Radsport

Experten fordern nach ‚Massaker‘ Umdenken

Bei dem heftigen Massensturz bei der Baskenland-Rundfahrt hat Tour-de-France-Sieger Jonas Vingegaard neben Knochenbrüchen auch eine Lungenquetschung und einen Pneumothorax erlitten. Das teilte sein Team Visma-Lease a Bike am Freitag auf X (Twitter) mit. Experten fordern nun ein Umdenken: „Stopp, stopp, stopp, lassen Sie uns das Massaker beenden. Fangen wir an, über die Geschwindigkeitsprobleme nachzudenken“, erklärte Thierry Gouvenou, der Renndirektor des Klassikers Paris – Roubaix.

Auf der vorletzten Etappe am Freitag kam es bei der Baskenland-Rundfahrt erneut zu Stürzen. Der spanische Kletterspezialist Mikel Landa ging wie drei andere Fahrer etwa 94 km vor dem Ziel zu Boden. Landa erlitt laut Angaben seines Soudal-Quick-Step-Teams einen Schlüsselbeinbruch und musste ins Krankenhaus gebracht werden.

Im Gelben Trikot fährt der Däne Mattias Skjelmose (Lidl-Trek), den Etappensieg am Freitag holte sich der Franzose Romain Gregoire (Groupama-FDJ). Der Osttiroler Felix Gall (Decathlon-AG2R) liegt mit 5:49 Minuten Rückstand auf dem 68. Gesamtrang. Die Rundfahrt endet am Samstag mit der sechsten Etappe mit Start und Ziel in Eibar.

Am Donnerstagabend hatte Vingegaards Team bekanntgegeben, dass sich der Däne bei dem Sturz einen Schlüsselbeinbruch und mehrere Rippenbrüche zugezogen hat. Bei einem Pneumothorax dringt Luft in den Spalt zwischen Lunge und Brustwand, wodurch sich die Lunge nicht mehr so ausdehnen kann wie zuvor und in sich zusammenfällt. Es kann zu einer lebensbedrohlichen Situation kommen. Der Zustand des 27-jährigen Dänen, der im Krankenhaus bleibe, sei aber stabil.

Horrorsturz bei Baskenland-Rundfahrt

Tour-de-France-Champion Jonas Vingegaard sowie die beiden Stars Remco Evenepoel und Primoz Roglic sind bei der Baskenland-Rundfahrt in einen schweren Sturz verwickelt worden.

Mehrere Fahrer waren am Donnerstag rund 35 Kilometer vor dem Ziel in Legutio in einer Rechtskurve zu Fall gekommen und dabei in einen Betongraben gerutscht. Vingegaards Kontrahent Remco Evenepoel brach sich das Schlüsselbein, zudem erlitt der 24-jährige Belgier eine Fraktur des Schulterblatts. Noch schlimmer erwischte es den Australier Jay Vine mit einem Halswirbelbruch und zwei Brüchen der Brustwirbelsäule. Auch Primoz Roglic war in den Massensturz verwickelt. Der Slowene, der im Gelben Trikot des Leaders unterwegs war, blieb aber von schweren Verletzungen verschont, musste die Rundfahrt aber ebenfalls beenden.

Ursachensuche nach Massensturz

Bei der Suche nach den Gründen gerät neben möglichen Straßenschäden auch die zunehmend aggressivere Fahrweise im Feld ins Visier. Paris-Roubaix-Renndirektor Gouvenou sprach in der französischen Sportzeitung „L’Equipe“ zudem das rasante Tempo bei Abfahrten an. „Stopp, stopp, stopp, lassen Sie uns das Massaker beenden. Fangen wir an, über die Geschwindigkeitsprobleme nachzudenken“, sagte Gouvenou der französischen Sportzeitung „L’Equipe“.

„Die Fahrer (der Begleitfahrzeuge, Anm.) bei den Rennen, die sehr erfahrene Leute sind, sagen mir, dass sie keinen Sicherheitsabstand mehr haben, wenn sie vor den Radfahrern abfahren. Die Abfahrten auf den Pässen werden mit über 100 km/h gefahren“, sagte Gouvenou. Es sei an der Zeit, sich Grenzen zu setzen. „Man hört von völlig überzogenen Übersetzungen, die verwendet werden.“

Tempo wird immer höher

Bei der Aerodynamik und beim Bremsen habe es enorme Fortschritte gegeben, erklärte Gouvenou, das gehe aber viel zu schnell: „Leider ist man, sobald man von der Straße abkommt, nicht geschützt, weil das Radfahren auf der Straße von Herrn Jedermann stattfindet.“ Für das am Sonntag stattfindende Eintagesrennen von Paris nach Roubaix mit seinen gefürchteten Kopfsteinpflasterpassagen haben die Planer eine Schikane eingebaut, um die Geschwindigkeit und somit die Sturzgefahr zu mindern.

Einen anderen Aspekt brachte der deutsche Radprofi Nils Politt im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) ins Spiel. Es würden wie im Fußball ganz, ganz junge Fahrer direkt aus den Junioren-Klassen in die WorldTour kommen, die sich sofort beweisen wollten, sagte Politt. „Allgemein ist das Stresslevel deutlich höher. Die Rennen werden immer schneller und immer früher eröffnet“, sagte der 30-Jährige vom Team UAE über die generelle Entwicklung im Radsport.

„Froh, dass keiner im Koma liegt“

Die Schuld sah beispielsweise der deutsche Radprofi Simon Geschke bei den Fahrern. „Es war hundertprozentig die Schuld der Fahrer. Die waren einfach zu schnell. Die Straße war gut, es war trocken. Es war keine Kurve, die völlig überraschend kam“, sagte der Teilnehmer des Rennens am Freitag der dpa. „Ich bin froh, dass keiner im Koma liegt“, so der 38-jährige Routinier, der nach dieser Saison aufhört. Geschke moniert eine „Wer-bremst-verliert-Mentalität“.

Ähnliche Töne schlug der spanische Tour-de-France-Etappensieger Pello Bilbao nach der Zielankunft an. Denn die Strecke sei eigentlich einfach gewesen. Das sollte die Radfahrer zum Nachdenken bringen, da sie vielleicht diejenigen seien, die die Gefahr verursachten. „Wir müssen die Art und Weise, wie wir gegeneinander antreten, ein wenig überdenken“, erklärte der 34-Jährige.

Mögliche Schäden auf Straße

Die Zeitung „Mundo Deportivo“ führte ebenso wie der spanische Radprofi Mikel Bizkarra in einem Interview mit „Diario AS“ zudem mögliche Straßenschäden als Ursache für den verheerenden Unfall ins Feld. Es habe im Bereich der Kurve eine Rinne gegeben, schrieb die Zeitung. Bizkarra, der im März die Katalonien-Rundfahrt gefahren war, verwies auf viele Baumwurzeln unter der Straße auf dieser Strecke, die nicht zu sehen seien. Man erkenne sie nicht auf den ersten Blick, und wenn man den Lenker nicht gut im Griff habe, sei es „leicht, in die Luft zu fliegen“, sagte der 34-Jährige.

Mathieu van der Poel, der am Sonntag seine dritte Flandern-Rundfahrt gewann, ist bei Paris-Roubaix Titelverteidiger. In der Sicherheitsdiskussion sah er bei einem Medientermin am Freitag ebenfalls die Schuld sehr oft bei den Sportlern. „Der gefährlichste Teil beim Radfahren sind die Fahrer selbst. Wir nehmen die Risken. Jeder will ganz vorne sein, und das ist nicht möglich.“ Man könne eine Menge ändern, aber es werde nie völlig sicher sein. Von der kurzfristig eingebauten Schikane am Sonntag hält der Straßen-Weltmeister wenig. „Es ist gut, dass sie was probieren. Aber die Schikane ist für mich nicht die richtige Lösung und es in der Woche vor dem Rennen zu ändern auch nicht.“