.“

Ob Sölden ein „Nuller“ wird, ist noch offen. Kriechmayrs Plan ist aktuell, zu starten. „Stand jetzt, ja. Wir haben in der Sölden-Woche aber die Möglichkeit, in Zermatt zu trainieren, wie jede andere Nation auch – damit die Schweizer nicht ganz so viel Vorteil haben. Wenn ich merke, dass ich in der Abfahrt noch Baustellen habe, kann es sein, dass ich länger in Zermatt bleibe und nicht in Sölden bin.“