Enttäuschte belgische Spieler nach dem Ausscheiden von der Fußball-WM
AP/Thanassis Stavrakis
FIFA WM 2022

Belgien steht vor Scherbenhaufen

Während bei Deutschland noch über die Folgen des erneuten Vorrunden-Aus bei der WM debattiert wird, ist man in Belgien schon einen Schritt weiter. Österreichs Gegner in der EM-Qualifikation steht vor einem Neuaufbau des überalterten Nationalteams und muss sich auch einen neuen Teamchef suchen. „Mit seinem Team hinterlässt Roberto ein riesiges Erbe für die künftigen belgischen Fußballgenerationen“, sagte Verbandspräsident Peter Bossaert. Einen „Plan B“ nach dem Rücktritt von Roberto Martinez gebe es aber nicht.

Der 49-jährige Spanier war unmittelbar nach dem 0:0 am Donnerstag in al-Rajjan gegen Kroatien zurückgetreten und hatte damit offenbar den belgischen Fußballverband (RBFA) überrascht. Durch den verpassten Sieg im letzten Gruppenspiel schied Belgien erstmals seit 1998 bereits in der Vorrunde einer WM-Endrunde aus. Die Mannschaft hatte sich in Katar als zerstritten gezeigt, zahlreiche langjährige Leistungsträger waren zudem außer Form.

Verbandschef Bossaert zollte Martinez dennoch großen Respekt für dessen Arbeit seit 2016. „Wir werden ihn sehr vermissen“, sagte der 56-Jährige. Der Spanier habe die gesamte Arbeit des Nationalteams und bei der RBFA auf ein anderes Level gehoben. Unter Martinez war Belgien jahrelang Weltranglistenerster, wurde bei der WM 2018 Dritter und scheiterte im vergangenen Jahr bei der EM im Viertelfinale am späteren Europameister Italien. Einen Titel gewann Martinez mit der „Goldenen Generation“ um Kevin De Bruyne, Eden Hazard und Romelu Lukaku nie.

FIFA WM 2022: Best of Kroatien – Belgien

Für Belgien ist die WM in Katar am Donnerstag zu Ende gegangen. Die Nummer zwei im FIFA-Ranking musste sich im Ahmad bin Ali Stadium von al-Rajjan nach einem 0:0 gegen Kroatien bereits in der Gruppenphase verabschieden. Der Vizeweltmeister durfte indes nach einer dramatischen Schlussphase als Gruppenzweiter über den Aufstieg ins Achtelfinale jubeln. Der Sieg in Gruppe F ging mit einem 2:1-Erfolg an Marokko.

„Verband hat keinen Plan B“

Die belgischen Chaostage in Katar nach gegenseitigen Vorwürfen und Beinahe-Handgreiflichkeiten waren für Martinez aber offenbar zu viel. „Das war heute mein letztes Spiel als Nationaltrainer. Das ist natürlich sehr emotional“, sagte der 49-Jährige nach dem Schlusspfiff. Bossaert und der Verband wurden vom Rücktritt scheinbar auf dem falschen Fuß erwischt, obwohl Martinez seinen Entschluss nach eigener Aussage bereits vor der WM getroffen hat. „Der Verband hat keinen Plan B“, schrieb „Het Laatste Nieuws“ am Tag nach dem belgischen WM-Aus. Die RBFA kündigte für Montag eine Pressekonferenz in der Heimat mit Bossaert an. Bis dahin will sich der Verband vorerst nicht mehr äußern.

Der Trainer der belgischen Nationalmannschaft Roberto Martinez verlässt enttäuscht das Spielfeld
AP/Francisco Seco
Nach dem Rücktritt von Teamchef Martinez steht der belgischen Auswahl ein großer Umbruch bevor

Dabei waren die Belgier mit großen Erwartungen nach Katar gereist. Auch Martinez war davon ausgegangen, in diesem Jahr mit seiner Auswahl noch einmal um den Titel spielen zu können. Doch zu viel lief schon vor und während des Turniers schief. Kapitän Hazard ist seit Jahren in der Formkrise, das Team entpuppte sich nach den Rücktritten von Marouane Fellaini und Vincent Kompany als völlig zerstritten und die Verletzung von Romelu Lukaku erwies sich als riesiges Problem. Der 29-jährige Angreifer von Inter Mailand konnte in dieser Saison kaum spielen und war auch bei der WM erst im letzten Vorrundenspiel in der Lage, zumindest eine Halbzeit dabei zu sein.

Lukaku nach Aus am Boden zerstört

Lukaku wurde zur Pause eingewechselt und hatte sogleich mehrere Hochkaräter, die er aber nicht annähernd in seiner Topform alle vergab. „Wir hätten das Spiel mit drei Toren Unterschied gewinnen können. Dann hätten wir jetzt ein anderes Gefühl“, sagte Martinez. Das Spiel gegen Kroatien machte klar, dass Belgien mit Lukaku in Topform wohl niemals so früh ausgeschieden wäre. Mit ihm hatte das gesamte Offensivspiel der „Rode Duivels“ eine ganz andere Präsenz als zuvor. Nach der Partie weinte Lukaku bittere Tränen und musste vom früheren Frankreich-Superstar Thierry Henry, jetzt Assistenztrainer der Belgier, getröstet werden.

Torwartstar Thibaut Courtois ging mit seinem Team hart ins Gericht. „Ich denke nicht, dass man uns als goldene Generation bezeichnen kann, wenn du nichts gewinnst.“ Möglicherweise hielt Martinez auch zu lange an den in die Jahre gekommenen Routiniers fest. Gegen Kroatien hatte der Spanier den inzwischen 31 Jahre alten und seit Jahren in der Dauerkrise befindlichen Hazard zunächst auf die Bank verbannt – brachte dafür aber den enttäuschenden 35 Jahren alten Dries Mertens von Anfang an. Die Belgier schickten damit die zweitälteste WM-Startelf überhaupt auf den Platz. Kein Wunder, dass es am dringend benötigten Tempo mangelte.

Belgien steht vor großem Umbruch

Der erstmals bei dieser WM eingewechselte erst 20 Jahre alte Jeremy Doku von Stade Rennes etwa entfachte so viel Gefahr wie Hazard und Mertens zusammen zuvor nicht. Unangenehme Fragen nach dem verpassten Generationenwechsel gingen angesichts des prompten Rücktritts von Martinez indes unter. Der Spanier verwies darauf, gegen Kroatien endlich „das wahre belgische Gesicht“ gezeigt zu haben, allerdings viel zu spät und ohne den nötigen Sieg.

Immerhin hatte es Martinez noch einmal geschafft, die zerstrittene belgische Mannschaft zu einer geschlossenen Leistung zu führen. „Du musst nicht 26 Freunde sein, um zu gewinnen, aber heute haben wir alles gegeben“, sagte Abwehrroutinier Jan Vertonghen, der trotz seiner 35 Jahre im Nationalteam weitermachen möchte. So sehr wie die aktuelle Mannschaft aber nach einer Verjüngung schreit, dürfte darüber das letzte Wort noch nicht gesprochen sein und sicher einige Rücktritte anderer Spieler folgen.

Die acht Spiele umfassende Qualifikation für die EM-Endrunde 2024 in Deutschland startet für Österreich Ende März mit einem Heimspiel gegen Aserbaidschan. Auf Belgien trifft die ÖFB-Auswahl in Spiel drei (Juni/auswärts) und fünf (Oktober/Heimspiel). Weitere Gruppengegner sind Schweden und Estland, die zwei Gruppenbesten lösen ein EM-Fixticket.