Letzteres ist allerdings nicht neu, denn es kam bereits zweimal in der NFL-Geschichte vor, dass ein Team seine Division mit einer negativen Bilanz gewonnen hat. Sowohl Seattle (2011) als auch Carolina (2015) blieben danach übrigens in ihren Erstrundenduelle erfolgreich, auch weil sie als Division-Sieger Heimrecht hatten. Aber auch Washington startet als klarer Außenseiter gegen die Tampa Bay Buccanaeers um Quarterback-Altstar Tom Brady ins finale Titelrennen dieser NFL-Saison.
Tampa, wo am 7. Februar Super Bowl LV stattfinden soll, hat zwar im Grunddurchgang vier Siege mehr als Washington verbucht, doch seine Divison nicht gewonnen und muss damit bei seinem ersten Play-off-Spiel seit 2008 in der Fremde antreten. Die Gastgeber sind zum ersten Mal seit 2016 wieder dabei, aber erstmals als Hauptstadtteam nicht mit dem Beinamen „Redskins“. Mit dem Ablegen des umstrittenen Spitznamens begann für die Mannschaft eine mehr als ungewöhnliche Saison – und das alles unabhängig von der Coronavirus-Pandemie.
Namenlos durch die Saison
Noch ehe der Kick-off für das erste Spiel des dreifachen Super-Bowl-Siegers (1982/83, 1987/88, 1991/92) erfolgt war, eskalierte im August der seit Jahren schwelende Streit über den alten Namen „Redskins“ endgültig. Die Bezeichnung verpasste man sich noch vor dem Umzug von Boston nach Washington 1933, die „Black Lives Matter“-Bewegung sorgte aber 2020 endgültig für ein Umdenken – Geldgeber machten am Ende genügend Druck auf den umstrittenen Eigentümer Dan Snyder, der schließlich einlenkte.
Mehrere große Sponsoren hatten sich von dem Club distanziert und zwangen ihn, nach jahrelanger Kritik den mit Rassismus in Verbindung gebrachten Namen „Redskins“ abzulegen. Weil so schnell kein neuer Name parat war – ein Geschäftsmann soll zudem mehrere potenzielle Namen rechtzeitig geschützt haben –, entschied man sich, vorerst als Washington Football Team aufzulaufen. Der Häuptling mit dem rotgesichtigen Kopf im Logo ist verschwunden, vorerst ziert nur der Buchstabe „W“ das Wappen Washingtons. Wie lange, ist offen.
Unter dem neuen Headcoach Rivera, der nach seiner Entlassung aus Carolina gekommen war, legte man einen Fehlstart hin und verbuchte nach neun Spielen nur zwei Siege. Rivera erhielt zudem eine Hautkrebsdiagnose. „Ich war so wütend, ich fühlte mich so gesund wie noch nie“, sagte der 58-Jährige, der ob seiner riskanten Spielzüge „Riverboat Ron“ genannt wird. Er unterzog sich einer Therapie des als gut behandelbar geltenden Krebses und arbeitete trotz der Strapazen.
Wundersames Comeback von Quarterback Smith
Mitten in der sportlichen Misere verletzte sich auch noch Quarterback Kyle Allen. Und so kam es nach 693 Tagen zum Comeback von Alex Smith. Der 36-Jährige hatte sich im November 2018 eine offene Fraktur des Schien- und Wadenbeins zugezogen. „Das Bein war verdreht, wie es nicht sein sollte“, erinnerte sich Smith, der 2005 als Nummer eins der San Francisco 49ers im NFL-Draft gewählt wurde. Nach einer ersten Operation bedrohten Bakterien und eine Blutvergiftung Smiths Leben.
In einer Notoperation retteten die Ärzte sowohl dieses als auch sein Bein. Den steinigen und wohl wundersamen Weg zurück auf das Spielfeld hat Smiths Frau Elizabeth für immer festgehalten, in dem sie seine Beinstütze aus Metall zu einer Trophäe formen ließ – zu einer, die der Vince-Lombardi-Trophy für den NFL-Meister nachempfunden ist.
Nach insgesamt 17 Operationen und fast zwei Jahren ohne Football gelang Smith ein erstaunliches Comeback. Nach der Kurzrückkehr am fünften Spieltag übernahm Smith vier Wochen später endgültig die Rolle des Starting Quarterback, musste aber zwischenzeitlich wieder verletzt passen. Der 2019 in der ersten Runde als Nummer 15 gewählte Spielmacher Dwayne Haskins erfüllte die Erwartungen auf und auch abseits des Feldes nicht. Nach einem Abstecher in einen Nachtclub, wo er zudem ohne Mund-Nasen-Schutz zu sehen war, wurde er entlassen. Die Mannschaft ließ sich aber auch dadurch nicht beirren.
Defensive trägt Team in Play-offs
Sie profitierte dabei vor allem von der erstarkten Defensive um Jungstar Chase Young, die von Defensivspezialist Rivera und seinem Defensive Coordinator Jack del Rio geformt wurde. Ob des unsteten Quarterback-Spiels reichte das zwar nicht immer zum Sieg, aber es reichte, um am Ende die zweitbeste Verteidigung der Liga gemessen an den zugelassenen Yards zu stellen – nicht zuletzt gelang am letzten Spieltag mit einem 20:14-Sieg bei den Philadelphia Eagles der Play-off-Einzug.
„Das ist schon deshalb so besonders, weil es so eine schwere Zeit war“, sagte Rivera nach dem Sieg bei Ex-Champion Philadelphia, dessen Headcoach Doug Pedersen im vierten Viertel ohne sichtlichen Grund seinen Spielmacher mit einem Back-up ersetzte und dafür herbe Kritik von der Konkurrenz erntete. Washington war das freilich egal, schließlich wurden viele Hürden genommen, um das Ziel zu erreichen.
„Wie hart das alles war für die Jungs und den Verein. Wir haben eine großartige Mannschaft und versuchen, die Dinge richtig zu machen. Dass wir die Division gewonnen haben, ist sehr cool“, betonte Rivera, dessen neues Team im Vorjahr nur drei Siege einfahren konnte.
Dabei passt der Gewinn der schwachen NFC East, der automatisch zur Teilnahme an den Play-offs berechtigt, ins Bild dieser unwirklichen Saison. Die Division mit traditionsreichen Teams und Rivalitäten wurde verspottet, doch Rivera selbst weiß am besten, dass das nun nicht das jähe Ende in der Postseason bedeuten muss. 2015 gelang ihm mit Carolina ein 27:16-Sieg gegen die favorisierten Arizona Cardinals, auch die Panthers hatten mit nur sieben Siegen ihre Division gewonnen. Ein Jahr später ging es für ihn und sein Team sogar bis in die Super Bowl.