Der österreichische Tennisspieler Dominic Thiem.
AP/Seth Wenig
US Open

Thiem wird mentaler Herausforderung Herr

Fast vier Wochen in der „Bubble“ wegen der CoV-Krise: Hotel – Tennisanlage – Hotel. Keine Ausflüge nach Manhattan, kein Besuch in Lieblingsrestaurants und keine Fans. Die US Open 2020 sind für die Tennisprofis auch wegen der besonderen Umstände eine mentale Herausforderung, besonders für jene, die weit kommen. Dominic Thiem ist einer davon.

„Es ist nicht einfach, dass man mental immer bei 100 Prozent Energie bleibt. Ich habe mich an alles andere gewöhnt, all die Umstände in dieser Situation“, sagte der 27-jährige Niederösterreicher nach seinem Einzug ins Halbfinale durch einen 6:1 6:2 6:4-Erfolg gegen den Australier Alex de Minaur. Generell sei es großartig, dass man das Turnier in New York überhaupt spielen könne.

„Aber es gibt in jedem Match ein paar Situationen, in denen es schön wäre, die Fans zu haben, um die Energie oben zu halten, tolle Punkte zu feiern oder es sich nicht so schlecht anfühlt, wenn man eine schlechtere Phase hat. Das ist alles weg, wenn es keine Fans im Stadion gibt.“ Es sei eine einzigartige Situation. „Jetzt bin ich im Semifinale, das war mein fünftes Match, also bin ich daran gewöhnt.“

Thiem erstmals im US-Open Halbfinale

Dominic Thiems Auftritt bei den US Open ist schon jetzt geschichtsträchtig. Er zieht nach seinem Erfolg über den Australier Alex de Minaur ins Halbfinale ein. Das ist noch keinem Österreicher in New York gelungen.

„Schwimme ein bisserl auf der Glückswelle“

„Super fühlt es sich an, ich bin glücklich. Geiles Tennis auch. Ich schwimme zurzeit noch ein bisserl auf der Glückswelle“, freute sich Thiem nach dem Viertelfinal-Sieg. „Es ist ein Topgefühl, vor allem nach der schwierigen Phase in der letzten Woche in Cincinnati, jetzt im Semifinale zu stehen, das taugt mir sehr."

Taktisch gesehen habe er gegen de Minaur die richtige Mischung aus Offensive und Defensive gefunden. „Wenn man selber zu wenig macht, kommt er sofort. Was sehr gut funktioniert hat, war auch der Slice, und das ist auch im Hinblick aufs nächste Match sehr wichtig“, analysierte der nun sechsfache Grand-Slam-Halbfinalist.

Billanz der österreicher bei Grand Slam Turnieren.
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Will er sein viertes Major-Finale nach zwei Endspielen bei den French Open und heuer bei den Australian Open erreichen, wird er sein bestes Tennis zeigen müssen. Nächster Gegner ist nämlich der russische Vorjahresfinalist Daniil Medwedew. Felix Auger-Aliassime (Achtelfinale) und de Minaur seien unglaubliche Spieler, „dann aber doch ein bisserl weggebrochen, und bei Medwedew wird genau das hundertprozentig nicht der Fall sein. Das wird eine richtig toughe Partie.“

Auch TV-Zuschauer hilfreich

Dass der Kontakt zur eigenen Spielerbox, in New York dieses Jahr nur mit Coach Nicolas Massu, Physio Alex Stober und Freund Lucas Leitner besetzt, angesichts der fehlenden Fans noch wichtiger ist, dementierte Thiem. „Der Kontakt ist immer gleich wichtig, weil die holen mich immer aus schwierigen Situationen raus.“

Szene aus dem Match Dominic Thiem gegen Marin Cilic bei den US Open 2020.
AP/Frank Franklin II
Thiem vermisst zwar das Publikum im Arthur Ashe Stadion, denkt in schwierigen Situationen aber an die vielen TV-Zuschauer

Die Vorstellung, dass aber Millionen via TV mitfiebern, helfe ihm schon, versicherte Thiem. „Im Fernsehen kommt es besser rüber als wenn man selber spielt, weil Tennis ist ein sehr TV-freundlicher Sport, und das motiviert.“ Gerade in Situationen, in denen man das Publikum brauchen würde. „Die Vorstellung, dass sehr viele Leute zuschauen rund um die Welt vor den TV-Geräten, kann schon hilfreich sein.“

Leere als völlig neue Erfahrung

Mental gar nicht so leicht zu behandeln ist auch der Trainingsalltag. Die Anzahl der Spieler reduziert sich im Finish dieses Großturniers drastisch. „Bei einem normalen Grand-Slam-Turnier kommt das nicht so zur Geltung, weil es sind zwar alle Plätze frei am Ende der zweiten Woche, aber die Anlage ist bummvoll, weil halt 40.000 bis 50.000 Zuschauer herumlaufen", erklärte Thiem.

"Aber jetzt ist es viel, viel leerer. Es waren am Anfang fast 300 Spieler da, jetzt ist beinahe keiner mehr da. Zum Glück sind die Rollstuhlspieler gekommen, die die Anlage ein bisserl belebt haben, und es ist auch schön, die zu sehen. Sonst ist es wirklich leer und definitiv anders als bei allen anderen Grand-Slam-Turnieren, die ich bis jetzt gespielt habe.“

Gespenstische Stimmung also in Flushing Meadows, das normalerweise in den zwei Turnierwochen eine dreiviertel Million Fans anzieht. Und besonders „spooky“, wenn man gerade die Night Session gespielt hat – im größten, aber leeren Tennisstadion der Welt.