Hakan Calhanoglu
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Fußball

Türken befinden sich im Aufwind

In der jüngeren Vergangenheit hat das österreichische Fußballnationalteam gegen die Türkei nicht gut ausgesehen. Von den sieben Duellen mit den Türken in diesem Jahrtausend haben die Österreicher fünf verloren. Der einzige volle Erfolg gelang in einem Test 2012 in Wien mit 2:0. Der türkische Fußball hat zuletzt einen kleinen Aufschwung hinter sich. Unter Neo-Teamchef Vincenzo Montella qualifizierte man sich erstmals als Gruppensieger für eine EM-Endrunde.

Die Türken ließen in ihrer Qualigruppe im Vorjahr Kroatien und Wales hinter sich. Dazu zeigten sie im November mit einem 3:2-Testspielsieg in Deutschland auf. Als 35. liegt man in der FIFA-Weltrangliste vor dem Duell am Dienstag (20.45 Uhr, live in ORF1) in Wien dennoch zehn Positionen hinter Österreich. Montella war erst im September dem Deutschen Stefan Kuntz gefolgt, von dem sich der türkische Verband nach zwei Jahren ohne Turnierteilnahme getrennt hatte.

Montella genießt in der Türkei hohes Ansehen. „Er weiß, wie man die Mannschaft führt. Es herrscht eine gute Atmosphäre mit ihm, wir sind glücklich“, betonte Kapitän Hakan Calhanoglu. Der 30-jährige Mittelfeldstar von Inter Mailand gilt als Schlüsselspieler im Team. Dazu kommen in der Offensive Orkun Kökcü (Benfica Lissabon) und im Zentrum Enes Ünal, der nach einem überstandenen Kreuzbandriss in der englischen Premier League für Bournemouth stürmt.

Vincenzo Montella
Reuters/Murad Sezer
Montella hat die Türkei als Gruppensieger zur EM geführt

Zudem kann die Türkei auf ein zunehmendes Reservoir von Toptalenten zurückgreifen. Der 18-jährige Offensivmann Kenan Yildiz spielt bei Juventus Turin regelmäßig, auch Arda Güler (19) verzeichnete bei Real Madrid nach einer Verletzung zuletzt immer wieder Kurzeinsätze. Gegen das ÖFB-Team könnte in seiner Heimatstadt Wien Mert Müldür (24) in der Startformation stehen. Der Ex-Rapidler hat bisher 21 Länderspiele absolviert. Am Freitag gegen Ungarn (0:1) wurde der Fenerbahce-Verteidiger schon vor der Pause eingewechselt und könnte nun am Dienstag in Wien links in der Abwehr starten.

Müldür könnte in Heimatstadt spielen

„Das ist ein sehr besonderes Spiel für mich. Es hat sehr große Bedeutung“, sagte Müldür am Montagabend bei einer Platzbegehung im Ernst-Happel-Stadion. Für den 24-Jährigen schließt sich in Wien ein Kreis. „Ich bin hier aufgewachsen, zur Schule gegangen, habe hier mit dem Fußballspielen angefangen.“ Müldür war bis 2019 für Rapid aktiv. Nach vier Jahren beim italienischen Erstligisten Sassuolo spielt er seit vergangenem Sommer für Fenerbahce Istanbul. Das Meisterrennen ist ein Zweikampf mit dem großen Rivalen Galatasaray.

Mert Müldür
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Müldür wurde in Wien geboren und könnte am Dienstag gegen Österreich spielen

Müldür will sich auch für den EM-Kader empfehlen. „Jedes einzelne Spiel ist eine Chance“, meinte der Außenverteidiger, der bei seinem Club zumeist rechts hinten zum Einsatz kommt. Mit seinem Fenerbahce-Kollegen Ferdi Kardioglu und Ridvan Yilmaz von den Glasgow Rangers fehlen Montella in Wien aber zwei Linksverteidiger verletzt.

„Ich werde darüber nachdenken, ob wir gegen Österreich etwas rotieren“, erklärte Montella. Der italienische Ex-Nationalstürmer misst den Tests hohe Bedeutung bei. Er wolle jungen Spielern eine Chance geben, die arrivierten Kräfte aber auch nicht verdrängen. „Wir dürfen nicht vergessen: Es gab eine Reise, die vor mir begonnen hat. Mit mir haben wir den ersten Platz belegt und fahren zum ersten Mal als Gruppensieger zu einem Turnier. Das haben diese Spieler geschafft, daher haben sie es auch verdient zu spielen.“

Zuletzt erste Niederlage unter Montella

In Ungarn (0:1) kassierten die Türken die erste Niederlage unter Montella, der frühere AS-Roma-, Fiorentina- und AC-Milan-Coach war mit der Leistung aber gar nicht unzufrieden. Vor den Österreichern warnte der 49-Jährige: „Das ist ein sehr bedeutendes Team.“ Verzichten muss er u. a. auf Goalie Altay Bayindir, der eine Muskelverletzung hat. Gegen die Ungarn stand Besiktas-Routinier Mert Günok im Tor, in Wien könnte anstelle des Ersatzgoalies von Manchester United auch Trabzonspor-Kapitän Ugurcan Cakir eine Chance erhalten.

Bei der EM im Sommer in Deutschland trifft die Türkei in Gruppe F auf Portugal, Tschechien sowie den Sieger der Play-off-Begegnung Georgien gegen Griechenland. Für eine WM hat man sich zuletzt 2002 qualifiziert – auf Kosten Österreichs. In der Play-off-Barrage setzten sich die Türken im November 2001 in Wien mit 1:0 und in Istanbul mit 5:0 durch, ehe sie sich in Japan und Südkorea überraschend WM-Bronze holten.

Gesamtbilanz leicht positiv

Die Gesamtbilanz des ÖFB-Teams gegen die Türkei ist trotz der jüngst geringen Ausbeute immer noch leicht positiv. Von bisher 16 Länderspielen gingen acht an Österreich – bei sieben Niederlagen und einem Remis. Das bisher letzte Duell war ebenfalls das zweite Testspiel eines EM-Jahres, in das die ÖFB-Auswahl hoffnungsvoll und wie am Samstag in der Slowakei (2:0) mit einem Sieg gestartet war. 2016 unter Teamchef Marcel Koller folgte nach einem 2:1 zum Jahresauftakt gegen Albanien am 29. März in Wien ein 1:2 gegen die Türken.

Aus dem aktuellen Kader von Ralf Rangnick stand damals kein Spieler auf dem Platz. David Alaba und Marko Arnautovic sind am Dienstag zwar im Stadion, fehlen bei der Neuauflage aber verletzt. Ihr Ersatzkapitän Marcel Sabitzer war vor acht Jahren wegen Zahnproblemen nicht mit von der Partie, sein Einsatz ist wieder fraglich. Zlatko Junuzovic brachte Österreich in Führung. Calhanoglu sorgte per Freistoß für den Ausgleich, Arda Turan nach einem Fehler des damaligen ÖFB-Ersatzgoalies Ramazan Özcan für die Entscheidung.

ÖFB-Bilanz gegen Türkei

16 Spiele – 8 Siege, 1 Remis, 7 Niederlagen (Torverhältnis 18:22)

30. Mai 1948 (FS) Istanbul: Türkei – Österreich 0:1

20. März 1949 (FS) Wien: Österreich – Türkei 1:0

13. November 1974 (FS) Istanbul: Türkei – Österreich 0:1

17. April 1977 (WM-Quali), Wien: Österreich – Türkei 1:0

30. Oktober 1977 (WM-Quali), Izmir: Türkei – Österreich 0:1

17. November 1982 (EM-Quali), Wien: Österreich – Türkei 4:0

16. November 1983 (EM-Quali), Istanbul: Türkei – Österreich 3:1

2. November 1988 (WM-Quali), Wien: Österreich – Türkei 3:2

25. Oktober 1989 (WM-Quali), Istanbul: Türkei – Österreich 3:0

10. November 2001 (WM-Play-off), Wien: Österreich – Türkei 0:1

14. November 2001 (WM-Play-off), Istanbul: Türkei – Österreich 5:0

19. November 2008 (FS), Wien: Österreich – Türkei 2:4

29. Mai 2011 (EM-Quali), Istanbul: Türkei – Österreich 2:0

6. September 2011 (EM-Quali), Wien: Österreich – Türkei 0:0

15. August 2012 (FS), Wien: Österreich – Türkei 2:0

29. März 2016 (FS), Wien: Österreich – Türkei 1:2