Shamil Borchashvili
GEPA/ Michael Meindl
Judo

Wenn Träume in Erfüllung gehen

Shamil Borchashvili hat die österreichische Fahne nicht mehr weggeben wollen. Schon im ersten Interview nach dem Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Tokio in der Gewichtsklasse bis 81 kg wickelte er sich in den kühlen Katakomben des Budokan eng damit ein. „Ich bin so dankbar. Und so glücklich für Österreich, dass ich die Medaille geholt habe“, sagte der gebürtige Tschetschene, der als Zehnjähriger mit der Familie nach Österreich geflüchtet und nun am Ziel seiner Träume angekommen war.

Der 26-Jährige gewann vier von fünf Kämpfen. Der entscheidende um die Medaille war gegen den Deutschen Dominik Ressler. Es war die erste Judomedaille für Österreich seit Silber 2008 in Peking durch Ludwig Paischer. Es ist die dritte Medaille bei einem Großereignis in Folge, nachdem die deutsche Olympiasiegerin von 2004, Yvonne Bönisch, zu Jahresbeginn das Amt der Nationaltrainerin des Österreichischen Judoverbands (ÖJV) für Frauen und Männer angetreten hatte. EM-Bronze gab es im April in Lissabon für Bernadette Graf, WM-Bronze im Juni in Budapest für Michaela Polleres.

„Es ist ein unglaubliches Gefühl, es war ein toller Tag. Meine Cheftrainerin hat mich so gut eingestellt. Sie hat gesagt, genieß den Tag, versuch, nicht viel zu denken. Setz das, was du kannst, um, das ist mir heute richtig gut gelungen“, sagte der frischgebackene Olympiadritte. „Wenn man an sich glaubt, wenn man es träumen kann, dann kann man es auch machen.“

Bronzekampf von Borchashvili

Der 26-jährige gebürtige Tschetschene setzte sich im Budokan im Kampf um Platz drei gegen den Deutschen Dominik Ressler durch.

„Ich möchte mich bei allen bedanken, am liebsten würde ich alle umarmen. Ich will keinen vergessen, mir haben so viele Leute geholfen“, sagte Borchashvili. „Vor vier Jahren habe ich die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten, danach konnte ich mich voll auf den Sport konzentrieren und auf Olympia vorbereiten. Danke, danke, danke.“

Mentale Stärke entscheidet

Eine vermeintliche Ippon-Wertung gegen Ressler nach 13 Sekunden war nach Videostudium noch revidiert worden („Ich wollte gleich von Anfang an Gas geben und das Ding rausholen“), beim zweiten Anlauf wenig später klappte es dann. Borchashvili zwang Ressler, den aktuellen Weltranglistenzehnten, zu Boden und fixierte ihn, bis der Sieg feststand.

„Ich war heute mental so stark. Ich kann es gerade nicht beschreiben. Ich hatte schon im ersten Kampf so einen starken Gegner, der jetzt Dritter bei den Weltmeisterschaften geworden ist. Im zweiten Kampf hatte ich den Topfavoriten. Ich hatte gegen jeden Gegner ein gutes Konzept.“

Interview mit Borchashvili

Der frischgebackene Olympiadritte im ORF-Interview nach dem Bronzekampf.

Halbfinale zweier Migranten

Den Auftakterfolg feierte Borchashvili über den favorisierten Portugiesen Anri Egutidze im Golde Score (Waza-Ari), danach setzte er sich ebenfalls in der Verlängerung gegen den israelischen Weltranglistenzweiten und Weltmeister von 2019, Sagi Muki (Waza-Ari), durch. Auch gegen den Usbeken Scharofiddin Boltabojew machte er Überminuten, blieb erneut im Golden Score und mit Waza-Ari siegreich.

Den Goldkampf verpasste Borchashvili durch eine Niederlage im Halbfinale gegen den für die Mongolei kämpfenden Saeid Mollaei, der daraufhin im Finale gegen den Japaner Takanori Nagase verlor. Borchashvili gegen Mollaei war ein Duell zweier Kämpfer mit Migrationshintergrund.

Flucht in jungen Jahren

Mollaei stammt aus dem Iran, 2019 sollte er es bei der WM in Tokio laut Anordnung seiner Regierung vermeiden, auf einen Israeli zu treffen. Er setzte sich nach Deutschland ab, kämpfte infolge auch für die Galaxy Tigers in Wien und darf nun für die Mongolei auf die Tatami.

Die Familie von Borchashvili flüchtete mit den jungen Kindern aus Tschetschenien nach Österreich, wo sie in Wels eine neue Heimat fand. Borchashvilis erster Dank galt dann auch seinem jüngeren Bruder Wachid. „Der Typ hat mich von Tag zu Tag gepusht.“

Familiäre Unterstützung hatte er in Tokio durch seinen älteren Bruder Kimran, der als Trainingspartner mit dabei war. 2015 erhielt Kimran die österreichische Staatsbürgerschaft, 2017 Shamil und Wachid. Alle drei betreiben den Judosport, Shamil aber erst seit 2018 ernsthaft. „Bei der Grundausbildung (beim Bundesheer) habe ich mir zu Herzen gelegt, dass ich das profimäßig mache. Ich habe im Kraftbereich, im Kondibereich die richtigen Leute gesucht.“

„Bin ziemlich stolz auf ihn“

Seine Teamkollegin Sabrina Filzmoser, die in Tokio ihre Karriere beendet hat, war angetan. „Er hat alles in den Schatten gestellt und alles untergeordnet, professionell wie kein anderer trainiert, am detaillierten Kraft-Konditions-Aufbau gearbeitet, sich sehr viel erst aneignen müssen, was viele im Nationalteam schon jahrelang vorher gelernt haben. Bis hin zu Ernährung und mentalem Fokus hat er alles scheinbar richtig gemacht. Ich bin ziemlich stolz auf ihn, little brother.“

Auch Österreichs Verteidgungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) freute sich für Borchashvili: „Ich bin sehr stolz auf die Leistung von unserem Heeressportler Korporal Borchashvili. Er hat geschafft, was nur den wenigsten Sportlern in ihrem Leben vergönnt ist.“

Borchashvili bevorzugt übrigens harte Gegner. „Meine Schwäche ist, dass ich überheblich werde und gegen Leute verliere, gegen die ich nicht verlieren sollte.“ Die WM habe ihn da wachgerüttelt. „Es wird sich herausstellen, wer am coolsten ist. Ich glaube, dass die, die gegen mich kämpfen werden, mehr Druck haben als ich selbst“, hatte er vor den Spielen gesagt und damit offenbar recht gehabt.