Al Bayt Stadion in Al Khor
IMAGO/MiS
FIFA WM 2022

Umstrittenste WM aller Zeiten beginnt

Wenn am Sonntag (17.00 Uhr, live in ORF1) die 22. Fußballweltmeisterschaft mit der Partie von Gastgeber Katar gegen Ecuador im al-Bayt-Stadion von al-Chor eröffnet wird, wird der Golfstaat für vier Wochen trotz aller Boykottaufrufe zum Sportnabel der Welt. 32 Nationalteams kämpfen erstmals in einem arabischen Land um den wichtigsten Titel, den der Fußball zu bieten hat. Rekordchampion Brasilien und Titelverteidiger Frankreich gelten als Favoriten, dieses Feld ist aber groß. Klar ist: Es ist die umstrittenste WM aller Zeiten.

Galt die Austragung der WM 2018 in Russland schon als umstritten, so ist es das Turnier in Katar erst recht. Menschenrechte, das Rollenbild der Frau, Lebensbedingungen für ausländische Arbeiter, die Verschiebung des Events vom Sommer in den Winter und zahlreiche weitere Punkte dominierten die Debatten über das Großereignis in dem Land am Persischen Golf, das kleiner als Oberösterreich ist. Noch nie wurde die WM-Endrunde in einem kleineren Land ausgetragen.

Gespielt wird in acht Stadien, die fast alle aus dem Boden gestampft wurden. Tausende Gastarbeiter sollen dabei ums Leben gekommen sein. Der britische „Guardian“ sprach Anfang 2021 von mehr als 6.500 toten Arbeitern aus fünf asiatischen Ländern auf den Baustellen des Emirats in den vergangenen zehn Jahren. Die Behörden Katars wiesen das als undifferenziert zurück und sprachen von offiziell drei Toten auf den Stadionbaustellen. Staatsoberhaupt Emir Tamim bin Hamad Al Thani ortete Ende Oktober die Verbreitung von „Fake News“.

Kritik an der Fußball-WM in Katar

Mehrere Stadien wurden extra für die Fußball-WM aus dem Boden gestampft, die Nachnutzung ist unklar. Die Vergabe wurde von schweren Korruptionsvorwürfen begleitet, die Arbeitsbedingungen vor Ort führten zu Todesfällen und die Menschenrechtssituation in Katar zu anhaltender Kritik.

FIFA-Präsident Gianni Infantino kann er damit nicht gemeint haben, denn der hat schon längst wie üblich „die beste WM aller Zeiten“ versprochen und nun die Kritik an Katar als „heuchlerisch“ abgetan. Finanziell sichert das Turnier der FIFA Einnahmen in Milliardenhöhe.

Zwölf Jahre nach umstrittener Vergabe

Sein nicht minder umstrittener Vorgänger Joseph S. Blatter verkündete einst am 2. Dezember 2010 Katar als WM-Gastgeber 2022. Wie noch nie zuvor wurde an jenem Tag auch eine zweite Endrunde vergeben, die WM 2018 in Russland. Kein Land hat nach dem Zuschlag jemals länger auf die Ausrichtung gewartet, und trotz vieler Boykottaufrufe blieb der Wüstenstaat mit drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, aber nur 300.000 Staatsangehörigen, Veranstalter. Zuletzt erst betonte Blatter übrigens, dass die Vergabe „ein Fehler“ war und er für eine Austragung in den USA gewesen sei.

Sepp Blatter
Reuters/Christian Hartmann
Am 2. Dezember 2010 verkündete der damalige Präsident Blatter, dass Katar WM-Veranstalter sein wird

Dass die WM schließlich an Katar ging, habe laut Blatter an Ex-UEFA-Präsident Michel Platini gelegen. Ihm wird vorgeworfen, im Dezember 2010 auf Geheiß des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy für die Vergabe an Katar gestimmt zu haben. Letztlich ging die Wahl 14:8 für das Emirat aus, die USA bekamen letztlich gemeinsam mit Kanada und Mexiko den Zuschlag für die Endrunde in vier Jahren.

Messi und andere Superstars auf letzter Mission

Den Sport im Fokus haben unterdessen die Spieler und Betreuer der 32 Teams. Im Kampf um den Titel ist mit einigen Nationen zu rechnen. „Es sind immer die gleichen Teams, aber wenn ich wählen muss: Brasilien und Frankreich sind zwei große Kandidaten für den WM-Pokal“, erklärte Argentiniens Superstar Lionel Messi kürzlich.

Der 35-Jährige wird seine fünfte und aller Voraussicht nach letzte WM spielen und hofft auf den großen Wurf. Sein Team startet mit einer Serie von nunmehr 36 Spielen ohne Niederlage in Folge ins Turnier. Spaniens Trainer Luis Enrique hält den ersten südamerikanischen Triumph seit 2002 (Brasilien) für wahrscheinlich. „Ich sehe Argentinien ganz oben und auch Brasilien – weit über dem Rest“, so der 52-Jährige, der mit seinem Team bereits in der Gruppenphase auf Deutschland trifft.

Brasilien bei Buchmachern vor Frankreich

Auch die Buchmacher favorisieren die Brasilianer unter Trainer Tite, die ihren sechsten WM-Titel anpeilen. Der Rekordweltmeister befindet sich schon lange in bestechender Form, die WM-Qualifikation wurde ohne Niederlage bestritten. Titelverteidiger Frankreich spielte zwar eine durchwachsene EM sowie keine gute Nations-League-Gruppenphase und muss u. a. auf Weltmeister Paul Pogba und Karim Benzema verzichten, das Team von Coach Didier Deschamps hat aber noch andere Stars wie Kylian Mbappe im Talon. „Sie haben fantastische Spieler, eine klare Spielidee und denselben Coach wie 2018“, so Messi.

Frankreich will Titel verteidigen

Frankreich, die Mannschaft rund um Superstar Kylian Mbappe, möchte als erste Nation seit Brasilien vor 60 Jahren den Titel erfolgreich verteidigen.

Messis Team, die „Albiceleste“, kann selbst aber nicht nur auf einen eindrucksvollen Erfolgslauf zurückblicken. Der Triumph bei der Copa America 2021, als Erzrivale Brasilien im Finale bezwungen wurde, gab Selbstvertrauen. Argentinien landete zuletzt 1986 einen WM-Coup.

Mehrere Teams mit Titelpotenzial

Das Potenzial, in den Titelkampf eingreifen zu können, haben aber auch Spanien, Belgien, die Niederlande und Portugal. „Wir sind eine großartige Mannschaft, die jeden Gegner schlagen kann, das steht fest“, kündigte Spaniens Enrique an. Vizeeuropameister England und Deutschland muss man trotz gewisser Schwierigkeiten in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls auf der Rechnung haben. Als gefährlicher Außenseiter hat sich in jüngerer Vergangenheit Dänemark positioniert.

Die FIFA schüttet jedenfalls Preisgelder in Höhe von rund 444 Millionen Euro aus. Bei der Endrunde 2018 in Russland waren es noch 338 Millionen Euro. Der Weltmeister erhält aus dem FIFA-Topf 42 Millionen Euro, alleine für die Teilnahme bekommt man neun Millionen Euro sowie 1,5 Millionen für die Vorbereitungskosten. Die hat sich Österreich einmal mehr entgehen lassen, zuletzt war man 1998 in Frankreich dabei. ÖFB-Star David Alaba versprach: „Sollte ich in den nächsten Jahren noch da sein, werden wir zur WM fahren – 100 Prozent.“

Gastgeber Katar droht Südafrika-Schicksal

Bei den bisher 21 Endrunden hat sechsmal der Gastgeber den Titel errungen, das wird wohl auch so bleiben, ist Katar doch erstmals bei einer WM dabei und trotz Asiencup-Siegs Außenseiter. Im eigenen Land erfolgreich waren Uruguay (1930), Italien (1934), England (1966), Deutschland (1974), Argentinien (1978) und Frankreich (1998). Als bisher einziges Gastgeberteam hat Südafrika 2010 die Gruppenphase nicht überstanden – ein Schicksal, das nun auch Katar droht.

Die Politik will sich unterdessen mit den potenziellen Gästescharen gut stellen und sagte dem Vernehmen nach eine Sicherheitsgarantie für alle Fans, insbesondere auch für Angehörige der LGBTIQ+-Community, zu. 50.000 Menschen, auch Ausländer, wurden als Sicherheitsleute für das Turnier ausgebildet. Ob das Turnier vor Ort ein fröhliches Fanfest wird, bleibt allerdings abzuwarten.