Sandro Platzgummer (NY Giants)
AP/John Minchillo
Football

Ein Jahr NFL aus Platzgummers Sicht

Sandro Platzgummer hat seine erste volle Saison in der National Football League (NFL) hinter sich gebracht. Der Tiroler durfte zwar als erweitertes Kadermitglied der New York Giants nicht spielen, aber wichtige Lernerfahrungen sammeln, um an sich zu arbeiten. „Ich muss für alles bereit sein“, sagte Platzgummer im Gespräch mit ORF.at. Das Ziel ist klar: In der kommenden Saison will der 23-jährige Medizinstudent aus Innsbruck auch spielen.

Der langjährige, rasante Runningback der Swarco Raiders Tirol schaffte im vergangenen Jahr über das „International Pathway Program“ (IPP) den Sprung in die teuerste Sportliga der Welt. Für einen begehrten Platz im 53-Mann-Kader des vierfachen Super-Bowl-Champions reichte es zwar am Ende nicht, doch durfte Platzgummer als Mitglied des Trainingskaders mitwirken und so wichtige Eindrücke sammeln.

„Ich habe mir als Kind immer vorgestellt, wie das wohl sein würde in der NFL. Dort sind ja die besten Spieler der Welt, da muss alles perfekt sein“, merkte Platzgummer diesbezüglich an, um am Ende feststellen zu dürfen: „Football ist Football. Die Spielzüge sind teilweise ähnlich, die Formationen teilweise identisch. Nur die Spieler sind anders. Die Linemen sind größer, die Receiver schneller, die Quarterbacks besser abgestimmt. Es sind aber auch nur Menschen, das sieht man schon.“

Platzgummer trainiert für zweite Chance

Die Hoffnungen, als vierter Österreicher und als erster Nichtkicker in der NFL zu spielen, wurden dadurch freilich genährt. Im Normalfall sollte Platzgummer im Frühjahr in die USA zurückkehren, aktuell trainiert er in Tirol Kraft und Technik, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. „Nun geht es darum, unkomfortabel zu werden und sich in Dinge zu verbessern, in denen man noch nicht gut genug ist.“

Wenige Tage nach dem Aus in der Regular Season war Platzgummer aus den Vereinigten Staaten abgereist. Die Giants hatten mit nur sechs Siegen in 16 Spielen das Play-off verpasst, damit endete das Abenteuer NFL nicht unbedingt abrupt. Angefangen hatte es vor fast exakt einem Jahr, als Platzgummer von der NFL in ein Trainingscamp nach Florida eingeladen wurde. 2017 rief die Milliardenliga das „International Pathway Program“ ins Leben, um Spielern außerhalb Nordamerikas eine Möglichkeit zu bieten, sich für einen NFL-Kaderplatz zu empfehlen.

„In mancher Hinsicht nicht besser“

Platzgummer schaffte als einer von vier Spielern den Sprung und wurde den Giants zugeteilt. Doch noch am Ende des Trainingscamps in Florida zog die Pandemie ihre Kreise, danach gab es viel Ungewissheit. Wann Platzgummer genau zu seinem Team stoßen würde, war ebenso offen wie der Ablauf der Saison überhaupt. Letztlich fand das übliche Trainingscamp, in dem über die 53 Kaderplätze entschieden wird, im Sommer statt. „Da hatte man Trainings und Meetings und sonst Zeit für nichts. Da kommt man am Abend ins Hotel, haut sich einen Happen zum Essen rein und legt sich ins Bett“, erinnerte sich Platzgummer.

Sandro Platzgummer beim Training mit den NY Giants
APA/AFP/Getty Images/Sarah Stier
Der Tiroler Sandro Platzgummer durfte mit den New York Giants trainieren – hier ein Bild aus dem Trainingscamp im Sommer

Doch schon in dieser Phase fiel dem 183 Zentimeter großen und 89 Kilogramm schweren Österreicher auf, dass ein Einsatz in der NFL für ihn nicht unerreichbar sei. „Man sieht schon auch immer wieder, dass sie gewisse Dinge auch nicht besser machen als ich beispielsweise. Es ist natürlich das höchste Niveau, das menschlich möglich ist und das ganze Drumherum macht einen Riesenunterschied.“ Alleine beim Aufwärmen werden Spieler gefilmt, alles werde evaluiert, dazu kommt ein enormes Personal. Auch das sei ein großer Unterschied zur Heimat.

Superstar Barkley von Platzgummer entzückt

Ansonsten konnte Platzgummer seine Klasse aufblitzen lassen, brachte etwa Runningback-Superstar Saquon Barkley zum Entzücken. „Das war mein erster oder zweiter Run, den ich überhaupt gegen die Defense bekommen habe. Da bin ich ziemlich gut durchgebrochen und hatte einen guten Run und da war auch er relativ ‚hyped up‘“, schilderte Platzgummer mit einem Lächeln. Ein Foto hielt das für die Ewigkeit fest. „Er ist ein toller Kollege und überhaupt nicht abgehoben. Er weiß aber auch, dass er sehr talentiert ist, und denkt, ein ‚halber Gott‘ zu sein (lacht). Weil er physisch einfach ganz andere Fähigkeiten hat.“

Für US-Amerikaner sind in Bezug auf Football Spieler aus vielen anderen Ländern in der Regel Exoten. So auch Platzgummer, der sich aber im Team nicht unwohl fühlte. „Sie haben respektiert, dass ich aus Österreich komme. Es würde schon einen Grund haben, warum ich es als einer von vier Spielern geschafft habe.“ Anders war das bei den Spartentrainern der Fall. „Sagen wir so: Wenn ich nächste Saison einen Spielzug am Feld bekommen und einen guten Job machen würde, könnte ich mir vorstellen, dass Coaches und Staff überrascht seien, dass ich vielleicht doch mehr drauf habe, als sie gemeint hätten.“

Ohne Preseason keine Regular Season

Zu seinem Leidwesen fielen die Preseason-Partien in diesem Jahr coronavirusbedingt aus. In diesen können sich Spieler präsentieren, vor allem jene, deren Chance auf einen Kaderplatz gering sind. Wie zu erwarten war, ging sich der Sprung in den finalen Kader nicht aus. Jener in den originalen Trainingskader, der Möglichkeiten für Einsätze hätte offenlassen, auch nicht. Platzgummer durfte „nur“ mittrainieren.

„Da ich gewusst habe, dass es in der Preseason gar keine Spiele geben werde, war die Wahrscheinlichkeit zu gering, dabei zu sein. Ich hatte es nicht aufgegeben, aber ich habe realisiert, dass das eben ein Lernjahr wird. Mein Fokus galt, mich in Dinge reinzufühlen, besser zu werden und mich in eine Situation zu bringen, in der ich nächste Saison mehr Chancen habe.“

„Ich wäre nicht reingekommen“

Dass Positionskollege Barkley früh in der Saison mit einem Kreuzbandriss aufgeben musste, änderte diese Meinung nicht. „Ich wäre auch nicht reingekommen, wenn jeder andere Runningback verletzt gewesen wäre. Deswegen habe ich mich nicht wahnsinnig gemacht. Ich war auch noch nicht bei 100 Prozent, deswegen ist das absolut in Ordnung“, bilanzierte Platzgummer seine Premierensaison.

Im Gegensatz zum harten Trainingscamp geht es in der Regular Season gemächlicher zu. Nach einem Spiel folgen für gewöhnlich freie Tage, um sich ab Mittwoch wieder auf das nächste Spiel vorzubereiten. Das Training fällt wegen der Verletzungsgefahr milder aus, Regeneration und Meetings stehen im Mittelpunkt. „In der Regular Season selbst hat man aber mehr Zeit und mehr Leben, nicht nur aufstehen, Football, schlafen gehen.“ In dieser Zeit wagte Platzgummer auch den Sprung über den Hudson River und sah sich New York City an. Freundin und Familie fehlten dabei, "die Einsamkeit war ein Thema, „aber ich hatte auch den Vorteil, dass ich einen Kollegen als Mitbewohner hatte“.

Special Teams als mögliches Sprungbrett

Anfang Jänner ging es zurück nach Tirol, wo Platzgummer nun an sich arbeitet. „Ich muss jene Dinge, die ich in Österreich schon gemacht habe, auf ein höheres Niveau setzen. Es ist natürlich etwas anderes, wenn ich in Österreich oder in den USA spiele. Ich muss einerseits Dinge anpassen, andererseits neue Dinge lernen, weil ich neue Positionen spiele. Das ist natürlich auch eine Herausforderung“, so Platzgummer, der sich im Gespräch ruhig und reflektiert gab.

Kraft ist das eine, aber es geht vor allem um Technik. „Football ist ein sehr natürlicher Sport, aber keiner, den man automatisch kann, weil man zuschaut. Es klingt leicht, einen Spieler zu blocken. Aber das sind tolle Athleten, die man blocken muss, da muss man einfach technisch perfekt sein. Da geht es beispielsweise auch um den Winkel.“

Via Special Teams, die bei Kickoffs oder Punts am Feld sind, zu Einsätzen zu kommen, scheint am wahrscheinlichsten. „Zumal die Übertalente da nicht spielen, hier können sich andere einen Namen machen.“ Giants-Headcoach Joe Judge wird ebenso sein Urteil fällen, kam er doch 2020 als Special-Teams-Coordinator aus New England.

Sandro Platzgummer beim Training mit den NY Giants
APA/AFP/Getty Images/Sarah Stier
Platzgummer will es in der neuen Saison speziell den Coaches zeigen

Platzgummer hat bereits einen Plan, wie alles klappen könnte. „Ich muss in jedem Fall in Topform zurückkommen, um auch selbstbewusst sein zu können. Das war heuer auch wegen Corona nicht möglich. Mein Weg ins Team wird sein, viele Dinge gut, anstatt eine Sache exzellent zu können. Ich muss aber für alles bereit sein. Vielleicht passiert es, dass ich in einem Vorbereitungsspiel als Runningback spiele. Man darf auch ob der Rahmenbedingungen nicht wahnsinnig werden und muss cool bleiben. Man muss auf sich selber vertrauen.“

Im Normalfall kehrt Platzgummer wie andere auch zuvor als IPP-Spieler zurück nach New York. Selbst für das gibt es aber keine Gewissheit. „Zu 100 Prozent ist nie etwas. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es so, dass ich im Mai und im Sommer im Trainingscamp dabei sein werde und dort mein Talent zeigen kann. Ich mache meine Sache, und wenn die Zeit gekommen ist, zeige ich, was los ist.“ Egal, was passiere, schon jetzt habe sich das eine Jahr ausgezahlt, und das in jeglicher Richtung. Klar sei aber: „Egal, ob ich ein Jahr, zwei Jahre oder zehn Jahre in der NFL sein sollte, ich würde mein Studium in jedem Fall fertig machen.“