Bernhard Raimann (Indianapolis Colts) und Travon Walker (Jacksonville Jaguars)
IMAGO/ZUMA Wire/John Mersits
NFL

Für Raimann schließt sich in Frankfurt Kreis

Am 29. September 2013 beschloss Zuschauer Bernhard Raimann im Londoner Wembley Stadium, es in die National Football League (NFL) zu schaffen. Zehn Jahre später kehrt der 26-Jährige als Stammspieler nach Europa zurück. Am Sonntag (15.30 Uhr) schließt sich für den Offensive Tackle mit den Indianapolis Colts in Frankfurt gegen die New England Patriots der Kreis. „Es wird sicher ein geiles Spiel“, freute sich Raimann auf sein „Heimspiel“.

Sechs Tage nach seinem 16. Geburtstag erlebte Raimann ein für sein weiteres Leben einschneidendes Erlebnis. Der Burgenländer, der erst zwei Jahre davor seine Liebe zum Football entdeckt hatte, war einer von über 83.000 Fans, die Zeuge wurden, wie die Minnesota Vikings die Pittsburgh Steelers mit 34:27 in die Knie zwangen. Damals fasste Raimann den Entschluss, NFL-Profi zu werden. Ein Jahrzehnt Training, ein Studium an der University of Central Michigan und eine aus österreichischer Sicht historische Draftauswahl 2022 später ist Raimann am Sonntag nun erstmals als Stammspieler wieder in Europa zu sehen.

„So nahe an zu Hause kann man nicht oft in der NFL spielen. Deswegen ist es ein super Gefühl hier, zu sein. Meine Familie ist auch da, und wir freuen uns alle sehr“, sagte Raimann am Freitag nach der Ankunft in Frankfurt im ORF-Interview. Das Duell zwischen dem zwei- und sechsfachen NFL-Meister ist das letzte Spiel der heuer fünf Partien umfassenden International Series der NFL und das zweite in Frankfurt. Vor einer Woche feierte Titelverteidiger Kansas City Chiefs gegen die Miami Dolphins einen 21:14-Erfolg.

Bernhard Raimann (Indianapolis Colts) bei einer Pressekonferenz in Frankfurt
ORF/Bernhard Kastler
Das G’riss um „Lokalmatador“ Raimann war beim Pressetermin vor dem Spiel wenig überraschend groß

Raimann war als einziger deutschsprachiger Vertreter beider Teams auch ein gefragter Gesprächspartner beim einzigen Medientermin der Colts vor der Partie, der wenige Stunden nach der Landung nach einem kurzen Training stattfand. Eine neue, aber angesichts der Umstände keine unangenehme Situation, so der Burgenländer: „Als O-Liner hat man mit dem Medienrummel normalerweise nicht so viel zu tun. Aber man gewöhnt sich daran. Es ist cool zu sehen, wie sich Football in Europa entwickelt hat und wie groß das Interesse ist.“

Großmutter im Publikum

Für Raimann erfüllt sich mit dem Gastspiel im Heimstadion von Eintracht Frankfurt nicht nur ein sportlicher Traum. Denn der 26-Jährige kann sich dank der Nähe zu Österreich dem Großteil seiner Familie präsentieren. Insgesamt 18 Verwandte werden laut Raimann in Frankfurt mit von der Partie sein, der Großteil davon sieht seinen Bernhard dabei zum ersten Mal live in seiner Colts-Uniform auflaufen. „Ich habe die Maximalanzahl voll ausgenutzt“, sagte Raimann mit einem breiten Grinsen.

Speziell, dass seine Großmutter die Chance erhält, ihn live zu sehen, hebe das Spiel für ihn auf eine zusätzliche emotionale Ebene, so Raimann. „Sie wäre wahrscheinlich nicht mehr in die USA gekommen, es ist ja auch ein weiter Flug. Jetzt schafft sie es, mich doch spielen zu sehen, das ist ein super Gefühl“, meinte der Offensive Tackle. Daher sei schon bei der Veröffentlichung des Spielplans im Frühjahr der Puls vor Freude nach oben gegangen. „Ich war schon aufgeregt, wie ich gesehen habe, dass wir ein Auswärtsspiel bei den Patriots haben. Ich wusste ja, dass sie ein Spiel in Deutschland spielen werden. Daher war die Chance groß.“

Raimann in Top Ten zu finden

Familie Raimann wird in Frankfurt jedenfalls einen heuer unverzichtbaren Puzzleteil in der Offensive der Indianapolis Colts erleben. Im Vorjahr in seiner ersten Saison war der gebürtige Burgenländer zu Beginn nur Ersatz und rutscht erst in der zweiten Hälfte der Saison nach der Entlassung von Cheftrainer Frank Reich in die Starformation. Unter dem neuen Headcoach Shane Steichen ist der im Vergleich zu 2022 um sieben Kilogramm schwerere Raimann als Left Tackle und damit wichtigster Beschützer des Quarterbacks – Stichwort „Blindside“ – in der O-Line gesetzt.

Myles Garrett (Cleveland Browns) und Bernhard Raimann (Indianapolis Colts)
IMAGO/Sipa USA
Raimann (r.) erfüllte seine Aufgabe als Beschützer der „Blindside“ auch gegen Starverteidiger wie Clevelands Miles Garrett

Und der bisher erste Österreicher in der NFL, der nicht die Position des Placekickers bekleidet, unterstrich das Vertrauen des Trainerstabs mit soliden Leistungen. In der von Pro Football Focus (PFF) erstellten Rangliste ist Raimann mit einem Wert von 80,3 Punkten von insgesamt möglichen 100 die Nummer acht unter den Starting Offensive Tackles. Zum Vergleich: Christian Darrisaw von den Minnesota Vikings ist mit 86,0 Punkten die Nummer eins. In der wichtigen Kategorie Pass Blocking liegt Raimann mit 78,9 Punkten als Zwölfter auch nur knapp außerhalb der Top Ten.

Trainer prophezeit große Zukunft

Eine Stärke Raimanns, der zwei Spiele wegen einer Gehirnerschütterung verpasste, ist heuer seine Disziplin. Laut PFF ist der Österreicher nur einer von zwölf Offensive Tackles, die zwei oder weniger Strafen kassiert haben. Auch Quarterback-Sacks hat Raimann, der in Frankfurt nicht auf den verletzten Rookie Anthony Richardson, sondern Exzentriker Gardner Minshew aufpassen muss, nur wenige direkt zu verantworten. Laut Statistik war der 26-Jährige nur zweimal „schuld“, dass sein Spielmacher am Ende auf dem Rücken lag.

Übersichtsaufnahme des Deutsche-Bank-Park-Stadions vor dem NFL-Spiel Miami Dolphins gegen Kansas City Chiefs
IMAGO/USA TODAY Network/Kirby Lee
Bereits vor einer Woche war das Frankfurter Stadion Bühne eines NFL-Spektakels

„Es ist großartig zu sehen, wie er sich in seinem zweiten Jahr entwickelt hat. Er zeigt jede Woche Fortschritte“, war Headcoach Steichen bei seiner Pressekonferenz auch voll des Lobes für den Österreicher. Nicht nur in Sachen Arbeitsmoral und Einsatz sei Raimann eine Bereicherung für das Team: „Er ist ein großartiger Mensch und Charakter“, sagte der 44-Jährige, der auch gleich einen Satz nachlegte, der für österreichische Football-Fans heruntergeht wie Öl: „Er hat in dieser Liga eine große Zukunft.“

Auch Raimanns unmittelbaren Coach Tony Sparano Jr. ist die sichtliche Steigerung seines österreichischen Schützlings, der vergangene Saison in einem Spiel vier Strafen wegen eines Frühstarts kassierte, das Resultat harter Arbeit. „Er verarbeitet Dinge sehr schnell. Mit seinem Einsatz, wie er sich vorbereitet und seiner Arbeitsmoral ist die Steigerung kein Zufall“, sagte der O-Line-Coach der Colts und schickte auch ein großes Lob hinterher: „Ich bin daher sehr stolz auf ihn.“

Kein Spitzenduell mehr

Am Sonntag ist Raimanns Einsatz gegen die Verteidigung der von Startrainer Bill Belichick angeführten New England Patriots gefordert. Anders als noch etwa in den 2000er Jahren und im Vergleich zum Aufeinandertreffen von Kansas City und Miami vor einer Woche ist das Duell Colts – Patriots heuer kein Schlager mehr. Indianapolis feierte in der neunten Runde mit einem 27:13 bei den Carolina Panthers nach davor drei Niederlagen den vierten Saisonsieg. Detail am Rande: Bei zwei der drei Pleiten war Raimann mit einer Gehirnerschütterung zum Zuschauen verdammt.

Im Vergleich zu New England liegen Raimann und Co. damit aber noch im Play-off-Rennen. Denn die einst erfolgsverwöhnten Patriots sind mit zwei Siegen bei sieben Niederlagen das Schlusslicht der American Foootball Conference (AFC). Vor allem offensiv gehört New England mit nur 15 Touchdowns als 25. der Rangliste zum hinteren Drittel der Liga. Zum Vergleich: Indianapolis ist mit 25 die Nummer sechs.

Trotz der Ausgangslage erwartet sich Raimann aber wie schon im Vorjahr in München und auch beim ersten Spiel in Frankfurt ein Spektakel. „Die Stimmung wird super sein“, sagte der Lokalmatador und verweist auch gerne auf sein Erlebnis 2013. „Schon das London-Spiel, bei dem ich vor Jahren war, war ein cooles Erlebnis.“ Vor allem in der Chronik der Familie Raimann wird das Gastspiel in Frankfurt so oder so einen besonderen Eintrag erhalten. Und das Programmheft wird wohl so aufgehoben werden, wie jener Ticketabriss der Partie Vikings gegen Pittsburgh, das schließlich den Startschuss von Raimanns NFL-Karriere markierte.

National Football League

Woche 18

Samstag, 6. Jänner:
Baltimore Pittsburgh 10:17
Indianapolis * Houston 19:23
Sonntag, 7. Jänner:
New England NY Jets 3:17
Cincinnati Cleveland 31:14
Tennessee Jacksonville 28:20
Detroit Minnesota 30:20
Carolina Tampa Bay 0:9
New Orleans Atlanta 48:17
LA Chargers Kansas City 12:13
Las Vegas Denver 27:14
Washington Dallas 10:38
NY Giants Philadelphia 27:10
Green Bay Chicago 17:9
San Francisco LA Rams 20:21
Arizona Seattle 20:21
Miami Buffalo 14:21
* mit Raimann