Carlos Sainz in Aktion
APA/Erwin Scheriau
Formel 1

Strafenlawine sorgt für scharfe Kritik

Mehr als 1.200 mögliche Vergehen, eine Strafenlawine viele Stunden nach Rennende und scharfe Kritik: Das Chaos um die zahlreichen Track-Limit-Verstöße, also das unerlaubte Verlassen der Strecke in der Formel 1, hat rund um den Grand Prix von Österreich in Spielberg für reichlich Aufsehen gesorgt. Am Sonntagabend wurden nach einem Protest von Aston Martin zusätzliche Strafen ausgesprochen. Es wird bereits nach Lösungen für 2024 gesucht.

Am souveränen Sieg von Max Verstappen in diesem Jahr änderte das Chaos aber nichts mehr. Der Weltmeister im Red Bull blieb von den Sekundenstrafen verschont, genauso wie Ferrari-Pilot Charles Leclerc und Sergio Perez im zweiten Red Bull auf den Plätzen zwei und drei.

Acht Fahrern wurden allerdings nachträglich Zeitstrafen aufgebrummt. „Mehrmaliges Verlassen der Strecke ohne triftigen Grund“ lautete die Erklärung am Sonntagabend. Carlos Sainz (Ferrari) fiel um zwei Positionen auf Rang sechs zurück, Lewis Hamilton (Mercedes) um eine auf Platz acht. Der größte Übeltäter war Esteban Ocon, der Alpine-Pilot wurde mit 30 Sekunden zusätzlich auf die Rennzeit sanktioniert.

Spielberg zieht Bilanz

304.000 Fans haben das Formel-1-Wochenende in Spielberg miterlebt. Das größte Sportevent Österreichs war unterm Strich ein voller Erfolg. Nun kehrt für ein paar Wochen Ruhe ins Murtal ein.

„Beispiellose Situation“

Insgesamt 83 Runden erklärte der Weltverband FIA für ungültig. Im Rennen hatte es Verwarnungen geregnet, auch Fünfsekundenstrafen waren keine Seltenheit. „Das hat uns als Sport ein wenig amateurhaft aussehen lassen“, monierte Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Selbst die Stewards, die die Strafen gemäß der geltenden Regeln aussprechen, wendeten sich in ihrer Mitteilung an die Rennleitung. „Die Stewards empfehlen nachdrücklich, eine Lösung für das Problem der Track-Limits auf dieser Strecke zu finden“, hieß es.

Bei den Highspeed-Kurven neun und zehn schaute der deutsche Formel-1-Rennleiter Niels Wittich genau hin und achtete strikt auf die Regeln. Sobald alle vier Räder die Fahrbahnmarkierung überschreiten, ist das verboten. Insgesamt wurden 1.200 Fälle untersucht. Das ging sich während des Grand Prix nicht aus, erst nach einem Aston-Martin-Protest wurden weitere Strafen ausgesprochen. Ein FIA-Sprecher erklärte, dass eine „beispiellose Situation entstanden“ sei, nicht alle möglichen Verstöße während des Rennens überprüft werden konnten.

Doch warum gab es so viele Verstöße? Dazu hätten die Besonderheiten der Streckenführung und die Neigung vieler Fahrer zur schnellsten Linie beigetragen, urteilte der Weltverband. Abhilfe könnte nun ein Umbau schaffen. Den Streckenbetreibern des Red Bull Rings wurde dringend empfohlen, am Ausgang der Kurven neun und zehn ein neues Kiesbett zu installieren. Dann dürften die Piloten von ganz allein langsamer fahren, da sie es nicht mehr riskieren würden, im Kies festzustecken. Höhere Randsteine hätten einen ähnlichen Effekt.

Nach „Farce“: Lösung für 2024 gesucht

Bereits im Qualifying am Freitag hatten die Track-Limits in den letzten beiden Kurven große Probleme verursacht. Perez verpasste unter anderem das finale Segment und musste von Startplatz 15 ins Rennen gehen, weil ihm seine schnellen Runden gestrichen worden waren. Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko sprach daraufhin von einer „Farce“. Nirgendwo sei es so schwer, innerhalb der Pistengrenzen zu bleiben wie in der Steiermark, hatte Weltmeister Verstappen schon am Freitag gesagt. „Am Ende einer Runde werden die Reifen zu heiß, dein Auto rutscht mehr, und dann reicht eine kleine Welle oder eine Kompression, um dich neben die Ideallinie zu drücken“, sagte Verstappen. „Wir sahen wie Deppen aus, wie Amateure. Unglaublich!“

Helmut Marko
GEPA/Mario Buehner
Red-Bull-Konsulent Marko sprach schon am Freitag aus („Farce“), was sich viele dachten

„Man schaut auf die weiße Linie, kann sie aber nicht spüren“, sagte Mercedes-Fahrer George Russell. „Man spürt Kies und Gras, aber nicht die weiße Linie. Man muss einfach diszipliniert sein.“ Einfach abfinden dürfte man sich mit der Situation aber nicht, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. „So geht es gar nicht“, sagte der Wiener. Er schlug höhere Randsteine vor, „dass du das Auto richtig beschädigst“ und man automatisch einfach anders fährt. „Dann gibt es überhaupt keine Diskussionen mehr“, sagte Wolff.

Höhere Randsteine, Kiesbett als mögliche Heilsbringer

Horner erklärte: „Es ist schwierig für die Fahrer, weil sie die weiße Linie aus dem Auto nicht sehen können. Und die Strecke lädt dich dazu ein, dorthin zu fahren.“ Der Brite schlug für nächstes Jahr ein Kiesbett statt einer Auslaufzone aus Asphalt vor, oder eine ähnliche Lösung zur Abschreckung. Genauso sieht es Alexander Wurz: „Ich bin für natürliche Track-Limits mit Gras und Kiesbett. Man kann auch mit Kerbs arbeiten“, sagte der ORF-TV-Experte der APA. Das müsse aber in Abstimmung mit dem Motorradweltverband geschehen, denn die MotoGP ist im August ebenfalls in Spielberg zu Gast. Deshalb wurde in diesen beiden Kurven bisher kein Kiesbett errichtet, wie die FIA erklärte. Ein Grund ist die Sicherheit der Motorradfahrer.

Wurz betonte, dass keine Kurve gleich sei. „Ich brauche verschiedene Lösungen“, betonte er, und Horner ergänzte: „Manchmal musst du auf die Charakteristiken einer Kurve schauen. Mit einem Kiesbett wäre der Fahrer nicht verlockt, die Begrenzung zu übertreten.“

Ärgerlich für alle

Besonders ärgerlich für die Fans: Erst gegen 21.45 Uhr wurde das finale Klassement eines Rennens veröffentlicht, das Dauersieger Verstappen von der Spitze dominierte und in dem er seine Führung in der WM-Wertung ausbaute. Zu diesem Zeitpunkt war es längst dunkel, die Garagen verlassen und die Fahrer auf dem Heimweg. Kritik am Prozess gab es auch deshalb kaum, weil alle von der Strafenflut überrascht wurden und niemand mehr an Ort und Stelle war.

Grand Prix von Österreich in Spielberg

Endstand nach 71 Runden (306,452 km):
1. Max Verstappen NED Red Bull 1:25:33,607
2. Charles Leclerc MON Ferrari + 5,155
3. Sergio Perez MEX Red Bull 17,188
4. Lando Norris GBR McLaren 26,327
5. Fernando Alonso ESP Aston Martin 30,317
6. Carlos Sainz * ESP Ferrari 31,377
7. George Russell GBR Mercedes 48,403
8. Lewis Hamilton * GBR Mercedes 49,196
9. Lance Stroll CAN Aston Martin 59,043
10. Pierre Gasly * FRA Alpine 1:07,667
11. Alexander Albon * THA Williams 1:19,767
12. Zhou Guanyu CHN Alfa Romeo 1 Runde
13. Logan Sergeant * USA Williams 1 Runde
14. Esteban Ocon * FRA Alpine 1 Runde
15. Valtteri Bottas FIN Alfa Romeo 1 Runde
16. Oscar Piastri AUS McLaren 1 Runde
17. Nyck de Vries * NED Alpha Tauri 1 Runde
18. Kevin Magnussen DEN Haas 1 Runde
19. Yuki Tsunoda * JPN Alpha Tauri 1 Runde
Out: Nico Hülkenberg (GER/Haas)
Schnellste Runde: Verstappen (71./1:07,012 Min.)
* Nachträgliche Strafe (Track Limits)