Dabei ist Ryoyu Kobayashi noch etwas höher einzustufen als Karl Geiger. Der Japaner ist hinter dem Deutschen zwar nur Zweiter des Weltcup-Zwischenstands, hat allerdings wegen eines positiven Coronavirus-Tests zwei Einzel-Bewerbe verpasst. Unmittelbar vor dieser Zwangspause hatte der 25-Jährige Ende November in Ruka gewonnen, an den vergangenen beiden Wochenenden legte er mit einem zweiten Platz und Erfolgen in Klingenthal und Engelberg aber schon wieder nach.
Und Kobayashi hat Erfahrung darin, wie man eine Tournee gewinnt, vor drei Jahren siegte er überlegen mit 62,1 Punkten Vorsprung. Geiger hingegen fehlt eine solche Erfahrung noch. Der 28-Jährige stand im jeweils ersten von zwei Bewerben in Nischnij Tagil und Engelberg ganz oben, punktete jedoch vor allem durch seine Konstanz. Abgesehen von Platz 22 in der zweiten Klingenthal-Konkurrenz war der Allgäuer nie schlechter als Fünfter. Der Lohn sind 98 Punkte Vorsprung im Weltcup.
70. Vierschanzentournee vor Start
Die 70. Vierschanzentournee hat mit den beiden Saisondominatoren Karl Geiger und Royu Kobayashi zwei erklärte Favoriten. Die ÖSV-Springer sehen sich heuer als gefährliche Außenseiter.
Geiger hat Tournee „schon lange auf der Agenda“
Letzte Saison war Geiger Oberstdorf-Sieger und Tournee-Gesamtzweiter. Er fühle sich dem Druck, der auf ihm laste, gewachsen, sagte der Deutsche am Montag bei einem Medientermin. „Die Tournee ist schon lange auf der Agenda von mir“, betonte er. Der Tiroler DSV-Bundestrainer Stefan Horngacher ist zuversichtlich: „Wir haben eine gute Voraussetzung, da das Team geschlossen sehr, sehr gut ist. Und daraus hat sich Karl herausgearbeitet.“

Diese Stabilität könnte beim am Mittwoch (16.30 Uhr, live in ORF1) in Oberstdorf beginnenden, am Neujahrstag in Garmisch-Partenkirchen und am 4. Jänner in Innsbruck fortzusetzenden sowie am Dreikönigstag in Bischofshofen zu Ende gehenden Klassiker den Unterschied ausmachen. Dieser Faktor fehlte den Österreichern im ersten Saisondrittel ein wenig, wenn sie auch durch Premierensieger Jan Hörl in Wisla und Kraft in Klingenthal zwei der vier nicht von Kobayashi und Geiger gewonnenen Events für sich entschieden.
Chefcoach Widhölzl sieht ÖSV-Team auf gutem Weg
„Wir sind ganz gut auf dem Weg, auch wenn wir sicher nicht die Topfavoriten sind“, sagte ÖSV-Chefcoach Andreas Widhölzl nach der Tournee-Generalprobe am 19. Dezember in Engelberg. Für die ersten beiden Bewerbe in Deutschland nominierte er neben Kraft und Hörl auch Philipp Aschenwald, Manuel Fettner, Daniel Huber, Daniel Tschofenig und Ulrich Wohlgenannt. Trainingstage vor Weihnachten auf dem Bergisel sollten die Sicherheit und Gewissheit geben, mit den Anwärtern auf den „Goldenen Adler“ mithalten zu können.
„Als Außenseiter-Favorit zähle ich mich sicher dazu“, meinte Kraft selbstbewusst. Der Salzburger kehrt mit guten Gedanken dorthin zurück, wo er im Februar und März einen vollen WM-Medaillensatz abgeräumt hatte. Der 28-Jährige holte Gold auf der Großschanze, Silber mit dem Männer- und Bronze mit dem Mixed-Team. Kraft kennt aber auch die Tücken der Schanze: „Es ist doch oft sehr schwierig in Oberstdorf. Es kann sehr windig sein, meistens schneit es, und es ist kein einfacher Wettkampf.“
Regenwahrscheinlichkeit heuer hoch
Bei einigen Plusgraden gibt es heuer aber eine hohe Regenwahrscheinlichkeit. „Ich bin jetzt nicht der Regenspezialist, wenn die Spur ein bisschen stoppt und nicht ganz so wegzieht“, erzählte Kraft. Zuletzt im zweiten Bewerb von Klingenthal habe er ein ähnliches Problem gehabt, womöglich für die Tournee aber doch daraus gelernt. Recht locker geht Krafts Zimmerkollege Huber mit dieser Thematik um.
Vorbereitungen auf Vierschanzentournee
Die 70. Ausgabe der Vierschanzentournee steht vor der Tür. Für die Springer wird es daher eine kurze Weihnachtspause. Stefan Kraft und Co. wollen diese jedenfalls bestens nutzen, um für die Tournee gerüstet zu sein.
Der 28-Jährige mag solche Bedingungen: „Es ist wie ‚Wir ziehen in die Schlacht‘. Wenn es die anderen vielleicht schon irgendwie anzipft, dann noch einmal das Schäuferl drauflegen und noch motivierter sein. Den Umständen, den Bedingungen, dem Wetter trotzen – das mag ich eigentlich ganz gerne.“ Er fühle sich grundsätzlich für die Tournee bereit, nur müsse er klaren und kühlen Kopf bewahren.
Hayböck letzter Österreicher auf dem Podest
Für ihn und seine Kollegen geht es darum, die Serie an nicht gewonnenen Tourneen nicht so lange werden zu lassen wie die Erfolgsserie davor. Von 2008/09 bis 20014/15 hatten Wolfgang Loitzl, Andreas Kofler, Thomas Morgenstern, zweimal Gregor Schlierenzauer, Thomas Diethart und Kraft in dieser Reihenfolge sieben ÖSV-Triumphe en suite eingefahren. In den jüngsten sechs Auflagen waren aber andere obenauf, seit Michael Hayböcks drittem Rang 2016 gab es keinen ÖSV-Podestplatz.
Dabei waren in den vergangenen fünf Jahren mit Ausnahme der Kobayashi-Gala die Polen nicht zu biegen. Kamil Stoch machte 2016/17 den Anfang, legte im Jahr darauf mit dem Gewinn aller vier Tournee-Bewerbe eindrucksvoll nach und feierte heuer am 6. Jänner seinen dritten Tournee-Triumph. Damit hat der schon 34-Jährige nur noch den Finnen Janne Ahonen (5) und den Deutschen Jens Weißflog (4) vor sich. Vor zwei Jahren stand Stochs Landsmann Dawid Kubacki auf dem obersten Treppchen.
Polen sind Tournee-Spezialisten
Mit sieben Tagessiegen hat Olympiasieger Stoch in den nächsten 14 Tagen die Chance, das bisherige Maximum von zehn des Norwegers Björn Wirkola und von Weißflog zu erreichen oder zu übertreffen. Zu mehr als einem dritten Platz sowie Gesamtrang elf reichte es Stoch in diesem Weltcup-Winter noch nicht. Dass sich er und seine Teamkollegen zu Tournee-Spezialisten entwickelt haben, zeigt aber auch der Endstand des Vorjahres mit Kubacki, Piotr Zyla und Andrzej Stekala als Drittem, Fünftem und Sechstem.
Wie die vorherige steht die Jubiläumsauflage der Tournee im Coronavirus-Schatten. Tests, Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen für Athleten und Betreuer sind allgegenwärtig. Zuschauer bei den Bewerben in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen sind nicht erlaubt. Das Preisgeld wurde angehoben, für den Gesamtsieg gibt es nun 100.000 Franken (ca. 96.000 Euro).