Skirennfahrer Vincent Kriechmayr
APA/EXPA/Johann Groder
Ski-WM

Kriechmayr kratzt am Legendenstatus

Für manche überraschend und redlich verdient: Vincent Kriechmayr hat sich am Sonntag in Cortina d’Ampezzo eine Doppelseite in Österreichs Sportgeschichtsbüchern gesichert. Dort wo Toni Sailer auf der Olimpia delle Tofane nebenan 1956 alle Olympiagoldmedaillen abräumte, eroberte Kriechmayr auf der neuen Vertigine als zweiter Österreicher nach Hermann Maier vor 22 Jahren in Beaver Creek bei einer alpinen WM das Speed-Double.

Der Oberösterreicher tauchte auf diese Weise nicht nur in illustrer Gesellschaft unter, er nähert sich Legenden. Siege in Super-G und Abfahrt bei derselben Weltmeisterschaft gelangen neben Kriechmayr und Maier nur dem US-Amerikaner Bode Miller, der 2005 in Bormio doppelt zugeschlagen hatte. Nebenbei erwähnt sei, dass nun das Warten auf einen Nachfolger von Michael Walchhofer zu Ende ist und also Österreich nach 18 Jahren endlich wieder einen Weltmeister in der alpinen Königsdisziplin feiern darf.

Kriechmayr ging in Cortina endgültig der Knopf auf. Was ihn als Athlet auszeichnet, brachte ÖSV-Herren-Cheftrainer Andreas Puelacher auf den Punkt. „Vorweg seine Skitechnik, die ist wirklich top“, sagte der Tiroler. „Und über die Jahre ist er gereift, konstanter und lockerer geworden, nicht mehr zu verbissen. Hier hat er seine Lockerheit ausgespielt.“ Kriechmayr sei grundsätzlich ein Perfektionist, alles müsse optimal sein. „Alles hundertprozentig zu treffen geht aber nicht. Jetzt durch diese Erfolge hat er erkannt, dass man auch mit kleinen Fehlern ganz vorne sein kann.“

Kriechmayr legt Abfahrtsgold nach

Die österreichische WM-Abfahrtsdurststrecke ist seit Sonntag zu Ende. Vincent Kriechmayr holte bei den Titelkämpfen in Cortina d’Ampezzo nach Gold im Super G auch Gold in der Abfahrt und krönte sich zum ersten rot-weiß-roten Weltmeister in der Königsdisziplin seit Michael Walchhofer 2003.

Abschiedsgeschenk für Schröcksnadel

Kriechmayr glänzte gerade rechtzeitig für Peter Schröcksnadel, Präsident des österreichischen Skiverbands (ÖSV), der sein Amt im Sommer zurücklegt und WM-Gold in seiner Lieblingsdisziplin als Abschiedsgeschenk interpretieren durfte. Wegen der Coronavirus-Pandemie („Bin ja noch nicht geimpft“) war Schröcksnadel erst am Abend vor der Abfahrt an- und gleich danach wieder abgereist. Kriechmayrs Triumph verfolgte er im Zielraum. Er war baff.

„So eine großartige Leistung, Doppelweltmeister hatten wir ja erst einen. Das geht in die Geschichte ein“, sagte Schröcknadel, der mit einem Podestplatz seiner Sportler in der Abfahrt rechnete, nicht aber mit der zweiten Goldmedaille. „Dass es technisch sehr schwierig war, hat Kriechmayr natürlich geholfen.“ Schröcksnadel ließ sich ersehntes Abfahrtsgold schier auf der Zunge zergehen, während Kriechmayr, als Erster gestartet, im Zielraum noch immer auf das Rennende wartete, ehe er zur Siegerehrung durfte.

ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel
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Schröcksnadel kam für einen Tag nach Cortina, um sich Abfahrtsgold persönlich abzuholen

Alles richtig gemacht – „Die Abfahrtsgoldene ist in Österreich immer am wichtigsten, jetzt haben wir sie endlich wieder geholt“, frohlockte Schröcksnadel, der im Sog von Kriechmayr auf weitere Medaillen in der zweiten WM-Woche hofft. „Bei den Herren haben wir noch gute Chancen, bei den Damen die eine oder andere.“ Kriechmayr wird auch am Montag in der Kombination starten, Schröcksnadel erst wieder bei den Slaloms am Wochenende dabei sein.

Nervtötendes Zittern im Ziel

Während der Abfahrt zitterte der Präsident genauso wie Kriechmayr, der eben als Erster ins Rennen gegangen war und im Ziel gefühlt ewig warten musste, bis er Doppelweltmeister war. Als der spätere Zweite Andreas Sander (dritte Speed-Medaille der deutschen Athleten) unmittelbar nach Kriechmayr gestartet und nur eine Hundertstelsekunde oder 27 Zentimeter langsamer war, rückte der Traum von Gold eher in die Ferne.

Skirennfahrer Vincent Kriechmayr
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Dass es Gold werden würde, hätte sich Kriechmayr nach dem Abschwingen mit Startnummer eins nicht erträumt

Als die Favoriten Dominik Paris und Beat Feuz und auch die Österreicher Max Franz und Matthias Mayer (out) an Kriechmayrs Bestzeit scheiterten, wurde Gold wieder konkreter. Nach Otmar Striedinger war es fix. „Ich kann es noch nicht realisieren, es ist alles noch etwas unwirklich“, so Kriechmayr. Den Vergleich mit Maier und Miller scheute er: „Die sind Olympia, Weltcup-Gesamtsieger und sonst was. Natürlich ist es schön, was ich in Cortina erreicht habe, aber mit den beiden möchte ich mich noch nicht vergleichen.“

„Die Goldene nehme ich gern an“

Fehlerfrei war er als neuer Weltmeister nicht geblieben, umso verwunderter war Kriechmayr über Gold, mit dem er nicht gerechnet hätte. „Bei der Traverse hat es mich hinuntergedrückt und im Flachen merkte ich, wie es mich aus der Hocke zog. Schlussendlich ist es egal, wenn es für den Sieg reicht. Die Goldene nehme ich gern an. Unglaublich“, sagte Kriechmayr, der als einen der erst Gratulanten Marcel Hirscher am Handy hatte.

Für Speed-Cheftrainer Sepp Brunner kam diese Goldmedaille wie für Puelacher und Kriechmayr ob der nicht astreinen Fahrt überraschend. „Die Ausfahrt Traverse war ja nicht optimal, und ich hätte nie geglaubt, dass er auf dem Podium ist“, sagte Brunner. „Aber ich habe es dann im Fernsehen gesehen, im technischen Teil (vor Vertigine-Sprung, Anm.), dort wo er das Rennen gewinnen muss, ist er sensationell gefahren. Er hat gewusst, dass er dort etwas vorlegen muss.“ Durch die Goldene im Super-G hat er laut Brunner die dafür nötige Lockerheit gehabt.

Vincent Kriechmayr und Sepp Brunner
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Eine überragende Leistung im technischen Teil ist Speed-Coach Brunner zufolge für den WM-Erfolg ausschlaggebend gewesen

Schmaler Grat, gut gemeistert

An Gold in der Abfahrt glaubte Kriechmayr erst, als die „richtigen Favoriten“ im Ziel waren. „Es war ein schwieriges Rennen. Der Herrgott war auch auf meiner Seite. Der Wind hat immer wieder gedreht und ein paar Kollegen hatten sicher Gegenwind, andere weniger. Mir ist es jetzt gleich.“ Für sich entschieden habe er das Rennen sowieso im Mittelteil.

„Da ist mir, glaub ich, was gelungen. Wenn es so kurvig hin und her geht, liegt mir eine Abfahrt natürlich. Es war ein schmaler Grat, ich habe ihn gut gemeistert“, sagte der 29-Jährige, der im Sommer von Fischer- auf Head-Ski umgesattelt hatte und vom WM-Triumph und dem bisherigen Saisonverlauf in seiner Entscheidung bestätigt wurde.

Skirennfahrer Vincent Kriechmayr
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Nicht alles perfekt erwischt, aber in Summe alles richtig gemacht und schneller als die Konkurrenz

Teamkollegen verneigen sich

„Er hat sich die zwei Trainings gut angeschaut und fürs Rennen einen perfekten Plan gehabt und umgesetzt. Er hat seine Leistung auf den Punkt gebracht, unfassbar. Wenn es läuft, dann läuft es“, sagte Teamkollege Max Franz, der wie Mayer vor Kriechmayr den Hut zog.

„Das ist eine Riesengeschichte. Ich glaube, das kann er selbst noch nicht richtig einordnen“, sagte Striedinger. „Es sei ihm aber von Herzen vergönnt. Ich bin mit ihm schon etliche Jahre gemeinsam auf dem Weg, und wenn man sieht, mit welch großem Einsatz er ans Werk geht, dann ist dieser Erfolg absolut verdient.“

Kein Unterschied zwischen Gold

Die Ausgangslage in der Abfahrt ist laut Kriechmayr ganz anders als drei Tage zuvor im Super-G gewesen, für den er als zweifacher Saisonsieger als Favorit galt, für die Abfahrt „ein bisschen als Außenseiter“. An der Wertigkeit der Goldmedaillen ändere das nichts.

„Abfahrt ist zwar die Königsdisziplin, im Super-G habe ich aber dem Druck als Favorit standgehalten. Für mich haben beide denselben Stellenwert. Da mache ich keinen Unterschied. Das Gefühl, Weltmeister zu sein, ist geil“, sagte Kriechmayr. Und: „Das Schöne am Skisport ist, dass es immer besser werden kann. Es gibt kein perfektes Spiel, wie in anderen Sportarten. Man kann sich in jeder Disziplin immer wieder noch steigern.“