Jorginho jubelt mit seinen Mitspielern
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Fußball-EM

Italien atmet nach Finaleinzug durch

Nach dem 4:2 im Elferschießen im Halbfinale der Fußball-EM gegen Spanien steht Italien erstmals seit neun Jahren wieder im Endspiel eines großen Turnieres. Das Team ist nun seit 33 Partien ungeschlagen, bis der Erfolg am Dienstag in Wembley feststand, war es aber ein hartes Stück Arbeit. „Wir haben gelitten, aber wir haben es nach Hause gebracht“, sagte Siegestorschütze Jorginho.

„Wir haben immer an uns geglaubt und lassen uns nicht in die Enge treiben“, fügte der gebürtige Brasilianer hinzu. Er hatte zuvor den entscheidenden fünften Versuch im Elferschießen scheinbar völlig unbeeindruckt von der Verantwortung lässig verwertet, indem er Spanien-Torhüter Unai Simon täuschte und den Ball in die andere Ecke rollte.

Bis es dazu kam, war Italien aber gefordert. Erstmals in diesem Turnier rannten die „Azzurri“ vor allem Ball und Gegner hinterher. Spanien hatte deutlich mehr Ballbesitz, Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci waren in der Abwehr, Gianluigi Donnarumma im Tor gefordert.

Italien ist erster Finalist

Im Elfmeterschießen hat sich Italien gegen Spanien das erste Finalticket bei der Europameisterschaft gesichert.

„Das war die härteste Partie, die ich jemals gespielt habe“, sagte der 34-jährige Bonucci, der mit Juventus Turin doch schon so manches wichtige Spiel absolviert hat. „Ich gratuliere Spanien, aber einmal mehr hat Italien Herz gezeigt, Entschlossenheit und den Willen, schwierige Momente zu überstehen“, sagte er.

„Wir müssen bereit sein“

Zur Belohnung wartet am Sonntag erneut im Wembley das EM-Endspiel. „Es ist noch ein letzter Zentimeter zu gehen. Es ist unglaublich, was wir geschafft haben“, sagte Bonucci. Den bisher einzigen EM-Titel gab es für den vierfachen Weltmeister 1968. 2012 war Italien im Finale deutlich an Spanien gescheitert. „Wir müssen bereit sein, diese Trophäe, die uns seit 50 Jahren fehlt, nun heimzuholen.“

Trainer Roberto Mancini (ITA)
Reuters/Carl Recine
Coach Mancini musste lange um den Erfolg bangen

Direkt nach dem Spiel ging es zurück nach Florenz, wo im Morgengrauen Fans italienische Fahnen schwenkten und ihre Lieblinge begrüßten. In London darf sich die „Squadra“ der Unterstützung von den Rängen dank vieler Auslandsitaliener sicher sein. Diese waren am Dienstagabend bereits zu Tausenden in der Arena vertreten.

Auch Teamchef Roberto Mancini musste zugeben, dass gegen Spanien für sein Team eine Portion Glück notwendig war. Der Trainer konnte nicht auf sein bisher bewährtes Rezept vertrauen. Das Pressing lief gegen die ballsicheren Spanier ins Leere. Gefährlich waren die Italiener vor allem, wenn sie einen spanischen Angriff abfangen konnten. „Es war ein hartes Spiel, wir haben gelitten. Spiele laufen nicht immer so leicht wie bisher“, sagte der 56-Jährige. Mit Genugtuung nahm er Gratulationen entgegen. „Niemand hat an uns geglaubt, als wir angefangen haben. Niemand“, sagte er. „Ich muss mich bei den Jungs bedanken. Aber es gibt noch etwas zu erledigen.“

Nicht nur alte Tugenden

Auf die Bemerkung, sein Team habe vor allem dank alter defensiver Tugenden gewonnen, reagierte Mancini im italienischen TV-Sender RAI aber unwirsch. „Mir gefallen diese Vereinfachungen nicht. Ein Fußballspiel besteht nie nur aus Verteidigen oder nur aus Angreifen. Es braucht immer beides“, sagte er. Mit einer Energieleistung rettete sich seine Elf trotz des Führungstores durch Federico Chiesa (60.) nach einem schnell gespielten Konter in die Verlängerung. Alvaro Morata hatte zuvor verdientermaßen für Spanien getroffen (80.). Im Elferschießen vergab zunächst Manuel Locatelli, ehe der Spanier Dani Olmo in die Wolken schoss und Donnarumma Moratas schwachen Versuch parierte.

Die Italiener genossen den Triumph. „In einem solchen Spiel 60 Millionen Italiener zu repräsentieren war ein undenkbarer Traum, den ich nie für möglich gehalten hätte“, sagte der schon im Achtelfinale beim 2:1 n. V. gegen Österreich erfolgreiche Chiesa. Beim Jubeln auch dabei war ein Trikot des verletzten Leonardo Spinazzola, der sich im Viertelfinale gegen Belgien die Achillessehne gerissen hatte.

„Gott ist Italiener“

Die außergewöhnliche Geschichte dieser Mannschaft, die noch vor drei Jahren nach der verpassten WM 2018 am Tiefpunkt war, soll nicht mit einer Finalniederlage enden. „Ein azurblaues Märchen ohne Ende“, schrieb die „Gazzetta dello Sport“ bereits. Der „Corriere dello Sport“ wusste jedoch, dass auch ein wenig Beistand von oben nötig war und schrieb: „Dio e’ Italiano“ (Dt.: „Gott ist Italiener“).

Im Finale wird Italien seinen neuen, offensiven Stil wohl wieder stärker durchbringen können. Dafür gibt es irdische Gründe: Der Gegner heißt nicht mehr Spanien.