Die österreichische Skifahrerin Katharina Liensberger.
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Ski-WM

Liensberger machte „Unmögliches möglich“

Katharina Liensberger ist beim WM-Riesentorlauf in Cortina über sich hinausgewachsen. Mit Bronze in der ÖSV-Problemdisziplin sorgte die Vorarlbergerin am Donnerstag nicht nur für eine Überraschung, sie machte „Unmögliches möglich“, wie die Parallel-Weltmeisterin später sagte. Für Ramona Siebenhofer ging die WM 2021 nach Abfahrt und Kombination mit dem dritten fünften Platz zu Ende. Missmutig war die Steirerin wegen der erneut verpassten Medaille nicht.

Liensbergers Bronzemedaille war einem Husarenritt und Laufbestzeit im Finale geschuldet. Selbst von einem Missgeschick, in dessen Folge sie fast im Schnee lag und einen Sturz nur dank akrobatischer Einlage verhindern konnte, ließ sich die 23-Jährige nicht irritieren, riskierte unverdrossen weiter und blieb letztlich nur 0,09 Sekunden hinter der Schweizerin Lara Gut-Behrami, die vor US-Star Mikaela Shiffrin ihre zweite Goldmedaille in Cortina eroberte und sich freute. Liensberger wiederum weinte der möglichen zweiten Goldmedaille nicht nach.

Eher freute sie sich über Bronze schier mehr als über den WM-Titel vor zwei Tagen bei der Premiere des Parallel-Bewerbs. „Diese Medaille glänzt wie Gold“, sagte Liensberger, der als Fünfter und Sechster in Courchevel die mit Abstand besten Weltcup-Platzierungen der ÖSV-Damen in dieser Saison gelungen waren. Umso überraschender kam der bärenstarke Auftritt im WM-Riesentorlauf, auch jener Siebenhofers, die sich mit drittbester Laufbestzeit im zweiten Durchgang von Platz 14 auf fünf katapultierte und damit zum besten Ergebnis ihrer Karriere in einem Riesentorlauf.

Bronze für Liensberger in Hundertstelkrimi

Der Riesentorlauf ist am Donnerstag bei der WM in Cortina d’Ampezzo zum Hundertstelkrimi geworden. Im knappsten WM-Damen-RTL der Geschichte überraschte Parallel-Weltmeisterin Katharina Liensberger mit der Bronzemedaille.

Am Limit und sogar drüber

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, einfach mega“, sagte Liensberger nach ihrer wilden Fahrt. „Ich wollte nur mehr ins Ziel, war voll am Limit und sogar drüber. Was da möglich geworden ist, war eigentlich unmöglich. Das ganze Universum und die Sterne müssen mir dabei geholfen haben“, sagte die Vorarlbergerin. Gerade im Riesentorlauf habe sie zuletzt die meisten „ups und downs“ erlebt. In Lienz im Dezember 2019 war sie im Riesentorlauf zum bisher einzigen Mal auf dem Weltcup-Podest gestanden.

„Es war ein brutal schwieriges Rennen und eine gute Leistung von beiden. Erste und Dritte im zweiten Lauf, das zeugt von mentaler Qualität. Ein guter Tag“, sagte ÖSV-Cheftrainer Christian Mitter, der auf die kniffligen Schneeverhältnisse von aggresiv bis eisig und wässrig verwies. „Das hat den Mädchen alles abverlangt, physisch und natürlich taktisch auch. Das haben sie gut gelöst.“ Über Liensberger sagte der Steirer: „Kathi arbeitet hart, um dorthin zu kommen, wo sie ist. Sie lernt schnell, setzt es schnell um und bringt es dann auch auf den Punkt.“

ÖSV Damen-Cheftrainer Christian Mitter
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Cheftrainer Christian Mitter war von der Leistung Liensbergers angetan

Materialprobleme bewältigt

Vor dem WM-Riesentorlauf gab es für Liensberger viele Fragezeichen. „Wir haben gemerkt, es passt einiges einfach nicht zusammen bei meinem Fahren. Immer wieder ist es super gelaufen und immer wieder gar nicht. Vor der WM wussten wir nicht, wie es gehen wird“, so Liensberger. Erwartungen habe sie wegen der gravierenden Probleme im Riesentorlauf keine gehabt. Vorteil dessen sei gewesen, dass sie einfach befreit drauflosfahren konnte. „Dass mir das so gelungen ist, darüber bin ich super happy. Ich freue mich riesig.“

Das Riesentorlauf-Rätsel und die Probleme seien für sie nicht leicht zu lösen gewesen. Vor der WM bekam die Rossignol-Athletin noch einmal neues Material, viel Zeit zum Testen blieb nicht. „Es ist gleich super gelaufen. Das war perfekt“, sagte Liensberger, die mit demselben Ski davor zu Gold im Parallel-Bewerb gefahren war. Ihr Dank gebührte ihrem Servicemann, der sich mit den Riesentorlauf-Skiern eingehend auseinandergesetzt und auf diese Weise sein Bestmögliches zum Erfolg beigetragen hatte. Den Rest erledigte Liensberger eindrucksvoll auf der Piste – inklusive akuter Notsituation im Finale.

„Das war grenzwertig da runter. Ich war schon am Boden und bin wieder auf und hab das Rennen stark abgeschlossen“, sagte Liensberger. Sie hatte sich nicht abwerfen lassen. „Ich habe mich einfach wohlgefühlt, ich habe auf mein Können, mein Skifahren vertraut und konnte deshalb voll riskieren und an mein Limit gehen, was die Linie betrifft. Ich wusste, ich kann aus dem Schwung alles herausholen. Genau das wollte ich, auf die 100 Prozent kommen und nicht mit 80 Prozent durchziehen. Ich bin super happy und dankbar, dass ich das erleben durfte.“

Vollgas im zweiten Lauf

Nach Lauf eins war Liensberger („Hätte ich nicht erwartet“) als Vierte 0,26 Hundertstel hinter Shiffrin schon auf Medaillenkurs gelegen. Sogar die Halbzeitführung wäre in Griffweite gewesen, hätte sie als davor Schnellste im untersten, weiter gesteckten Abschnitt („Es wäre noch direkter gegangen“) nicht entscheidend verloren, auch weil sich der Kurs als „sehr lange und am Schluss kräfteraubend“ erwies. Die Basis für die zweite WM-Medaille war gelegt. Alles oder nichts, hieß es in der Entscheidung. Der Erfolg gab ihr später recht.

Die österreichische Skifahrerin Katharina Liensberger.
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Liensberger setzte alles auf eine Karte und schaffte den Sprung auf das Podest

„Dort, wo ich im ersten Durchgang so viel Zeit liegengelassen habe, habe ich im zweiten alles herausgeholt und super abgeschlossen“, so Liensberger. Im oberen Abschnitt sei der Schnee aggressiv gewesen, im unteren durch die Sonneneinstrahlung sehr schnell. „Ich habe den Speed aufgenommen und gut mit ihm umgehen können. Es hat Spaß gemacht, bei jedem Tor das Maximum an Speed herauszuholen“, sagte Liensberger, die den Schwung in den Slalom am Samstag mitnehmen will. In ihrer Paradedisziplin gilt sie als heiße Medaillenkandidatin, die nötige Lockerheit sollten ihr die bisherigen WM-Erfolge verleihen.

„Muss mich nicht verstecken“

Siebenhofer dagegen war im ersten Lauf aus den Medaillenträumen gerissen worden: Die 29-Jährige büßte auf dem von ÖSV-Technik-Trainer Johannes Zöchling gesetzten Kurs 1,31 Sekunden ein, obwohl sie rasant gestartet und im oberen Teil vorne war, ehe sie den Anschluss an die Schnellsten verlor. „Ich habe zu wenig attackiert“, sagte die Steirerin. Beim Sturmlauf im zweiten Heat deckte sie ihr Potenzial auf. Stephanie Brunner, die nach Knieblessuren und 22-monatiger Rennpause in dieser Saison ihr Comeback gegeben hatte, schied im Finale aus, Franziska Gritsch in Lauf eins. „Ich bin echt enttäuscht, die ganze Arbeit war umsonst“, sagte Brunner.

Die österreichische Skifahrerin Katharina Liensberger.
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Auch ohne Medaille zufrieden – Siebenhofer glänzte im Riesentorlauf als Fünfte

Bei Siebenhofer konnte von einer Enttäuschung über den dritten fünften Platz in Cortina nicht die Rede sein. „Im ersten Durchgang habe ich mich von einem Fehler rausbringen lassen. Im zweiten habe ich volles Risiko genommen und es durchziehen können. Ich fühlte mich richtig gut“, so Siebenhofer. „Wenn ich mir den bisherigen Saisonverlauf anschaue, muss ich sagen, dass ich damit gut leben kann. Und für ganz vorne war der Rückstand nach dem ersten Lauf schon zu groß. Mit drei fünften Plätzen bei dieser WM muss ich mich nicht verstecken, obwohl eine Medaille natürlich mein Ziel gewesen wäre.“

Gritsch hinter Erwartungen

Für Gritsch , die vor der WM wegen einer Knochenprellung im Knie zweieinhalb Wochen Schneetraining verloren hatte, war Cortina trotz wieder „gutem Gefühl auf dem Ski“ die Reise bisher nicht wert. Die 23-jährige Tirolerin verkantete bei schon großem Rückstand und rutschte auf dem Bauch von der Piste. Schon nach der Kombi war Gritsch als Elfte enttäuscht, im Parallel-Bewerb in der Qualifikation gescheitert. Das entsprach in Summe ihren Weltcup-Saisonleistungen: Im Riesentorlauf war sie nie besser als 14. Das reichte fürs WM-Ticket.

Die österreichische Skifahrerin Katharina Franziska Gritsch.
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Gritsch griff an und schied aus – im Slalom am Samstag bekommt sie die nächste Chance

„Ich habe mir nichts vorzuwerfen, muss das schnell abhakeln und werde die positiven Sachen mitnehmen. Es warten noch einige Jahre auf mich. Der Blick ist nach vorne gerichtet“, hatte sie nach der Kombi gesagt, „ich habe mein Bestes versucht", nach dem Aus in der Parallel-Qualifikation. Nach dem Riesentorlauf sagte sie: „Schön langsam ist das frustierend für mich. Im Rennen will es einfach nicht funktionieren. Aber ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Im Leben geht auch nicht immer alles geradeaus.“ Im Slalom bekommt sie wie Liensberger wieder eine Chance. Weiters im Aufgebot: Katharina Huber und Chiara Mair.