enttäuschte deutsche Spieler
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Fußball

Deutschland sorgt vor Heim-EM für Entsetzen

Nach dem Tiefschlag am Dienstag im Wiener Happel-Stadion geht in Deutschland die Angst vor dem nächsten Turnierdebakel der eigenen Fußballnationalmannschaft um. Die DFB-Auswahl verabschiedete sich beim 0:2 gegen Österreich mit einer im Hinblick auf die Heim-EM 2024 alarmierenden Leistung in die Winterpause. Das sportliche Waterloo von Wien sorgte nicht nur medial für Entsetzen, auch Kapazunder wie Uli Hoeneß reagierten desillusioniert.

„Ich bin fassungslos über diese Entwicklung und wüsste nicht, an welchen Schrauben man drehen muss, um dieses Chaos kurzfristig zu beseitigen“, sagte der 71-jährige Macher vom FC Bayern München dem Fachmagazin „kicker“. Seiner Ansicht nach liegt ein Systemfehler vor, die Spieler würden zu wenige Zweikämpfe für sich entscheiden.

Auch Rekordnationalspieler Lothar Matthäus schlug Alarm: „Wir haben doch keine Zeit mehr. Wir brauchen eine klare Grundidee. Spieler wollen und brauchen Klarheit, aber wer weiß denn überhaupt, dass er in dieser Mannschaft gesetzt ist? Keiner weiß so richtig, woran er ist. Wenn wir eine DNA haben, ein Spielsystem haben, warum verändert man das?“, fragte Matthäus. Nagelsmann müsse sich hinterfragen, ob er bei den Niederlagen zuletzt gegen die Türkei (2:3) und in Wien gegen das ÖFB-Team die richtigen Entscheidungen getroffen habe.

Deutsches Nationalteam in der Kritik

Die zuletzt schwachen Vorstellungen haben beim deutschen Fußballnationalteam sichtlich Spuren hinterlassen. So ließ sich Leroy Sane am Dienstag bei der 0:2-Klatsche in Wien gegen Österreich zu einer Tätlichkeit gegen Phillipp Mwene hinreißen und kassierte die Rote Karte.

Die deutsche Medienlandschaft zeigte sich ebenso entsetzt. Die „Bild“ schrieb nach der „schwarzen Nacht in Wien: Oh Gott, was war denn das? So können wir die EM vergessen!“ Die Münchner „Abendzeitung“ schrieb von einer „schwer konfusen DFB-Elf“, und die „Süddeutsche Zeitung“ bezeichnete die aktuelle Lage gar als „Abbruchstimmung“.

„Unfassbar viel Arbeit“

Entsprechend frustriert war Bundestrainer Julian Nagelsmann nach seiner zweiten Niederlage im vierten Spiel. Man müsse akzeptieren, dass es „unfassbar viel Arbeit gibt. Es gibt Dinge, wo wir ansetzen müssen. Es geht nur über extrem harte Arbeit und auch über deutsche Tugenden, das ist Fakt. Wir können nicht in Schönheit sterben. Wir werden auch im Sommer keine Verteidigungsmonster werden.“

Trainer Julian Nagelsmann (GER)
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Auch Julian Nagelsmann zeigte sich ob der Leistung seiner Mannschaft verwundert

Der junge Coach sieht auch ein Kopfproblem bei seinen Spielern: „Die Mannschaft ist nicht befreit. Wir sind nicht diese Einheit, die wir außerhalb des Platzes sind. Wir strotzen nicht vor Selbstvertrauen, das ist einfach Fakt. Das liegt auf der Hand, wenn man die letzten Jahre sieht.“ Von seinem Weg will Nagelsmann dennoch nicht abgehen.

„Jetzt kann man natürlich sagen, ich schmeiße im März wieder alles um und mache eine ganz andere Idee“, sagte der frühere Bayern-Coach. „Oder wir sagen, wir gehen den weiter und versuchen, eher den Weg einer Spitzenmannschaft zu gehen.“ Nagelsmann verteidigte die umstrittene Rolle von Kai Havertz auf der linken Außenbahn, beklagte „absurde“ Ballverluste und gab sich kämpferisch. „Ich will jetzt langsam rauskommen aus dieser Opferrolle, wie schlecht alles die letzten Jahre war, und wie wenige Spiele wir gewinnen, und, und, und.“

Kickern wird Rute ins Fenster gestellt

Seinen Kickern stellte der Coach verklausuliert die Rute ins Fenster. „Am Ende geht es für uns ein bisschen um das Bewusstsein der Situation und um die richtige Auswahl der passenden Spieler, die vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt weniger gut passen würden, aber zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht einen Tick besser passen in dem Status, in dem sich die Nationalmannschaft aktuell befindet.“

Sportdirektor Rudi Völler richtete den Spielern ebenfalls etwas aus. „Es geht vordergründig nicht um das nackte Ergebnis, aber die Art und Weise, das ist nicht schön, das können wir uns nicht gefallen lassen, und das muss besser werden“, sagte der Weltmeister von 1990. „Ich weiß, das ist immer ein Begriff, ein Wort, das strapaziert wird, aber uns fehlen ein bisschen die deutschen Tugenden.“ Die DFB-Auswahl müsse „die fünf bis zehn Prozent an Leidenschaft, an Dynamik, an Energie“ ins Spiel bekommen. „Sonst wird es schwierig“, sagte Völler.

Echtes Team zu formen hat Vorrang

Nagelsmann betonte unterdessen, auf interne Missstimmung seien die jüngsten Ergebnisse nicht zurückzuführen. Abseits der Spiele sei sein Team eine „sehr geschlossene Gemeinschaft mit einem unglaublich guten Miteinander“. Im Spiel seien daher noch „zu viele Einzelkämpfer“ zu sehen. Seine Aufgabe ist es nun, ein echtes Team zu formen.

„Grundsätzlich ist die Denkweise eines Trainers nicht: Ich habe eine Idee und die knalle ich auf eine Mannschaft, sondern wir schauen uns natürlich an, was haben wir für Spieler?“, sagte der 36-Jährige, um in der Folge zu berichten, dass es möglicherweise „fünf Sechser“ und „fünf Zehner“ gebe, aber nur eineinhalb Stürmer und wenn überhaupt einen halben Linksverteidiger. „Dann muss man sich vielleicht in die Faust beißen und sagen, vielleicht mal ein Toptalent weniger und einen Worker mehr“, sagte der Bundestrainer. Bis zum nächsten Spiel in vier Monaten kann sich Nagelsmann auch darüber den Kopf zerbrechen.