Benfica-Trainer Roger Schmidt
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Champions League

Rückkehr eines Salzburger Revolutionärs

Am Dienstag (21.00 Uhr) ist mit Roger Schmidt mehr als nur ein alter Bekannter in Salzburg zu Gast. Gemeinsam mit dem damaligen Sportchef und heutigen österreichischen Teamchef Ralf Rangnick revolutionierte und prägte der nunmehrige Trainer von Benfica Lissabon die „Bullen“-DNA nachhaltig. „Es ist besonders für mich, nach sehr langer Zeit wieder hier zu sein“, sagte der 56-Jährige bei seiner Rückkehr nach Österreich, wo sein Team gefordert ist.

Um als Gruppendritter in die Europa League umzusteigen, benötigt Portugals Rekordmeister in Schmidts alter beruflicher Heimat im abschließenden Champions-League-Gruppenspiel einen Erfolg mit zumindest zwei Toren. Benfica hält in der Königsklasse nur bei einem Punkt, auch in der Liga reichte es zuletzt nur zu zwei Unentschieden.

„Vielleicht ist es aber fußballerisch sogar die beste Phase der Saison“, richtete der Deutsche seinen Kritikern, vor allem Teilen der Fans aus. „Wir müssen die Chancen aber nutzen, um Spiele zu gewinnen. Es ist eine gute Gelegenheit, denn wir müssen effektiv sein“, sagte Schmidt, dessen Team zum Auftakt eine überraschende 0:2-Niederlage gegen Salzburg kassierte und das nun geradebiegen muss. „Für Benfica ist es wichtig, dass wir auch im neuen Jahr international spielen. Salzburg ist aber ein sehr gutes Team, das ist klar“, so Schmidt über seinen Ex-Club.

Benfica-Trainer Roger Schmidt bei einer Pressekonferenz in Salzburg
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Am Montagabend kehrte Schmidt an seine alte Wirkungsstätte zurück

Abseits vom Sportlichen genießt Schmidt die Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte. „Es ist schön, mal wieder dran zu denken – es war eine schöne Zeit, eine tolle Mannschaft, ein toller Verein und eine tolle Stadt.“ Elf Jahre ist es her, seit Schmidts Karriere einen Schub bekam.

Schmidt ist jemand, der „beides vereint“

Denn das Jahr 2012 veränderte bei Red Bull Salzburg so ziemlich alles. Rangnick wurde einst als Sportchef verpflichtet. Der Deutsche krempelte die Transferpolitik von „alte Stars“ auf „hoffnungsvolle Talente“ um und lag damit goldrichtig, wie die zahlreichen folgenden Titel ebenso zeigten wie die Transfersummen, mit der Salzburg für heimische Verhältnisse in neue, ungeahnte Sphären vorstieß.

Salzburg bereit für Benfica Lissabon

In der Champions League trifft Salzburg am Dienstag auf Benfica Lissabon. Für den Bundesliga-„Winterkönig“ würde ein Unentschieden gegen die Portugiesen bereits reichen, um in der Europa League zu überwintern.

Auch bei seiner ersten Trainerbestellung bewies Rangnick wie so oft ein goldenes Händchen. Paderborn-Coach Schmidt war nur Insidern ein Begriff, der damals 45-Jährige wusste aber mit seinem Spielerumgang und mit seiner kompromisslosen Spielidee zu überzeugen. Der heutige Salzburg-Trainer Gerhard Struber sagte im Vorfeld über ihn: „Er ist jemand, der beides vereint, nämlich unglaubliches Man-Management und eine interessante Spielidee, die er über die Jahre auch entwickelt hat. Er spielt auf einer ganz breiten Klaviatur, zu ihm schaut man auf.“

Trainer Roger Schmidt und Sportdirektor Ralf Rangnick (RBS)
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Schmidt und Rangnick ließen den „Red-Bull-Fußball“ entstehen

Schmidt holte seine Spieler fachlich und menschlich ab, wie viele von ihnen im Nachgang bestätigten. So etwa der frühere Teamspieler Florian Klein, der in einem Interview mit der Fußballbundesliga erklärte: „Wie er es geschafft hat, ein ganzes Team auf dieses komplett neue Level zu bringen, sodass jeder wusste, was er zu tun hat, war grandios. Ich war damals ja auch schon 24, hab viel gesehen im Fußball, und musste mich komplett umstellen, das war ein Wahnsinn.“

Klein erinnerte sich: „Zu Beginn wirkte es hart, aber es ging jedem so, und alle wussten immer, woran sie waren.“ Für ihn rangiert Schmidt unter seinen Trainern „an erster Stelle. Er war auch zugänglich für Themen neben dem Platz, wollte wissen, wie es privat läuft.“ Der Deutsche war für die vielen jungen Spieler eine Vaterfigur, die auf dem Platz viel forderte. Sein Credo lautete: „Das ist keine Einbahnstraße.“

Von einer Blamage bis zum perfekten Pressing

Allerdings benötigt jede Revolution Zeit, und aller Anfang war schwer oder vielmehr blamabel. Sein zweites von am Ende insgesamt 99 Spielen als Salzburg-Trainer war das 0:1 gegen den Luxemburger Club Düdelingen, ein 4:3 im Rückspiel reichte aufgrund der damals noch geltenden Auswärtstorregel nicht mehr zum Weiterkommen und besiegelte die Blamage in der Champions-League-Qualifikation.

Ein trostloses 0:2 gegen Rapid später bewog Rangnick zum Handeln, es folgten ein Transfersommer, der in Salzburg alles veränderte. In einem Aufwasch kamen u. a. der spätere Starspieler Sadio Mane sowie prägende Kicker wie Kevin Kampl und Valon Berisha. „Salzburg neu“ startete mit einem mageren 1:1 im Heimspiel gegen Ried, aber schon da war die Schmidt’sche Spielidee zu erkennen. In der ersten Saison sollte es noch zu keinem Titel reichen, auch weil die Wiener Austria damals unter Peter Stöger mit 82 Punkten einen Rekord aufstellte.

Trainer Roger Schmidt (RBS)
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In der Europa League gegen Ajax Amsterdam lieferte Salzburg unter Schmidt ein Lehrspiel ab

Die Schmach stachelte Salzburg unter Schmidt noch mehr an. Ein 7:2-Sieg in einem Testspiel gegen Ex-Club Paderborn ließ schon vermuten, wohin die Reise gehen würde. Am Ende war Salzburg national im März und damit so früh wie noch nie Meister, holte den ÖFB-Cup und sorgte auch in Europa für Aufsehen. Ein 3:0 bei Ajax Amsterdam gilt als das Salzburger Lehrspiel seit dem Paradigmenwechsel anno 2012.

Gnadenloses Gegenpressing erfuhr auch Bayern München beim 0:3 in einem Test, später sollte der damalige Bayern-Trainer Josep Guardiola sagen, er habe noch nie gegen eine Mannschaft mit so hoher Intensität gespielt. Selbst die „New York Times“ berichtete einst, dass Salzburg die Kunst des Pressings auf ein neues Level hebe. Unter Schmidt wurde der nach wie vor praktizierte „Red-Bull-Fußball“ berühmt.

Gerechtigkeitsfanatiker und Sturkopf gleichermaßen

Der gelernte Maschinenbauingenieur Schmidt lebt die Intensität vor, auch zu seinem Nachteil. „Wenn das Spiel kam, war er sehr impulsiv, immer Richtung 180. Da kam sein ausgeprägter Siegeswille zum Vorschein. Man hat extrem gemerkt: Er kann nicht verlieren“, so Klein. Das bekam Adi Hütter zu spüren, mit dem Gerechtigkeitsfanatiker Schmidt einst in Grödig zusammenkrachte. Bei seiner folgenden nächsten Station Bayer Leverkusen folgte Schmidt einst einer Anweisung des Schiedsrichters nicht und blieb im Innenraum des Stadions, im Februar schmiss er eine Wasserflasche zurück ins Publikum. „Manchmal ist er so stur und lässt sich nicht von seinem Weg abbringen. Auch das ist ein Merkmal von ihm“, betonte Klein.

Nach seinem Aus in Leverkusen zog es Schmidt nach China, wohin ihn auch Salzburgs-Rekordtorjäger Jonatan Soriano begleitete. 2020 heuerte er bei PSV Eindhoven an, wo er ebenfalls Meister wurde wie in diesem Jahr in Lissabon. Benfica führte er ins Champions-League-Viertelfinale. Zu diesem Zeitpunkt wurde Schmidt als Held verehrt, wie so oft im Fußball ging es Monate später in die andere Richtung. Aber Schmidt spürt die Rückendeckung seines Präsidenten Rui Costa. „Ich weiß, wie unser Präsident über uns, über mich und über unseren Fußball denkt“, betonte der Coach. „Ich habe keine Zweifel an seinem Glauben an uns.“ An seiner alten Wirkungsstätte, wo die Karriere endgültig Fahrt aufnahm, will Schmidt dieses Vertrauen zurückzahlen.