Annika Schleu auf ihrem Pferd
Reuters/Ivan Alvarado
Moderner Fünfkampf

Reitdrama sorgt für heftige Kritik

Verstörende Bilder beim Modernen Fünfkampf der Damen haben am Freitag eine Diskussion über die Sportart ausgelöst. Im Reitbewerb schlug die völlig verzweifelte Deutsche Annika Schleu mit der Gerte auf das verängstigte Pferd ein, das sich davor geweigert hatte, den ganzen Parcours zu absolvieren. Gesteigert wurde die Kritik an der Aktion noch durch die Aufforderung der deutschen Bundestrainerin Kim Raisner. „Hau mal richtig drauf! Hau drauf!“, rief sie – im Fernsehen deutlich hörbar – Schleu zu.

Tränenüberströmt saß Schleu im Tokyo Stadium auf ihrem zugelosten Pferd Saint Boy. Die Deutsche lag vor dem Reiten in Führung und galt als erste Anwärterin auf Gold. Nach dem Drama mit dem Pferd landete sich schließlich nur auf dem 31. Endrang. „Wenn man das sieht, mag man denken, dass das immer so läuft. Die Erfolge, die wir sonst zwischendurch feiern, sprechen dagegen“, sagte Schleu zu ihrem Einsatz der Gerte. „Eigentlich sind wir Deutsche als gute und solide und auch einfühlsame Reiter bekannt. Ich werde wahrscheinlich noch eine Weile brauchen, um drüber hinwegzukommen.“

Die Reaktionen im Internet waren hingegen deutlich. „Moderne Tierquälerei“ oder „Kein Respekt vor dem Tier“ war wenige Minuten nach den ungewöhnlichen Szenen bei Twitter zu lesen. Sie habe schon „diverse Hassnachrichten erhalten“, berichtete Schleu kurz nach dem Wettkampf. Sätze wie „Holt das Mädchen vom Pferd runter“ und sich übergebende Smileys gehörten noch zu den gemäßigten Botschaften. Die Tierrechtsorganisation PETA forderte die Suspendierung von Schleu und Raisner und sprach von „Misshandlungen“.

Das Drama im Modernen Fünfkampf

Annika Schleu war im Reitbewerb beim Modernen Fünfkampf ratlos und überfordert. Die Deutsche griff zur Gerte, um ihr Pferd dazu zu bewegen, den Parcours zu absolvieren (im Video ab 1:54 Minuten).

Unbekannte Pferde werden zugelost

Anders als im Springreiten oder in der Dressur müssen die Sportlerinnen und Sportler im Fünfkampf mit einem zugelosten und vorher unbekannten Pferd in den Parcours. Der Veranstalter stellt die Tiere zur Verfügung. Sie haben dann im Wettkampf mehrere Reiterinnen und Reiter in kurzer Zeit nacheinander im Sattel. Vor dem Ritt haben die Sportlerinnen und Sportler nach einer Auslosung nur 20 Minuten Zeit, um sich mit dem Pferd vertraut zu machen. Das gelang Schleu mit Saint Boy gar nicht.

Dabei hatten sich die Probleme mit dem Pferd schon angedeutet. Saint Boy wollte wenige Minuten zuvor bei Gulnas Gubaidullina vom Team des Russischen Olympischen Komitees bereits nicht über die Hindernisse. Ein Tierarzt erklärte das Pferd dennoch für einsatzbereit, Schleu musste losreiten. „Auf dem Abreiteplatz hat es funktioniert“, berichtete die Olympiavierte von Rio. Keinen Fehler habe es gegeben. Doch im Parcours wollte das Pferd nicht mehr. Raisner sagte dazu: „Es ist nicht ihre Schuld. Das Pferd wollte immer nur zur Tür.“

Die weinende Annika Schleu
Reuters/Ivan Alvarado
Annika Schleu verlor die Nerven und griff in ihrer Verzweiflung zur Gerte

„Das hat mit Reitsport nichts zu tun“

Die unrühmlichen Szenen lösten eine Diskussion um das Reglement im Modernen Fünfkampf aus. „In dieser Situation waren wir bisher noch nicht, so drastisch ist uns noch nicht vor Augen geführt worden, dass es tatsächlich ein Fehler im Reglement ist“, sagte Fünfkampf-Olympiasiegerin Lena Schöneborn in der ARD.

Dressur-Reiterin Isabell Werth kritisierte den Einsatz von Pferden im Modernen Fünfkampf scharf. „Das hat mit Reitsport nichts zu tun, wie wir ihn betreiben und kennen“, sagte die erfolgreichste Reiterin der Welt. „Das ganze System muss geändert werden.“ Das Pferd tue ihr leid, sagte die siebenmalige Olympiasiegerin. Die Tiere seien im Fünfkampf „nur ein Transportmittel“. Ihr tue aber auch „das Mädchen leid“, die Opfer des Systems ihrer Sportart sei, so Werth.

Annika Schleu auf ihrem Pferd
AP/Hassan Ammar
Mit null Punkten musste Annika Schleu den Parcours völlig entnervt aufgeben

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) und der Deutsche Olympische Sportbund sehen das Problem vor allem beim Weltverband. „Als Fachverband für den Pferdesport sehen wir die Reiterei im Modernen Fünfkampf kritisch“, sagte FN-Sportchef Dennis Peiler. „Unser Verständnis der Reiterei liegt in der Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd und nicht darin, das Pferd als Sportgerät zu betrachten.“ Das Reglement müsse so gestaltet sein, dass Reiter und Pferd geschützt würden.

Bitterer Bewerb für Deutschland

13 Jahre nach dem Olympiasieg von Schöneborn in Peking standen die deutschen Fünfkämpferinnen ohne Medaille da. Gold ging an die Britin Kate French vor Laura Asadauskaite aus Litauen und Sarolta Kovacs aus Ungarn. Die zweite deutsche Starterin Rebecca Langrehr kam auf Rang 28 ins Ziel, auch die zweite Berlinerin hatte Probleme mit dem Pferd. Im abschließenden Laser Run – ein kombinierter Wettkampf aus Schießen und Laufen – kamen die Deutschen nicht mehr nach vorne.

Für Schleu war das besonders bitter. Im Frühjahr war das Ziel Olympia noch fern. Sie hatte sich mit dem Coronavirus infiziert und musste mehrere Wochen pausieren. Als harte und deprimierende Zeit beschrieb die Berlinerin die damalige Phase. Schleu kämpfte sich zurück an die Spitze – mit einer Medaille wurde sie nach dem undankbaren vierten Rang in Rio de Janeiro aber auch in Tokio nicht belohnt. Stattdessen lieferte sie die Negativbilder der Spiele.