Raimann, der es als erster österreichischer Spieler auf einer anderen Position als der des Kickers in den 53-Mann-Kader der Colts geschafft hat, beginnt die Saison jedenfalls erst einmal auf der Ersatzbank. Allerdings könnte der 24-jährige Tackle, der bei rechtshändigen Quarterbacks auf der wichtigen linken Seite der Offensive Line zu Hause ist, schon im ersten Spiel zum Einsatz kommen, wenn Starter Matt Pryor eine kurze Verschnaufpause braucht oder behandelt werden muss. Es wären die ersten Einsatzminuten eines österreichischen „Nichtkickers“ in der NFL.
Viele Experten sehen den 2,01 m großen und 138 kg schweren Raimann aber sowieso bald in der ersten Formation. So auch der Präsident des Österreichischen Footballverbandes (AFBÖE), Michael Eschlböck. „Er macht einen super Job und hat eine unglaubliche Athletik. Ich bin überzeugt, wenn er sich nicht verletzt, dann steht ihm eine mehr als zehnjährige NFL-Karriere bevor“, so Eschlböck gegenüber der APA. Jetzt geht es für Raimann, der im Frühjahr als erster Österreicher überhaupt im Draft und dort in der dritten Runde ausgewählt worden war, aber erst einmal darum, sich im harten NFL-Geschäft zu etablieren.
Startnachteil fast aufgeholt
In der Saisonvorbereitung gab es jedenfalls reichlich Lob von seinen Trainern, auch wenn der routinierte Pryor zunächst noch den Vorteil auf seiner Seite hat. „Er wird immer konstanter. Wenn er sein Spiel auf diesem Niveau weiter verfeinert, glaube ich, dass er ein Faktor sein wird“, sagte Head-Coach Frank Reich vor Kurzem. Allerdings sehe man auch, „dass er manchmal noch etwas unerfahren ist. Aber es ist eindeutig, dass er die körperlichen Voraussetzungen mitbringt und die nötige Härte besitzt, um diese Position zu spielen.“ Eschlböck ergänzte: „Man hat gesehen, was er für einen Wumms draufhat.“
Dass Raimann erst in seinen letzten zwei Jahren auf der Central Michigan University vom Tighend zum Offensive Tackle umgeschult wurde, war wohl der größte Startnachteil des Wieners gegenüber seinen amerikanischen Kollegen, die mit Football aufgewachsen sind. Umso beeindruckender ist Raimanns Weg, so Eschlböck, da dieser den Rückstand schon fast aufgeholt hätte. „Er ist absolut ein Vorbild“, sagte der AFBÖE-Präsident über den ehemaligen Junioren-Nationalspieler. Für die U19-Heim-EM im Juli verfasste Raimann eine Videobotschaft an die österreichischen Nachwuchs-Footballer, was „natürlich ein Ansporn für die jungen Burschen“ gewesen sei.
„Sehr anspruchsvolle“ Position
Wenn sich Raimanns großer Traum erfüllt, dann wird ihm die große Aufgabe zuteil, die „Blind Side“ – den toten Winkel – seines Quarterbacks Matt Ryan abzudecken. Der 37-Jährige war 14 Jahre lang das Gesicht der Atlanta Falcons, wurde 2016/17 zum wertvollsten Spieler der Liga gekürt und führte die Falcons auch im gleichen Jahr in die Super Bowl. Dort bezog Atlanta gegen die New England Patriots aber trotz später 28:3-Führung noch eine sporthistorische 28:34-Pleite in der Verlängerung. Nachdem die Falcons nun einen Umbau starten, erhielt Ryan bei den Colts eine zweite Chance.
Raimanns Position als Bodyguard im toten Winkel des Rechshänders sei „sehr anspruchsvoll“, sagte Eschlböck. „Die Verteidigung versucht natürlich auch, die Blind Side zu attackieren. Du musst auch irrsinnig schnell im Kopf sein und eine schnelle Reaktionszeit haben.“ Was erschwerend hinzu kommt: Offensive Liner ragen selten heraus und fallen meistens nur durch Fehler auf. Diese gilt es zu minimieren, das war auch Raimanns größtes Credo in den ersten Wochen als NFL-Profi. Seine Trainer lobten Raimann in den vergangenen Wochen mehrmals, er sei sehr „coachable“, also trainierbar
Ein Aufstieg zum langfristigen Starter in der NFL wäre auch ein finanzieller Quantensprung für den Wiener. Denn aufgrund der Wichtigkeit der Position bekommen Left Tackles fürstliche Gehälter, Raimann hat derzeit jedoch einen vergleichsweise niedrig dotierten Rookie-Vertrag über vier Jahre im Gesamtwert von 5,3 Millionen Dollar. Etablierte Positionskollegen verdienen weit mehr als 15 Millionen Dollar pro Saison. Aber vorerst gilt es für Raimann sowieso, den historischen ersten Einsatz zu absolvieren.